Wambli-luta
Dorf der Tituwan am Heart-Fluss
Als Wambli-luta, der Rote-Adler, nach zwei Tagen wieder das Winterdorf erreichte, war er froh, im warmen Tipi seiner Eltern verschwinden zu können. Ihr Einzug, angekündigt von einem Späher, war eindrucksvoll gewesen. Sie hatten sich geschmückt und mit ihren Farben bemalt und waren in einer Parade durch das Dorf geritten. Sie hatten keine Toten zu beklagen, sodass der Raubzug ein voller Erfolg gewesen war.
Ihr Dorf lag in diesem Winter weiter im Norden als üblich. Sie hatten einen klaren Fluss gefunden, den sie Canté Wakpa, Herz-Fluss, nannten, an dessen Lauf in der sonst eher öden Gegend viele Bäume und Büsche wuchsen. Im Sommer hatten sie auf der Ebene zusammen mit den Gruppen der Sihasapa und Itazipco Bisons gejagt, doch für die Wintermonate war es leichter, in kleineren Gruppen geeignete Lagerstellen zu suchen, damit die Gegend nicht überjagt wurde oder das Holz ausging. Ihre Gruppe nannte sich die „Tinazipe Sica“, die Schlechten Bögen, eine Untergruppe der Hunkpapa, und ihr Häuptling war Mato-ska-cikala, Kleiner-Weißer Bär. Wambli-luta gehörte zu seinem Tiyospaye, denn Mato-ska-cikala war als jüngster Bruder der Großmutter sein Großonkel. Tatsächlich nannte er ihn aber „Lekshi“ – Onkel.
Wambli-luta hängte den Bogen und den Schild an eine Tipistange, zog die Mokassins von den Füßen und ließ sich von seiner Mutter eine Schale Essen geben. Seufzend hockte er sich auf sein Backrest, eine Lehne aus Weidenzweigen, und streckte die nackten Füße in Richtung des Feuers, das in der Mitte des Zeltes brannte. Noch hatte er das mit Fransen besetzte Lederhemd an, das ihn gegen die Kälte schützte. Im Haar trug er noch die Federn, die ihn als Krieger und Späher auszeichneten. Kurz strich er sich fahrig einige Strähnen aus dem Gesicht, die sich aus seinen Zöpfen gelöst hatten. Er wirkte müde, und seine Gesichtszüge zeigten die Anstrengung der letzten Tage. Seine Lippen waren schmal und seine Augen leicht zusammengekniffen. Er seufzte tief, als er seine langen Beine ausstreckte und sich langsam entspannte. An ihm war kein Gramm Fett zu viel. Er war jung, und sein Körper zeigte die Spannkraft eines Menschen, der zu Fuß oder zu Pferd weite Strecken zurücklegte. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck, als er seiner Schwester einen liebevollen Blick zuwarf. Die Augen zeigten ein lustiges Blitzen, und kleine Grübchen um die Augen verschönerten sein ernstes Gesicht. Er grinste seine Schwester an, die auf ihrem Lager saß und an etwas stickte, und futterte hungrig das Essen. Er wurde wieder ernst, als sein Vater sich ihm gegenüber setzte und höflich wartete, bis sein Sohn seinen Hunger gestillt hatte, ehe er ihn mit einer Handbewegung einlud, über seinen Raubzug zu sprechen. „Habt ihr viel Beute gemacht?“
Wambli-luta nickte erfreut. „Wir fanden ein Dorf der Miwatani und raubten ihnen ein paar Pferde.“ Er lachte vor Begeisterung. „Wir erschreckten ein paar Mädchen, während einige andere sich die Pferde holten. Es war ein guter Coup!“
„Und niemand wurde verletzt?“, erkundigte sich der Vater.
„Niemand!“, betonte der junge Mann. „Die Miwatani schwärmten aus ihrem Dorf heraus, um den Mädchen zu helfen, aber folgten uns nicht. Wir haben ein paar Pfeile verschossen und sie auch. Einige hatten sogar Gewehre, aber sie kamen nicht dazu, auf uns zu schießen; so schnell waren wir wieder weg.“
„Und die Mädchen?“, erkundigte sich die Mutter aus dem Hintergrund.
Wambli-luta machte eine verächtliche Handbewegung. „Ich habe nur ihre langen, dürren Beine gesehen, als sie weggerannt sind.“
Die Schwester kicherte hinter ihrer vorgehaltenen Hand, während die Mutter den Kopf schüttelte. „Dürre Beine! Die konntest du doch gar nicht sehen.“
„Doch! Ganz genau! Sie hatten die Kleider hochgezogen, um schneller zu rennen. Und ihre Roben haben sie auch fallen lassen. Ich hätte ganz einfach eins von ihnen rauben können.“
„Und warum hast du es nicht? Solange du bei Mädchen nur dürre Beine siehst, wirst du nie eine Ehefrau finden.“ Deutlich war der Vorwurf zu hören.
„Hohch. Ein Mädchen hätte ich fast erwischt. Sie versteckte sich unter einem seltsamen Gerüst. Es sah aus wie ein Gestell, das wir für unsere Toten bauen, aber es stand inmitten ihrer Felder.“
„Dort vertreiben sie die Vögel, wenn die Ernte naht“, erklärte der Vater. Dann blinzelte er belustigt. „Und was hat das Mädchen dort gemacht?“
„Nichts!“ Der junge Mann verschwieg, dass die Frau mutig genug gewesen war, um ihn anzugreifen und vom Pferd zu ziehen. Das war wohl die unrühmlichste Situation in seinem ganzen Leben gewesen! Er hoffte, dass niemand seiner Freunde es gesehen hatte.
