Man legt die Braut in einen mit rosa Satin gefütterten Sarg. Der Bräutigam lädt die Männer ein, sich ihrer reihum zu erfreuen. Die Kinder drängen sich alle um den Sarg, um zuzuschauen. Die Männer in ihren Stiefeln steigen mühsam hinein, als Erster der Patriarch bis hin zum jüngsten Neffen, einem mädchengesichtigen Knaben mit dem Lächeln eines sanften Clowns, während der Bräutigam Rauchringe an die Decke bläst. Weich wie Seide, sagt der junge Neffe, und sie müssen ihn fortzerren. Empörte Frauen legen den Sargdeckel wieder auf. Die Ehe ist vollzogen worden. Die Gäste begeben sich auf die Terrasse, wo ein Empfang für eine berühmte Schauspielerin stattfindet.
Die Kinder haben den Sargdeckel mit dem Stiel eines Gartenrechens aufgestemmt. Jetzt klettern die kleinen Mädchen darin herum. Plötzlich kommt aus dem Sarg ein Kopf hervor, der eine Ansprache hält: »Die Frau ist zum Teil weniger als ein Mensch, zum Teil mehr als ein Mensch und zum Teil Mensch.«
Braut und Bräutigam spielen im Garten Fangen. Unsicher, mit verbundenen Augen taumelt sie einher, die Arme von sich gestreckt, und umarmt voll Leidenschaft einen Baumstamm.
*
Ziemlich hoch in der Wandtäfelung zu ihrer Linken, fast schon hinter ihr, schreibt ein Schriftgelehrter oder Engel; vielleicht nur eine Reproduktion aus einem Buch, ihr Auge erhascht lediglich die Geste einer Hand, übergroß und heftig … einer der Evangelisten? Ein Engel, der ihr eine Botschaft bringt – an dieser Vorstellung hält sie fest wegen seiner beunruhigenden Gegenwart, gar nicht wie aus einem Buch; er fuchtelt und schneidet Grimassen, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Es ist ein bärtiger Engel mit einem komischen Judengesicht, die Bibel in der Hand; jetzt verwandelt er sich in ein Renaissanceputtchen auf einem Springbrunnen, dann in einen Faun …
Wie ist Ezra bloß reingekommen?
Wie machte Ezra das bloß?, fragt sie sich verwundert, noch halb im Schlaf auf ihrem Weg in die Küche. Es ist vier Uhr vorbei. Sie wird einen Tee trinken.
Wie ist Ezra bloß hereingekommen, durch welche List, Täuschung oder Zauberei, wo ihre Tür doch verschlossen war? Sie verweigerte sich immer, allen Männern; auch Ezra. Ihr Blick, ihr Gang, ihre Art, sich zu kleiden, zu sprechen oder auch zu schweigen, drückten das deutlich genug aus. Sie wartete auf einen anderen. Vielleicht auch auf gar keinen. Sie hatte es völlig ernst gemeint, als sie Ezra erklärte, sie könne ihn nicht heiraten, da sie gerade dabei sei, etwas zu entscheiden, sich aber noch nicht entschieden habe. Ezra hatte verstanden; es war sein gutes Recht zu versuchen, sie vom Gegenteil zu überzeugen, ihr abzuraten, diesen Weg allein zu gehen, wohin er auch führen mochte – sie gäbe ja zu, dass sie im Zustand von Unwissenheit nicht überblicke, wohin sie ihre Wege führen würden. Aber Ezra war sich sicher. Sie erinnert sich nur, dass er die ganze Zeit ihre Worte wie auch ihr Schweigen in eine andere Sprache übertrug, brillant, polyglott, fremde Ausdrücke aus dem Griechischen, Deutschen, Lateinischen, Hebräischen, Französischen; Verse des Alten Testaments. Sie versuchte dabei, seine Züge im Dunkeln zu erkennen: das Gesicht veränderlich wie Spiegelung auf dem Wasser; mal die Hände in ihrem Haar, mal tastende Finger zwischen Bluse und Rock, Rock und Unterrock, dann sachte an ihrem Schenkel hinauf; die Stimme, atemverflochten, streift ihre Wange, Hals und Ohr; Finger schleichen wie auf Samtpfoten durch ihr Gebüsch, und bevor sie wusste, was sie tat, hatte sie schon ihre Hand auf die seine gelegt und gesagt, ich will alles.
