1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 (1) Wiederum spielte Jesus nach vielen Tagen auch mit anderen Kindern auf dem Söller eines Hauses. Eins der Kinder jedoch stürzte hinab und starb. Als das die anderen Kinder sahen, gingen sie nach Hause. Sie ließen Jesus als einzigen zurück. (2) Und die Eltern des Toten kamen, machten Jesus Vorwürfe und sprachen: „Du hast unser Kind hinabgeworfen!“ Jesus aber antwortete: „Ich habe das Kind nicht hinabgeworfen!“ (3) Während jene tobten und schrieen, stieg Jesus vom Dach hinunter, stellte sich zum Leichnam und rief mit lauter Stimme: „Zenon, Zenon (denn so hieß er), stehe auf und sage, ob ich dich hinabgeworfen habe!“ Und der stand auf und sprach: „Nein, Herr!“ Und als sie es sahen, staunten sie. Und Jesus sprach abermals zu ihm: „Lege dich wieder zur Ruhe!“ Und die Eltern priesen Gott und beteten das Jesuskind an.4
Das Petrusevangelium (EvPetr 9,35–11,45; ca. 1. Hälfte 2. Jh. n. Chr.) schildert, anders als die ntl. Evangelien, den eigentlichen Wundervorgang:
(9,35) In der Nacht, in der der Herrentag anbrach, als die Soldaten jeweils zu zweit Wache hielten, erscholl eine laute Stimme im Himmel. (36) Und sie sahen, wie die Himmel geöffnet wurden und zwei strahlend leuchtende Männer von dort herabkamen und sich dem Grab näherten. (37) Jener Stein aber, der vor der Tür lag, zog sich von selbst rollend teilweise zurück und das Grab öffnete sich und beide jungen Männer gingen hinein. (10,38) Als jene Soldaten nun (dies) sahen, weckten sie den Zenturio und die Ältesten, denn auch sie waren geblieben, um Wache zu halten. (39) Und als sie berichteten, was sie gesehen hatten, sahen sie wiederum, wie drei Männer aus dem Grab herauskamen, wobei zwei den einen unterstützten und ein Kreuz ihnen folgte. (40) Und der Kopf der zwei reichte bis zum Himmel, der des von ihnen Geführten überragte die Himmel. (41) Und sie hörten eine Stimme von den Himmeln, die fragte: „Hast du den Gestorbenen gepredigt?“ (42) Und eine Antwort wurde gehört vom Kreuz: „Ja.“ (11,43) Sie überlegten nun miteinander, wegzugehen und dies dem Pilatus zu sagen. (44) Und als sie noch berieten, erschienen die Himmel wieder geöffnet und ein Mensch kam herab und ging ins Grab. (45) Als sie dies sahen, eilten die um den Zenturio nachts zu Pilatus und verließen das Grab, das sie bewachten. Und sie berichteten alles, was sie gesehen hatten, und sagten voll großer Angst: „Er war wirklich Gottes Sohn.“5
Die apokryphen Wundertexte bieten tendenziell eine fiktionale Anpassung Jesu an bekannte Wundertäter und Heroen der religionsgeschichtlichen Umwelt. Die Zeichenfunktion der Wunder auf das Wirken Gottes spielt keine Rolle.6
Form |
Vorkommen |
Akteure |
Besonderheiten |
Heilungswunder/Therapien |
Evangelien, Apg |
Jesus, Kranke, z.T. Jünger und Helfer |
Betonung des physischen Aspekts (gilt für alle Gattungen) |
Exorzismen |
synEvv., Apg |
Jesus, Kranke, Dämon |
Wunder als Machtkampf |
Totenerweckungen |
Evangelien, Apg |
Jesus, Toter, Angehörige |
sparsamer Gebrauch; Skepsis der Augenzeugen (außer Lk 7) |
Geschenkwunder |
Evangelien |
Jesus, Jünger, andere |
Zeichen messianischer Fülle |
Normenwunder |
Evangelien |
Jesus, Kranke, Gegner |
Vollmachtsfrage; Motive der Ablehnung Jesu |
Natur- und Rettungswunder |
Evangelien, Apg |
Jesus, Jünger/Apostel |
Furchtmotiv |
Strafwunder |
Apg 5; 13; 19 |
Apostel, Gegner, Augenzeugen |
Strafwunder fehlen in den Evangelien |
Epiphanien |
Evangelien, Apg |
Gott, Engel, Christus, Geist, Adressaten |
Klären die Bedeutung Jesu Christi |
Metamorphosen |
synEvv., 1 Kor 15 |
Gott, Jesus, Jünger |
physisch-leiblicher Aspekt |
Führungswunder/Entrückungen |
Himmelfahrt; Mt 2,1–23; Apg 8 |
Gott, Geist, Jesus, Jünger; Apostel u.a. |
Klären die Bedeutung Jesu; lenken die Mission |
Kosmisch-apkl. Zeichen |
Mk 13parr.; Mt 27f.; Apg; 2 Petr 3; Apk |
Jesus, Augenzeugen; Apostel (Apg); satanische Mächte |
beschränkt auf Tod und Auferstehung Jesu, Parusie und Weltende |
Prophet. Zeichenhandlungen |
Feigenbaum, Fisch-Wunder, Stater-W. |
Jesus, Jünger |
Prophetische Ansage steht im Fokus |
Vergleich traditioneller Wundergattungen
1.7 Wunderspezifische Termini
Der Abschnitt klärt zentrale Fachtermini, welche die religionsgeschichtliche Einbettung der Wunder Jesu betreffen (Charisma, Dämonen, Magie, Zauberei, Schamanismus), solche, die mit der Wundererfahrung zu tun haben (Mythos, Spiritualität, Mystik) und solche, welche die historische Wahrheitsfrage betreffen (Rationalismus, weiche Fakten sowie Faktualität und Fiktionalität).
