Der Mann schüttelt zwar den Kopf, aber er glaubt es schließlich.
Berta tritt zu Arno, der neben der Hütte Fisch säubert. Sie grinsen sich an und sie sieht eine Weile zu, wie er schnell und geschickt Aale aufschneidet und die Eingeweide entfernt, einen großen Plötz schuppt und ihm den Kopf abschneidet. Viele Kunden, besonders die Frauen, zahlen gern ein bisschen mehr, wenn sie ihren Fisch küchenfertig bekommen. Die Abfälle wirft Arno in die Dünen, wo sich die Möwen lärmend darum streiten.
Als die Urlauber gegangen sind, kommt Paul dazu. »Alter Spinner«, neckt Berta ihn gutmütig.
»Na ja, man muss doch auch mal ein bisschen Spaß haben. Aber da kommt ein noch größerer Spinner.«
Ruben Fux wirft einen anerkennenden Blick in die Fischkisten und einen verächtlichen auf Arno.
»Da habt ihr ja mal Glück gehabt. Aber was kommt am Ende dabei raus? Was nehmt ihr für den Aal?«
»19 € das Kilo, abgezogen 27 €.«
»Na klar, da bleiben dann ja auch nur 7 kg übrig von 10«, schmälert er die Arbeit des Fischers.
»Richtig verdienen tut man doch erst am Fisch, wenn man ihn an die Urlauber verkauft. Portionsweise. Ich nehm euch gern alles ab, was ihr übrighabt.«
Er weist mit dem Kopf zu seinem Stand an der Promenade. »Guckt euch das an. Die stehen Schlange seit ich um zehn aufgemacht hab. Die Frauen kommen kaum nach mit dem Brötchenbelegen.«
»Ja, mit Butterfisch und Matjes, was bei dir alles unter ›fangfrisch‹ läuft.«
»Na und? Die Leute wollen doch beschissen werden.« Verärgert will er weggehen, dann fällt ihm etwas ein und er dreht sich noch einmal um.
»Wie war denn das Silvester im Kehr wieder ? Hast du den Gästen nicht erzählt, der Aal, den sie essen, wäre morgens noch im Meer geschwommen? Und die Ostsee war bis zum Horizont zugefroren? Wer ist denn eigentlich der größere Lügner von uns?«
»Das ist auf jeden Fall Paul«, mischt sich Berta ein. »Aber er macht das zum Spaß und du nur zu deinem Vorteil.«
»Ja, nimm du mal deinen Freund in Schutz.«
Das klingt aber schon wieder ganz friedlich. Jetzt bleibt er auch stehen und bietet Plötz sogar eine Zigarette an. Eine Weile rauchen sie schweigend und sehen dabei auf das Meer hinaus. Fux kneift die Augen zusammen. »Da ist eine Robbe, siehst du. Die beobachtet das Netz. Wenn sich der Steurer bewegt, weiß sie genau, da ist ein Fisch reingegangen. Dann taucht sie hin und holt ihn sich.«
Paul Plötz sieht nichts. »Du spinnst«, hofft er. »Es sind noch gar keine Robben da. Die kommen erst im Herbst.«
»Nein, kannst glauben, da ist wirklich eine. Wir werden die hier auch nicht mehr los, das steht fest. Und schließlich haben die auch ein Recht auf ihr Leben. Ich finde die sogar ganz niedlich, die Viecher. Ich mag sie.«
Er wirft die Kippe in den Sand und tritt sie aus. »Das bringt nichts mehr, Paul, nicht, wie ihr das macht. Wir müssen uns was Neues einfallen lassen. Ich hab eine Idee. Wenn das klappt, haben wir alle was davon. Aber da müssen wir mal in Ruhe drüber reden. Jetzt muss ich los. Haut rein!«
Eine Stunde später sind die beiden Fischer und Berta allein. Arno hat fast alles verkauft, er macht noch den letzten Aal sauber.
»Den könnt ihr für die Gaststätte haben«, sagt er. »Soll ich ihn abziehen?« »Ja, gerne. Danke, Arno.« Berta nickt dankbar und folgt Paul in die Bude.
Der hat seit Rubens Abgang kaum noch gesprochen. Schlechte Laune ist in letzter Zeit sein Normalzustand, aber heute wird es selbst Berta zu viel.
»Nun lass dich doch von Fux nicht so runterziehen«, schimpft sie. »Du kennst ihn doch. Er will dich bloß ärgern.«
»Ach, er hat ja recht. Das sind nicht nur die Robben, die Mistviecher, die uns das Leben schwer machen. Das geht hier alles den Bach runter, guck dich doch mal um.«
»Ich sehe einen guten Fang, den ihr gemacht habt und eine Menge Leute, die den Fisch haben wollen. Was soll die Spökenkiekerei?«
»Das ist ja das Verrückte. Die Gäste wollen frischen Fisch haben und es gibt genug. Wir dürfen den bloß nicht fangen. Den Fischen geht es besser als den Fischern.«
Er blickt zur Tür. »Ach, guck an, ein seltener Gast. Schickt Renate dich her? Sie wartet wohl auf den Fisch?«
Anne nickt. »Ja, sie hat heute Mittag alles verkauft und will wissen, ob ihr noch dicken Aal habt, zum Sauerkochen.«
»Ach Gott, das tut mir leid. Sie hätte doch anrufen können.« Berta weiß, dass die Köchin jetzt eigentlich Pause hat, sie hat Teilschicht und muss heute Abend noch einmal wiederkommen.
