Mato-wea erhob sich und holte das Gemüse. Sie hatten viele Vorräte, und es schien, als würde das Volk gut über den Winter kommen. Die Ernte des letzten Jahres war gut gewesen. Trotzdem war das Leben schwerer geworden. Normalerweise bezogen die Menschen im Winter kleine Hütten, die leichter zu beheizen waren, doch anhaltende Angriffe der Cha-rúwak, wie die Tituwan Suane von ihnen genannt wurden, zwangen sie auch im Winter, in ihren befestigten Dörfern zu bleiben. Cha-rúwak bedeutete Gras-Leute, denn wenn die Tituwan angriffen und dann von den Mandan verfolgt wurden, verschwanden sie einfach im hohen Gras. Seit dem Großen Sterben vor gut 25 Wintern war ihr Volk dezimiert worden und machte es den Feinden leichter, über sie herzufallen. Sie nannten sich die Numahkahke – die Mandan. Ihr Dorf hieß Mitutanka und war erst vor einigen Wintern an der Mündung des Knife-Flusses in den Missouri auf einer Anhöhe errichtet worden. Hier gab es wenig Holz, sodass die Frauen weite Wege gehen mussten oder angeschwemmtes Holz sammelten. Ihr Häuptling Sheheke shote war vor drei Wintern mit den weißen Händlern aufgebrochen, um den Großen Vater der Weißen zu treffen. Noch immer war er nicht zurückgekehrt, und das führte zu Unruhen unter den anderen Häuptlingen. Die Mandan wollten ihre Position als Handelspartner stärken und suchten damit den friedlichen Kontakt zu den Weißen. So, wie sie es in der Vergangenheit nicht nur zu Weißen, sondern auch zu anderen Stämmen schon erfolgreich getan hatten.
„Holst du mir Holz?“, fragte die Tante. Sie hieß Hohes-Wasser und hatte ihre Blütezeit schon lange überschritten. Die drei Geburten und die harten Winter hatten sie schnell altern lassen. Der Onkel hieß Shut-haska, was Puma bedeutete, und auch er war schon älter. Der Name war eindrucksvoll und zeigte, dass er mal ein gewandter Krieger gewesen war. Doch diese Zeiten waren vorbei. Sie nannte die beiden Mutter und Vater – aus Respekt, aber auch, weil sie es nie anders gekannt hatte.
Mato-wea nickte gehorsam und erhob sich. Sie legte sich wieder die Robe um die Schultern und nahm ein Beil, um Äste und Stämme zu einem handlichen Bündel hacken zu können. Die Tante gab ihr noch ein geflochtenes Seil aus gedrehter Bisonwolle mit, mit dem sie das Bündel schultern konnte. „Nimm deine Schwester mit, wenn du sie siehst!“
Mato-wea lächelte verschmitzt. Tante nannte die Cousine immer „Schwester“ – so wie sie die Nichte mit „Tochter“ anredete. Seit dem Tod der Mutter hatte sie die Mutterrolle übernommen, und Mato-wea war dankbar dafür. Sisohe-wea, Falkenfrau, war etwas jünger als sie und spielte vermutlich in einer anderen Hütte mit ihren Freundinnen.
„Ich nehme sie mit!“, versprach sie. Auch Sisohe-wea ließ ihre Haare inzwischen wachsen und musste sich auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter vorbereiten. Doch sie entwischte nur allzu gerne ihren Pflichten und verließ sich darauf, dass die ältere Schwester die Arbeiten erledigte. Mehrfach hatte Mato-wea ihre Schwester im Herbst ermahnen müssen, die Arbeit auf den Maisfeldern nicht zu vernachlässigen. „Die Krähen fressen uns den ganzen Mais weg, wenn wir sie nicht verjagen!“, hatte sie geschimpft. Aber wenn Sisohe-wea sie mit großen braunen Augen anhimmelte, dann konnte sie nie wirklich böse sein.
Mato-wea sah sich in dem Dorf um, dessen Hütten um einen großen freien Platz gebaut waren. Die Dächer waren mit Schnee bedeckt, und aus den Rauchlöchern stiegen feine Säulen in den Himmel. Niemand hockte auf den Dächern, weil es einfach zu kalt war. Nur in der Richtung zum Fluss stand einsam eine Wache auf einem Dach und lehnte schläfrig gegen einen langen Ast gestützt. Besonders aufmerksam sah er nicht aus. Mato-wea schlüpfte in das Erdhaus einer benachbarten Familie und fand ihre Schwester bei einem Würfelspiel mit anderen Mädchen. „Wir brauchen Holz!“, bat sie auffordernd.
„Hohch!“, stöhnte das Mädchen und erntete einen überraschten Blick der Matrone dieses Hauses. Nichts war schlimmer als ein faules Mädchen! Sofort bemerkte Sisohe-wea ihr ungezogenes Betragen und legte die Spielsteine beiseite. „Spielen wir nachher weiter?“, hoffte sie.
