Nun bildeten sich Schweißperlen an meinen dicken Hals, die langsam meinen Rücken runterliefen und mein Hemd durchnässten. Der kalte Schweiß stand mir auf der Stirn, schließlich hatte ich ja gar kein Geld zum Einzahlen mitgebracht. Die Idee mit dem „geheimen Konto“ war doch eh nur eine blöde Träumerei. Tja, aber nun saß ich hier und der Kerl im Anzug wollte von mir eine Summe hören. Ich überlegte kurz, ob ich noch irgendwie aus der Nummer rauskomme, aber mir fiel nichts ein. Also antwortete ich ihm. »Ich könnte mir vorstellen, mit 100 anzufangen.« Während er daraufhin den Einzahlungsbeleg fertig machte, fragte ich mich, wie ich das später Gudrun erklären solle. Soll ich ihr etwa sagen, dass wir heute nicht lecker Essen gehen, weil ich 100 DM auf einem Sparkonto in Österreich eingezahlt habe? Ich bin so doof, dachte ich und hörte den Mann wie durch einen dicken Nebel erklären, dass viele Anleger erst einmal klein anfangen und später, nachdem mehr Vertrauen zu der Bank besteht, die Beträge erhöhen. So langsam gewann ich meine Sicherheit wieder zurück. »Klar, später kann ich auch mehr einzahlen«, sagte ich. Dann warf ich einen Blick auf den Einzahlungsschein, den mir der junge Mann entgegenhielt. Ja, da standen wirklich 100 drauf. Aber mit drei weiteren Nullen hintendran, 100.000 DM Einzahlungssumme!
Ich wurde rot und ich weiß gar nicht mehr genau, was ich sagte, aber ich erklärte ihm, dass ich mit der 100 eher 100 DM meinte. Mit einer Schnelligkeit, die ich ihm gar nicht zugetraut habe, sprang er aus seinem dicken Sessel, rannte förmlich um den Schreibtisch, nahm mir den Einzahlungsschein aus der der Hand und zerriss ihn. Noch heute bin ich froh, dass er mir nur das Wasserglas weggenommen und mich nicht verhauen hat. Ruckzuck schubste er mich aus der Tür und sagte zu der schick gekleideten Dame »Herr Rojek möchte bei Ihnen etwas einzahlen« und schloss die Tür hinter sich. Wow, da stand ich nun mit meinem nassen Hemd und einem hochroten Kopf vor der Bankmitarbeiterin. Diese lächelte verständnisvoll. Solche Situationen hatte sie bestimmt schon öfter mitbekommen. Sie ging mit mir zu ihrem Schreibtisch, füllte den Einzahlungsschein auf 100 DM aus, nahm das Geld und händigte mir ein Sparbuch mit einem Guthaben von 100 DM aus. Sie lächelte amüsiert, als ich mich stotternd von ihr verabschiedete und ihr noch einen guten Tag und ein frohes neues Jahr wünschte.
Als ich wieder draußen vor der Tür stand, schneite es schon bedeutend mehr. Ich ließ die Schneeflocken auf mein heißes Gesicht fallen und empfand die Kühle als einen Segen. Endlich raus hier und nun schnell weg von dieser Bank , dachte ich still und leise. Ich holte mir an der Tankstelle eine eiskalte Cola und exte die Dose in fast einem Zug leer. Man, man, man. Was war das gerade nur? Ich schaute auf das Sparbuch in meiner Hand. Jetzt musste ich ein wenig schmunzeln. Was der Bankangestellte in seinem Anzug nun wohl der schick gekleideten Dame über mich erzählen würde? Ach egal, ich habe mein Konto. Und wer weiß, vielleicht habe ich ja irgendwann einmal so viel Geld, dass ich es dann genau hier einzahlen kann. Glücklich und zufrieden fuhr ich also wieder in Richtung unserer Ferienwohnung nach Kempten.
Nach 41 Jahren kam Gudrun mit dem Sparbuch in der Hand die Treppe runter. »Schau mal«, sagte sie, »was ich oben gefunden habe. Ob das Guthaben noch existiert?« Ich versprach ihr, in den nächsten Tagen in Österreich anzurufen. Und ja, ich habe angerufen. Und es ist genauso, wie es mir der Bankkaufmann vor 41 Jahren erzählte: Keiner bekommt die Daten von der Bank. Ich konnte ihn fragen, was ich wollte, er verwies mich immer wieder darauf, dass er mir nichts sagen dürfte. Ich müsste persönlich vorbeikommen. Tja, und nun stellt sich bei mir die Frage, fahr ich für 100 DM noch einmal nach Österreich oder soll unser Enkelkind das Geld später bekommen? Wer weiß, was er dann für Zinsen und Zinseszins auf dem Sparbuch erhält …
»Als ich jung war, glaubte ich, Geld sei das Wichtigste im Leben, jetzt wo ich alt bin, weiß ich, dass es das Wichtigste ist.«
(Oscar Wilde)
1989 – Fanbetreuung aus dem Keller.