»Dein Smartphone liegt auf dem Stammtisch. Ich soll den Fisch gleich mitbringen.«
»Nun nimm uns mal nicht die Ruhe. Setz dich erst mal hin. Ierst de Piep in Brand und denn dat Pierd ut’n Groben.«
»Erst die Pfeife in Brand und dann das Pferd aus dem Graben«, übersetzt Berta für Anne, die den Fischer verständnislos angesehen hat.
»Ja, gut, aber Renate wartet.« Zögernd lässt sie sich auf einem Stapel Fischkisten nieder.
»Ich bring den Aal hoch«, ruft Arno durch die Tür. »Ich fahr dann auch gleich nach Hause, oder ist noch was?«
»Nee, mach mal. Bis morgen«, antwortet Paul seinem Kollegen. »Und du?«, wendet er sich an Anne. »Bleib sitzen, wenn du schon mal da bist. Willst ein Bier? Oder lieber einen Korn?«
Berta lacht. »Paul, das ist wie früher. Da könnte manche Bansinerin ein Lied drüber singen. Wie oft hat eine Frau ihren Mann zum Strand geschickt: ›Hol uns mal ein paar Heringe zum Mittag!‹ Und er kam drei Stunden später ohne Hering aber blau wie ein Stint wieder.«
Anne sieht sich um. Der alte Fischer hat aus zwei aneinander gebauten Buden durch Entfernen der Zwischenwand eine gemacht und jetzt genügend Platz für einige Stapel Plastikkisten, einen Berg Netze, einen großen alten Sessel, der neben dem jetzt kalten, eisernen Ofen steht und in dem er sitzt. Bertas Platz ist ein alter Küchenstuhl, der zweite, den Arno benutzt, wenn er Netze flickt, steht unter dem Fenster. Auf einem wackligen Holztisch, der an die Wand gelehnt ist, stehen ein Wasserkocher, ein paar Gläser und Tassen und eine Kaffeedose. Ein Kasten Bier wurde unter den Tisch geschoben, die Schnapsflaschen sind zwischen den Netzen versteckt.
»Wie lange steht die Baracke hier eigentlich schon?«, lenkt Anne ab. »Ganz früher standen hier doch lauter einzelne Buden, nicht?«
»Eine Langbude ist das«, präzisiert Paul. »Ja, die Alten hatten ihre Buden am ganzen Strand entlang stehen, bis nach Heringsdorf. Immer mit Abstand dazwischen. Da gab es Bansin noch gar nicht, jedenfalls das Seebad. Die Fischer kamen aus Dorf-Bansin, Sallenthin und Sellin. So um 1900 haben sie dann die ganzen Hotels und Pensionen gebaut. Die Fischer wohnten immer noch in den Dörfern. Morgens, wenn es hell wurde, im Sommer gegen drei oder vier, gingen sie zum Strand. Unterwegs haben sie sich getroffen und sind dann laut palavernd und mit ihren Holzpantoffeln über das Kopfsteinpflaster klappernd durch den Ort gezogen. Die Gäste – ein vornehmes Volk war das hier in Bansin, lauter Adlige und hohe Militärs, die haben gesoffen wie die Löcher – sind erst zwei Stunden vorher aus der Bar gekommen. Da gab es massenhaft Beschwerden.«
Er lacht. »Was sollten sie machen? Sie konnten die Fischer ja nicht abschaffen oder sonst wohin verbannen, die hatten die älteren Rechte. Aber Gäste brauchten sie auch. Bürgermeister Schmadtke war es dann, der in den Dreißigerjahren eine Lösung fand: Die Fischer sollten durch den Wald gehen – heißt ja heute noch Fischerweg, auch wenn es jetzt eine Straße ist – und da, wo der Weg am Strand endet, wurde die Langbude gebaut.
Jeder Fischer bekam als Entschädigung für seine alte Hütte eine zwei Meter breite neue Bude und den Streifen davor bis zum Wasser pachtfrei auf Lebenszeit. Oder für immer, ich weiß nicht so genau, was in dem Vertrag drinsteht. Theoretisch müsste der noch auf dem Gemeindeamt liegen, aber praktisch werden sie ihn wohl entsorgt haben; spätestens als Bansin mit Heringsdorf und Ahlbeck vereint wurde. Warum sollten die sich auch mit was belasten, was den Fischern nützt?«
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