»Aber …«, setzte sie erneut an.
»Gleich, Dinah«, würgte ihre Schwester sie ab. Khan Bassams Geschenk hatte ihr Interesse geweckt.
Unbehaglich schaute Dinah sich nach den Wachen um.
»Und was kann er?«, wollte Scheherazade nun wissen.
»Er ist ein fantastischer Geschichtenerzähler. Zwar wird er bestimmt Mühe haben, mit Dinharazades Fantasie und Erzählkunst mitzuhalten, doch ich denke, er wird während ihrer Abwesenheit trotzdem ein würdiger Ersatz sein.«
Entsetzt schauten die beiden Frauen ihn an, und Scheherazade schlug sich gar die Hand vor den Mund. Wie konnte Khan Bassam von ihrem Geschichtengeheimnis wissen? Und wieso ging er davon aus, dass Dinah Samarqand verlassen würde?
»Woher?«, stammelte die Königin.
Khan Bassam winkte ab.
»Ich bitte Euch, Majestät, verschwendet diesen wunderschönen Tag nicht mit einfältigen Fragen. Das steht Euch nicht gut zu Gesicht.« Der Wüstenkönig umfasste sein Knie mit beiden Händen und lehnte sich selbstgefällig zurück. Er genoss die Verwirrung, die er gestiftet hatte, sichtlich.
»Mit Verlaub, verehrte Scheherazade«, ergriff er wieder das Wort, »nur ein Narr könnte auf die Idee kommen, Euch töten zu lassen, wenn er sich stattdessen auch einfach jeden Tag aufs Neue an Eurer Schönheit erfreuen könnte. Noch dazu wo Ihr dem König jetzt auch noch einen solch prächtigen Erben geschenkt habt.«
Er beugte sich vor und fixierte Scheherazade, die während seiner Worte förmlich erstarrt war und seinen Blick ohne jede Regung wie eine steinerne Maske erwiderte. »Und Euer Schah ist doch wohl kein Narr, oder?«
Kapitel 3
Die Luft zwischen Scheherazade und Khan Bassam war während seiner Worte zum Schneiden dick geworden. Dinah war sich sicher, dass ihre Schwester ihm für seine Dreistigkeit am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte.
»Ich gehe nirgendwohin!«, rief sie in das bedrohliche Schweigen hinein. Khan Bassam wandte sich ihr zu und sah sie lange an. Dinah meinte, eine Spur von Bedauern oder gar Mitleid in seinen Zügen zu lesen.
»Doch, meine Teuerste, das werdet Ihr.« Damit stand er auf und klopfte sich den Staub von der Kleidung. Dann beugte er sich zu Dinah herunter und hielt ihr erwartungsvoll die Hand entgegen, als wolle er auch ihr aufhelfen. Verständnislos schaute sie ihn an.
»Was soll das?«, rief sie und war froh zu hören, dass ihre Stimme nicht zitterte, obwohl ihr immer mulmiger wurde.
Khan Bassam seufzte, als müsse er sich einem Schicksal ergeben, das er hatte vermeiden wollen. »Ich entschuldige mich für alle Unannehmlichkeiten, liebe Dinharazade. Aber ich werde Euch nun entführen.«
Ihre Schwester japste nach Luft und rief nach den Wachen, was dem Wüstenkönig jedoch keinerlei Reaktion entlockte. Er stand nur da, hielt Dinah die Hand entgegen und schaute sie fast bittend an.
Überfordert knetete Dinah ihren kleinen Finger, wie sie es immer tat, wenn sie angestrengt nachdachte. »Das ist völlig absurd!« Sie versuchte, Bestimmtheit und Ablehnung in ihre Stimme zu legen.
Scheherazades Rufe nach der Garde blieben vergeblich. Nun wiegte sie hilflos ihr Kind hin und her, das in der Aufregung drohte aufzuwachen. Wo blieben die Wachen bloß? Gab es hier womöglich eine Verschwörung?
Khan Bassam löste ein Fläschchen von seinem Gürtel. Einen Augenblick zögerte er, doch schließlich zog er den Korken heraus und machte eine Handbewegung, als wolle er den Inhalt herausschleudern. Dunkelblauer Rauch stieg aus dem Fläschchen auf, der ebenso aussah wie jener, in den sich die Skorpione vorhin aufgelöst hatten. Doch Dinah hatte gesehen, dass er diesmal ein anderes Fläschchen gewählt hatte. Gespannt hielt sie den Atem an und beobachtete die dunkelblaue Wolke, die sich verdichtete und anwuchs, bis sie sich schließlich zu einem Körper materialisierte. Entsetzt erkannte Dinah, dass sie die Form einer großen, sich aufbäumenden Schlange annahm. Scheherazade schrie auf und drückte ihr Baby angsterfüllt an sich. Auch Dinaharazade zuckte geschockt vor dem großen, schwarzen Tier zurück. Es züngelte ihnen entgegen und schien sich dann tatsächlich vor dem Wüstenkönig zu verbeugen.