Charisma meint umgangssprachlich die Ausstrahlungs- und Überzeugungskraft eines Menschen. Der biblische, maßgeblich von Paulus geprägte Begriff bezeichnet eine besondere Gabe der Gnade (gr. cháris ) bzw. des Heiligen Geistes (gr. pneumatikón , Röm 12,3–8; 1 Kor 12,1–11). Jesus gilt als der Geistträger schlechthin: Er ist vom Geist gezeugt (Lk 1,35; Mt 1,18.20), erhält ihn bei der Taufe (Mk 1,9–11parr.), er ist immun gegen satanische Übergriffe (Mt 4,1–11parr.), entwickelt Überzeugungskraft und mehr, was zum Gelingen seines Auftrags beiträgt.1 Deutlich wird an Jesus die polarisierende Wirkung von Charisma (→ 2.4.1).
Dämonen (gr. daimónia ) sind, etymologisch betrachtet, Wesen, welche den Menschen das göttlich bestimmte Schicksal zuteilen (gr. daíomai , zuteilen).1 Sie sind demnach Mittlerwesen zwischen der göttlichen und der menschlichen Sphäre, Engeln und Geistern vergleichbar.2 Die terminologische Vielfalt3 signalisiert die umstrittene Personhaftigkeit der Mittlerwesen.4 – Im Textbeispiel rettet ein Dämon Apollonius von Tyana das Leben (Philostrat, VitApoll 4,44,5–16):
„Man hatte sich gegen ihn einen Ankläger verschafft, der schon vielen zum Verderben geworden war und zahlreiche Olympische Siege dieser Art vorzuweisen hatte. Dieser Mann hielt eine Anklageschrift in der Hand, die er wie ein Schwert gegen Apollonius schwang, mit den Worten, sie sei ganz scharf gewetzt und werde ihn dem Verderben preisgeben. Als nun Tigellinus dieses Schriftstück auseinanderrollte, fand er darin nicht die geringste Spur einer Schrift vor, sondern sah nur ein unbeschriebenes Buch vor sich. Er kam deshalb auf den Gedanken, dass hier ein Dämon im Spiel sei. Ein ganz gleicher Vorgang soll sich auch später unter Domitian ereignet haben.“5
Das AT hält Dämonen für Gott unterstellte Boten.6 Dämonenglaube wird weithin abgelehnt.7 Engel und Dämonen werden unterschieden (Dan 8f.; vgl. Gen 6,1–4 als Dämonen-Ätiologie). Für Philo von Alexandria sind Dämonen unkontrollierbare Mächte, die Gutes und Schlechtes bewirken (Gig 16–18; Somn 1,141). Josephus sieht in ihnen gequälte Totengeister sündiger Menschen bzw. Rachegeister Ermordeter (Bell 7,185; Ant 13,317). Die frühjüdische Apokalyptik verortet sie im kosmischen Dualismus von Licht und Finsternis (1 QS 3,25; 4,9ff.).
Im NT gelten Dämonen als Handlanger Satans, die für Krankheiten, Verführung, Irrlehre und die Lügenpropaganda des röm. Imperiums verantwortlich sind.8 Die Unterscheidung der Geister ist daher eine existenzielle Aufgabe im frühen Christentum (1 Kor 12,10; 1 Joh 4,1). Jesu Exorzismen sind das Fanal des kosmischen Endkampfes zwischen Gott und Satan nach dessen Entmachtung im Himmel; der Heilige Geist überwindet die Dämonen in Exorzismen (Mt 12,28).9
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