Ich denke schon, dass ich ein richtiger „Ruhrpottler“ bin, einer der seine Heimatstadt Gelsenkirchen liebt und der stolz auf das Ruhrgebiet ist. Aber die Entscheidung, unsere Kinder im Münsterland groß werden zu lassen, halte ich auch heute noch für richtig. Es war eine schöne Zeit in Saerbeck, dem kleinen Dorf in der Nähe des Flughafens Münster-Osnabrück.
In Saerbeck arbeitete und lebte ich, hier wurden unsere Kinder groß, hier habe ich den Schalker Fan-Club Verband aufgebaut und großgemacht. Täglich hatte ich neue Ideen, um die Fanbetreuung zu verbessern und einmal schrieb sogar eine Zeitung „Das Herz der Schalker Fan-Zentrale schlägt im Münsterland.“ Wir hatten dort ein schönes Haus mit rund 160 qm Wohnfläche und einem fast 100 qm großen Keller. Das war schon sehr groß, aber für Gudrun, mich und unsere drei Kinder noch nicht groß genug. Immerhin brauchte ich schon fast 100 qm für die Fanbetreuung und mein Sportgeschäft.
Unser Keller wurde zum Ausstellungsraum für Sportartikel und zum Schalke-Büro umgebaut. Im kleinen Schalke-Büro standen Schreibtisch und Aktenschränke und es hing eine ganz große Deutschlandkarte an der Wand. Auf dieser Landkarte wurde jeder Fan-Club mit einem Steckfähnchen mit seiner Mitgliedsnummer markiert. Jedes Mal, wenn ein neuer Fan-Club dem Verband beigetreten ist, hatten meine beiden Töchter Melanie und Susanne Streit. Denn beide wollten das neue Steckfähnchen auf der Landkarte platzieren. Ja, das ist Kinderarbeit zum Wohle der Schalker Fan-Club Kultur.
Damals hatte ich noch ein Sporthaus in Osnabrück, „Sport Clausmeier“ hieß der Laden. Ich hatte die Lizenzen für die Ware von adidas, Puma, Nike und anderen großen Sportartikelherstellern. Schon zu dieser Zeit war es mein Ziel, viele Vereinsmannschaften als Kunden zu gewinnen. Während es heute zig Anbieter für Vereinsausrüstungen gibt, war das früher nicht selbstverständlich. Daher hatte auch schnellen Erfolg mit meinem Vorhaben. Ich sponserte unter anderem die Osnabrücker Dart-Liga, darunter den Dart-Club von Mike, einem gebürtigen Engländer, der in Osnabrück stationiert war. Rund 40% des Umsatzes machte ich allein mit dem Verkauf von Pokalen und Dart-Zubehör. Dart spielen hat zwar Spaß gemacht, aber ich bin Fußballfan, oder besser gesagt, Schalker. Also gehörten auch Fan-Artikel in mein Sortiment.
Ich weiß noch genau, ich galt damals als Exot, als ich auf der ISPO, der größten Sportfachmesse in München, verschiedene Fan-Artikel kaufen wollte. Während andere Fachhändler für mehrere tausend DM Sportbekleidung kauften, holte ich nur Aufnäher und Aufkleber für etwa 200 DM. Aber ich war stolz darauf.
Mein Hauptberuf war aber in der Versicherungsbranche. Und ein guter Versicherungskaufmann zu sein, dazu ein erfolgreicher Sportartikelverkäufer, der nebenbei noch den größten Fan-Club Verband aufbauen und zusätzlich ein liebevoller Ehemann und Familienvater bleiben wollte, das war auch für mich unmöglich. Also verkauften wir schweren Herzens unser Sportgeschäft in Osnabrück und verlegten den Verkauf von Sportartikeln nach Saerbeck, in unseren Keller. Wir nutzen die etwa 80 qm für Regale und Verkaufsvitrinen, auf denen sich Pokale, Sportbekleidung und Fan-Artikel türmten. Es gab keine offiziellen Öffnungszeiten, es wurden telefonisch Termine vereinbart, egal ob früh morgens oder spät abends. Entweder war Gudrun als Ansprechpartner vor Ort oder ich.
Nicht selten klingelte es am Sonntagmorgen schon um 8:00 Uhr bei uns an der Tür und irgendwelche Fans aus Bad Oeynhausen oder Warendorf besuchten uns unangemeldet, um sich Fan-Artikel für den Fan-Club anzuschauen oder zu bestellen. Das Geschäftliche war meist schon nach ein paar Minuten erledigt und dann folgte fast immer die gleiche Frage »Was gibt es Neues auf Schalke?« Um diese Frage zu beantworten, brauchte es häufig mehr Zeit und endete in einem Frühschoppen, der nicht selten bis in die Mittagsstunden ging. Und bevor es dann endlich Mittagessen gab, klingelte es wieder an der Haustür und der nächste Fan-Club stand auf der Matte. So ging es bei uns manchmal das ganze Wochenende zu. Ich hatte häufig das Gefühl, dass viele Fans einfach nur so vorbeikamen, um mit mir über Fußball, Schalke und die Fanbetreuung zu reden. Und dazu gab es ja auch immer eine kostenlose Flasche Bier. Danach wurde oft nur ein Schal oder ein Aufnäher gekauft, aber Hauptsache, es war ein schöner Vormittag. Diese unangemeldeten Besuche störten Gudrun und mich nicht, denn auch das gehörte für uns zur Fanbetreuung.
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