Und lächelnd dagelegen, als wäre es schon geschehen, während er sie besorgt fragte: Bist du denn sicher, dass du das wirklich willst? Und: Was ist, wenn ich dir ein Kind mache? Beim ersten Mal tut es weh. Und dringt bereits in sie ein, nachdem er sie aufgerichtet und in Stellung gebracht hat, und flüstert ihr ins Ohr, während sie seinen Kopf umklammert. Es ist ein ganz schönes Stück Arbeit, eine Frau zu deflorieren, meint er. Dann lässt sie ihn los, ihre Hände fallen von ihm ab, ihr Kopf rollt zur Seite, und das Zimmer kreist an ihren offenen Augen vorbei: links, in ihrer Blickrichtung auf dem Boden sein Schuh mit darinsteckendem Portemonnaie; im Fenster ganz rechts der Lichtfleck der anbrechenden Dämmerung und in der Mitte Ezra, rittlings aufsitzend, seine Knie dicht an ihre Rippen gepreßt, hoch aufgerichtet Ausschau haltend in weite Fernen, viele Reitermeilen Steppe zurücklegend und noch immer vorstoßend, sie glaubte, er bricht ihr noch durchs Schädeldach; dann noch ein Atemzug, und atmet jetzt gemächlich, voller Genuss, warme Flüssigkeit rieselt an ihrem Schenkel hinab, sein Glied, hinausgeschlüpft, liegt ruhend auf ihrem Schenkel, nachdem Reiter und Reittier gestrauchelt und gemeinsam hingeschlagen sind, und beide schliefen sie ein.
Sie wollte eigentlich etwas anderes. Sie kämpften beide gegen die eigenen Träume und Neigungen an. Ezra wollte ungewöhnlich sein, und sie wollte vielleicht einfach aufhören zu träumen, jungfräulich zu warten; seine Lüge, sie zu begehren, begehrte aber nur, wovon er sich nicht losreißen konnte; er wollte es selber glauben und sie glauben machen: dass er sie begehre; belog sich selbst, bis er es glaubte. Sie hielt, schweigend, die Wahrheit noch immer für ihr kostbarstes Gut wie eine letzte Münze in ihrer Hand – vielleicht war sie wertlos –, und im Handumdrehen hatte sie sie fortgeworfen und stand mit leeren Händen da, so dass es Ezra möglich war.
Szenen aus einem anderen Leben überspielt, jetzt von keinem Wert, denkt sie beim Teetrinken. Sie liegt im Bett, beobachtet still das Fenster. In zwei Stunden wird der Wecker läuten.
Die Täuschung ist endlos. Lachen. Weinen. Fluchen. Bestenfalls schafft sie es noch zu atmen, mehr auch nicht. Die Nacht verblasst. Bald wird es dämmern. Der Tag wird anbrechen. Das trübe Licht, erst ganz dicht, klärt sich, bis es ganz schwerelos geworden ist; es gibt nur noch die reine Oberfläche des Tages, die Stadt von Straßen und Gebäuden, die Wände innen und außen; alles wird nur aus Oberfläche bestehen, auf welcher die scharf umrissenen Schatten anderer Oberflächen erscheinen.