Die anderen Mädchen kicherten und erhoben sich ebenfalls. „Wir gehen mit! Unsere Mütter brauchen sicherlich auch Holz!“
Sisohe-wea klatschte in die Hände vor Begeisterung. „Ja, das ist schön! Und dann wärmen wir uns wieder auf.“ Sie glühte vor Stolz, als sie den wohlwollenden Blick der Matrone sah. Sie hatte ihre unbedachte Gemütsäußerung wieder ausgemerzt.
Mato-wea lächelte ebenfalls. So würde es viel mehr Spaß machen! Sie wartete, bis sich alle Mädchen in ihre warmen Umhänge gewickelt hatten, und führte sie dann in Richtung des breiten Flusses. Dort gab es immer Schwemmholz, das man neben dem Feuer trocknen und dann verwenden konnte. Der Fluss war noch nicht ganz zugefroren, und so musste man auch an den Stellen, die mit Eis bedeckt waren, gut aufpassen, wenn man sie betrat. Zwei Kinder waren beim Spielen bereits eingebrochen und wären fast unter die Eisdecke geraten. Es war ein seltsamer und gefährlicher Winter.
Die Mädchen gingen am Ufer entlang und plauderten kichernd über die letzten Neuigkeiten. Mato-wea erfuhr, dass eine junge Frau wohl ihr erstes Baby erwartete und es Streit zwischen zwei Eheleuten gegeben hatte. „Stellt euch vor“, erzählte Waschbären-Frau, „Guter-Habicht“ wohnt jetzt bei einem Freund. Seine Frau hat ihn einfach vor die Tür gesetzt.“
„Warum?“, wollte Mao-wea wissen.
„Er hat eine jüngere Frau als zweite Frau zu sich genommen, und nun ist seine erste Ehefrau wohl eifersüchtig.“
Mato-wea schüttelte den Kopf. „Hat er sie denn nicht gefragt?“
Waschbären-Frau zuckte mit den Schultern. „Anscheinend nicht.“
Mato-wea sah sie unsicher an. „Aber es ist doch gut, wenn sie Unterstützung bekommt.“
Waschbären-Frau wechselte einen wissenden Blick mit den anderen Mädchen und musterte Mato-wea dann streng. „Aber doch nicht, wenn er nur noch Augen für die Jüngere hat!“
„Hmh!“ Mato-wea runzelte die Stirn. Da hatte sie natürlich recht. Die Mädchen fanden schließlich einen großen Haufen angetriebenes Holz und machten sich daran, die Äste und Stämme auseinanderzuziehen. Mit ihren Beilen hackten sie das Holz in armlange Stücke und banden es zu tragbaren Bündeln zusammen. Ein eisiger Wind wehte, der ihnen die Arbeit erschwerte. Sie hatten keine Handschuhe an und machten immer wieder Pause, um die Hände unter dem Umhang zu wärmen. „Huh, kalt!“, rief Mato-wea vor Kälte zitternd.
Auch die anderen sahen auf und schienen für heute genug zu haben. „Lasst uns zurückkehren! Die Sonne geht schon unter!“, schlug Sisohe-wea vor.
Mato-wea nickte nur, denn auch sie fror. Sie schulterte ihr Bündel und trat dann in die Spur, die sie auf dem Hinweg hinterlassen hatten. Es war einfacher, dem kleinen Trampelpfad zu folgen, den sie in den Schnee getreten hatten. Es ging den Hügel wieder hinauf, und es war rutschig. Als sie die Ebene erreicht hatten, konnten sie schemenhaft den Palisadenzaun sehen und darüber den Wächter, der immer noch seinen Blick über das Land schweifen ließ. Hier und da lugte ein Dach über die Palisaden empor, sonst war von dem Dorf dahinter nichts zu sehen. Stattdessen standen westlich davon einige Totengerüste, und an der Seite des Flusses – dort, wo im Sommer die Felder zu sehen waren – standen die kleinen Plattformen, auf denen die Kinder und Mädchen saßen, um die Vögel zu vertreiben. Mato-wea beugte sich gegen den Wind, der nun von Westen her blies. Ein Warnruf schreckte sie auf, und sie verharrte, um nach dem Grund zu sehen. Oben auf dem Dach winkte der Wächter mit dem Speer hin und her und stieß Warnrufe aus. „Wiradar!“- Feinde! Ganz deutlich war das Wort über die Entfernung zu hören. Mato-wea ließ vor Schreck das Holz fallen und sah sich um. Tatsächlich! Über die Ebene galoppierte eine Gruppe feindlicher Krieger genau auf sie zu. Sie erkannte bei einigen bemalte Gesichter, die auf keine freundlichen Absichten hindeuteten. „Lauft!“, schrie sie den Mädchen zu. „Lasst das Holz liegen und lauft!“
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