»Lauf!«, flüsterte Dinah ihrer Schwester zu. Ihre Stimme war nicht mehr als ein Keuchen, doch Scheherazade verstand. Einen Moment, der Dinah unerträglich lang erschien, zögerte sie, dann schaute sie auf ihr Baby, das hilflos in ihren Armen lag. Endlich riss Scheherazade sich aus ihrer Schockstarre und rappelte sich auf. Prompt drehte die Schlange sich zu ihr um. Dinah sprang in die Hocke und schleuderte Sand auf die Geisterkobra und ihren Herrn, um sie von Scheherazade abzulenken. Die stolperte in ihrer Hast mehr davon, als dass sie rannte. Die Schlange bäumte sich erbost auf und zischte Dinah an. Dann züngelte das Tier ihrer Schwester hinterher und wiegte den Kopf, ganz so, als sei es unschlüssig, ob es ihr folgen oder sich auf Dinah konzentrieren sollte.
»Ihr beeindruckt mich, Dinharazade«, hörte sie Khan Bassam sagen. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Dinah konnte weder an seinem Tonfall noch an seiner Miene ablesen, ob sie ihn verärgert hatte. Selbst wenn. Wenigstens würden Scheherazade und Zayriddin gleich in Sicherheit sein.
Da schnipste Khan Bassam mit den Fingern, und die Schlange wandte sich von Dinah ab. Gerade, als sie erleichtert ausatmen wollte, bemerkte sie entsetzt, dass das geisterhafte Tier mit schnellen kräftigen Schwüngen die Verfolgung ihrer Schwester aufnahm. Sekunden später hatte es sie eingeholt und baute sich bedrohlich vor ihr auf. Dinah schlug sich erschrocken die Hand vor dem Mund.
»Genug jetzt!«, rief Khan Bassam. Die Schlange verharrte vor Scheherazade, die sich ängstlich duckte und keinen Schritt mehr wagte. Zayriddin beschwerte sich lautstark, dass seine Mutter ihn mit ihrer Flucht so unsanft geweckt hatte. Sein Schreien schallte durch den Palastgarten und zerrte an Dinahs strapazierten Nerven.
Erst als sie ihren Blick von Scheherazade löste, bemerkte sie, dass Khan Bassam sich wieder zu ihr gebeugt hatte und ihr seine Hand auffordernd entgegenhielt. Zögerlich legte sie ihre hinein und ließ sich von ihm auf die wackligen Beine ziehen. Sie konnte ihre Schwester und ihren Neffen unmöglich solcher Gefahr aussetzen. Galant bot Khan Bassam ihr seinen Arm, was Dinah angesichts der gegenwärtigen Situation äußerst höhnisch fand. Doch sie hatte keine andere Wahl, als sich bei ihm einzuhängen.
Als sie an ihrer Schwester vorbeikamen, hatte Zayriddin sich wieder etwas beruhigt. Doch Scheherazade stand der Schock nach wie vor ins Gesicht geschrieben. Sie zwinkerte unkontrolliert, als die Schlange sich von ihr und ihrem Kind abwandte, und Tränen quollen aus ihren Augen.
»Entschuldigt, meine Damen. So dramatisch war dieses Zusammentreffen eigentlich nicht geplant gewesen«, sagte Khan Bassam. Dinah schüttelte ungläubig den Kopf. Bei allen guten Mächten, sie wurde gerade tatsächlich entführt!
Wie ein Paar, das die Pracht der Pairidaeza bei einem Spaziergang genoss, schritten sie am Wassergraben entlang in Richtung des hinteren Ausgangs, wo sich die königlichen Plantagen am Rande der Stadt erstreckten. Nur die große, schwarze Schlange, die als geisterhafter Herold vor ihnen her kroch, trübte das friedliche Bild.
Als sie sich der Mauer näherten, die den Palastgarten begrenzte, keimte eine leise Hoffnung in Dinah auf. Sie hatte noch nie erlebt, dass die Wachen dort ihre Posten verlassen hätten. Und mit ihren blanken Säbeln würden sie dieser seltsamen Entführung sicherlich gleich ein längst fälliges Ende bereiten.
Doch als sie durch eines der großen Holztore in den Zwischengang schritten, in dem die königliche Garde sonst stand und den Palastgarten mit Adleraugen bewachte, da erstarb das zarte Pflänzchen von Dinahs Hoffnung, ehe es Gelegenheit bekommen hatte, Knospen zu tragen. Denn dort standen keine kampfbereiten Soldaten, um sie aus Khan Bassams Fängen zu befreien. Stattdessen lagen sie im Schatten der Mauer und hatten die Augen geschlossen. Fast hätte man meinen können, sie hätten ihre Pflicht vergessen und wären eingeschlafen. Doch einer von ihnen lag verrenkt, was nicht nach einem gemütlichen Nickerchen aussah. Und Dinah wusste ohnehin, dass sie niemals freiwillig ihre Posten verlassen hätten.
Читать дальше