*
So grauenhaft, frivol oder sinnlos, wie es Sophie vorkommt, kann es in Paris eigentlich gar nicht sein. Nichts von dem, was sie tut, kann sie ernst nehmen. Obwohl sie endlich ausgepackt hat und sogar ein Zimmer für ihre Tochter mit Vorhängen ausgestattet und ein teures Sofa erstanden hat. Unwichtig. Ebenso die Verhältnisse, die sie mit verschiedenen Männern hat. Es liegt einfach in der Natur der Sache: einem verheirateten Mann einmal die Woche als Mätresse zu dienen, kann man nicht ernst nennen. So wie Roland immer sagt, es wäre katastrophal, wenn sie sich in ihn verlieben würde. Er bringt ihr Paradiesvogelblumen und Exemplare von Kunstbüchern begrenzter Auflagen (er hat eine führende Stellung in einem Verlagshaus und kann ihr wertvolle Beziehungen verschaffen); hinterher feiern sie immer mit Austern und erlesenem Weißwein, und er ist ein großer Mann, und wie er aussieht, wenn er von seinem kleinen Sohn spricht – das alles gefällt ihr zwar, aber was soll sie in der Zwischenzeit, von Dienstag bis Dienstag, damit anfangen? Besser, es nicht ernst zu nehmen. Hatte sie denn nicht den Fehler begangen, ihre eigene Ehe ernst zu nehmen? Aber offenbar ist sie auch nicht für die Rolle der » petite maîtresse « geschaffen. Sie spielt die Rolle der »anderen Frau« ebenso schlecht wie die der »Einen«, es ist nur die Kehrseite der ohnehin schlechten Medaille. Die meisten Männer wollen getäuscht werden. Dagegen ist ein perverser Schmutzfink und Widerling wie Gaston geradezu erfrischend. Für ihn muss eine Frau Hure sein, er zieht das ganze Zubehör aus seiner Schublade und demütigt dich; keiner spricht hier von Liebe oder wechselseitigem Glück, es gibt eine Rauferei, und seltsamerweise wird die Widrigkeit zum Genuss. Pervers? Es ist schon eine Leistung, mit Gaston überhaupt fertigzuwerden, aber ernst zu nehmen ist es bestimmt nicht. Alain dagegen ist ein Langweiler, aber sie braucht ihn, um die Runden zu machen. Dann, unter den ehemaligen Verehrern, ist da noch Nicholas, der gerade mit seiner schwangeren Frau und Zwillingen nach Rom umzieht und sich einbildet, immer noch in sie verliebt zu sein. Er würde sie sich gern als seine Pariser Mätresse halten, und Sophie findet den Gedanken widerwärtig, aber die alte Bindung ist nun einmal da. Und genaugenommen, wenn sie sich nun wirklich auf Lebenszeit in Paris niederlassen sollte, wäre es wahrscheinlich auf Dauer gesehen gar nicht so schlecht, seine Pariser Mätresse zu sein: eine nette, verlässliche Einrichtung wie etwa die jährlichen Auftritte des Budapester Streichquartetts oder des russischen Balletts … Um die Lücken in ihrem Leben auszufüllen. Ein abscheulicher Gedanke. Was aber den jungen Mann in New York betrifft, so ist es überhaupt nicht klar, weshalb sie diesen merkwürdigen Briefwechsel fortsetzt, es sei denn, sie wäre tatsächlich dem Schicksal oder einem aberwitzigen Wahn in die Klauen geraten. Absurd und zum Verrücktwerden, dass sein Bild sie noch immer verfolgt, wo sie sich doch gerade auf ihr neues Leben in Paris einrichten sollte. Es geht einfach ums Überleben, sagt sie sich immer wieder; einen Teil ihrer Selbst in Briefform zurückzugewinnen. Denn es kann ja nichts daraus werden. Er ist einfach viel zu jung und viel zu versponnen. Sie muss an ihre Kinder denken. Es war einfach lachhaft, von einer Zukunft zu reden. In diesem Einvernehmen hatten sie sich auch getrennt. Aber jetzt diese Briefe, die seine und ihre Trauer und Resignation ausdrückten, allein schon die Tatsache, dass diese Briefe geschrieben wurden … Es ist schon teuflisch, denn sooft sie glaubt, es ist vorbei, dass sie nie wieder von ihm hören wird, am ersten Tag, an dem sie sich von seinem Phantom befreit fühlt, trifft unweigerlich ein Brief von Ivan ein. Sie beantwortet ihn natürlich auch. Es dauert eine ganze Woche, bis sie ihn aus allen Einzelheiten wieder zusammengeflickt, seine Zeilen mit früheren Briefen und Erinnerungen verglichen hat, um ihn dann in einem verschlossenen, gestempelten Umschlag in den Schlitz des CTP-Kastens auf den Weg zu schicken. Dann die Phase von Schmerz, Hoffnungslosigkeit, Erholung. Bis sein nächster Brief, allein schon die Schriftzüge auf dem Umschlag, das Vexierbild wieder aufsteigen lassen, und wieder vergießt sie Tränen der Wonne und des Jammers und verwünscht ihn im gleichen Moment, da sie sich hinsetzt, um den Zeremonialgegenstand zu rekonstruieren, damit er wie ein Brief aussieht.
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