„Nichts?“, wunderte sich der Vater.
Wambli-luta nickte. „Nichts. Ihre Leute kamen, und ich ließ sie laufen. Sie war sehr hübsch.“
„Ahhh, also doch nicht nur dürre Beine!“, meinte die Mutter triumphierend.
„Nein!“, gab Wambli-luta offenherzig zu. „Das nächste Mal hole ich sie mir!“ Seine Stimme klang entschlossen.
Die Eltern lachten über diesen Scherz, ahnten aber, dass ihr Sohn vielleicht erneut dorthin gehen würde. So ein hübsches Miwatani-Mädchen spukte ihm offensichtlich im Kopf herum.
„Wo sind die Pferde, die ihr erbeutet habt?“
Mit seinen Lippen, die er mit dem typischen „Entengesicht“ vorschob, deutete Wambli-luta auf den Eingang des Zeltes. „In der Mitte des Dorfes. Wir entscheiden später, wer sie erhält.“ Der junge Mann beugte sich vor und knetete seine Füße durch. Dann schlüpfte er in die warmen Mokassins. Gedankenverloren begann er damit, seine Haare zu entflechten. Es wurde Zeit, sich für den Abend herzurichten. Die Mutter nahm eine Bürste aus dem Schwanz des Stachelschweins und bürstete vorsichtig durch das lange Haar, dann legte sie es in drei Zöpfe. Zwei davon flocht sie seitlich am Kopf und umwickelte sie mit Otterfellstreifen. Den dritten, der über den Scheitel des Mannes gebunden wurde, fiel einfach hinten in den Nacken. Stolz musterte sie ihre Kinder. Wambli-luta zählte um die achtzehn Winter, während seine Schwester höchstens zwölf Winter zählte. Auch sie war hochgewachsen und schlank und ihre schwarzen Augen hatten einen weichen Schein. Ihr Bruder hatte ein markantes Kinn, das er gerne trotzig vorstreckte, und eine leicht gebogene Nase.
Seine Schwester hatte ein weicheres Gesicht, das eindeutig nach der Mutter geriet, nur dass bei dem jungen Mädchen die vielen Runzeln fehlten. Einst musste die Mutter eine wahre Schönheit gewesen sein, aber die vielen Hungerwinter hatten ihre Spuren hinterlassen. Die Mutter hieß Phazu-washté-win, Hübsche-Nase, und die Tochter Anpao-win, Morgendämmerung. Der Vater zählte bereits über fünfzig Winter und wurde Wahukheza-ksaheya, Gebrochene-Lanze, genannt. Er trug eine kleine Narbe unter dem rechten Auge, sodass sein Gesicht immer leicht zusammengekniffen wirkte. Viele Lachfalten deuteten aber auf ein freundliches Wesen hin. Gebrochene-Lanze lachte gern und viel. Die Zeit der Kriegszüge war für ihn vorbei, und so saß er gern mit den anderen Männern bei einem Wettspiel beisammen. Er war von den Häuptlingen als Wakincun gewählt worden, einer von vier Männern, denen die Verwaltung des Dorfes unterlag. Er hatte also eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Fast täglich saß er mit den anderen im Tipi, beriet über anstehende Maßnahmen und ließ die Entscheidungen über einen Herold verkünden.
Wambli-luta erhob sich und verließ das Tipi. Seine Eltern, die Großmutter und die Schwester folgten ihm. Sie hatten schöne Kleidung angelegt, um die siegreiche Rückkehr gebührend zu feiern. Eine gewisse Aufregung machte sich bei allen bemerkbar. In der Mitte des Dorfes hatten sich schon viele Menschen versammelt. Frauen standen in ihre Roben gehüllt in einem weiten Kreis, dazwischen huschten Kinder hin und her. Zwei Akicitas der Canté-tinza-Gesellschaft, die mit der Ordnungsfunktion über das Dorf betraut waren, hielten die Neugierigen zurück und ließen genügend Platz für die folgende Darbietung. Wambli-luta stellte sich zu den anderen Kriegern, die prächtig geschmückt darauf warteten, ihre Heldentaten zu erzählen. Sie hatten niemanden getötet, also verzichteten sie auf die schwarze Bemalung und den Waktegli, den Siegestanz. Stattdessen wurden die erbeuteten Pferde in den Kreis geführt. Thimahel-okile, Den-man-im-Zeltsucht, ein bewährter Krieger und Anführer des Kriegstrupps, machte eine große Geste mit der Hand. „Seht, was wir erbeutet haben! Die Miwatani haben sich in ihren Hütten verkrochen wie Feiglinge. Erst als wir ihre Pferde raubten, kamen sie aus ihren Löchern hervor. Sie schossen auf uns, doch unsere Medizin war stärker! Nun besitzen wir ihre Pferde!“ Stolz saß er auf seinem Pferd, ganz und gar der Anführer und Krieger. Er zählte dreimal zehn und fünf Winter, und sein Körper war sehnig und kraftvoll. Er hatte eine hohe Stirn mit tiefliegenden Augen, und sein Gesicht wurde dominiert von einer Nase, die wie der Schnabel des Adlers gebogen war. Er flößte schon durch sein Aussehen Respekt ein, doch jetzt – im vollem Kriegsschmuck und mit den Federn, die hinten im Haar hingen, wirkte er geradezu respekteinflößend.
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