Im Hinblick auf den Neurosebegriff ist an dieser Stelle aber zu betonen, dass er praktisch sehr eng mit psychoanalytischen Denktraditionen und Erklärungsmodellen verknüpft ist. In der psychoanalytischen Tradition wird das neurotische Symptom als Ausdruck einer nicht gelungenen, innerpsychischen Konfliktlösung zwischen den drei Instanzen des analytischen Strukturmodells der Persönlichkeit (Ich, Es, Über-Ich) gesehen bzw. als Reaktivierung nicht gelöster kindlicher Konflikte (Hoffmann und Holzapfel 1991). Im Zuge der schwindenden Bedeutung psychoanalytischen Denkens in der modernen Psychiatrie und Psychotherapie wird der Neurosebegriff im klinischen Alltag daher kaum noch gebraucht.
Tab. 2.7: Die verschiedenen Bedeutungen der Begriffe Psychose und Neurose

DefinitionsprinzipNeurosePsychose
Anders verhält es sich mit dem Psychosebegriff, der trotz seiner Bedeutungsvielfalt, unscharfen Abgrenzung und mangelnden Operationalisierung weit verbreitet ist und viel genutzt wird. Historisch wurde im DSM-3 der noch im DSM-2 zentral verwendete Psychosebegriff zugunsten des Störungsbegriffs aufgegeben (Peters 2011a). Dies war Folge der Grundsatzentscheidung bei der Klassifikation psychischer Störungen auf kausal-ätiologische Aspekte zugunsten rein deskriptiver Einteilungsprinzipien zu verzichten (Zurückweisung des kausal-ätiologischen Definitionsprinzips des Psychosebegriffs). Gleichzeitig wurde der adjektivische Gebrauch des Begriffs deutlich ausgeweitet (z. B. Depression mit psychotischen Symptomen), ohne dass jedoch eine klare begrifflich konzeptionelle Klärung des Psychosebegriffs vorgenommen worden wäre. Die Analyse des Sprachgebrauchs zeigt aber, dass die ab DSM-III gemeinte Definition des Psychotischen vor allem auf die dimensionale, nominale und funktionale Bedeutung abhebt. Das heißt, mit psychotischen Symptomen sind vor allem Halluzinationen, Wahn, Denkzerfahrenheit und katatone Symptome gemeint, die schwer und dazu angetan sind, die Kritik- und Steuerungsfähigkeit der Betroffenen zu beeinträchtigen.
Der Begriff Psychose hat verschiedene Bedeutungen. In seiner im Alltag am häufigsten gemeinten Form bezeichnet er Halluzinationen, Wahn, Ich-Störungen und Denkzerfahrenheit, die oft mit einer Verminderung der Kritik- und Steuerungsfähigkeit einhergehen.
1Wenn im Folgenden von Lesern, Patienten, Ärzten o. ä. die Rede ist, sind immer Leserinnen und Leser, Patientinnen und Patienten usw. gemeint. Um den Lesefluss des Textes aber nicht zu stören, wird der Einfachheit halber nur der Begriff Leser, Patient usw. gewählt werden.
2 http://www.psy-luxeuil.fr/article-schizophrenie-la-grande-insaisissable-116865765.html
3https://icd.who.int/browse11/l-m/en#/http%3a%2f%2fid.who.int%2ficd%2fentity%2f1683919430; Zugriff am 28.05.2021. (Übersetzung durch den Autor)
4In deutschen und europäischen Sprachraum wird meist die ICD und nicht das DSM als Referenzsystem genutzt.
5Diese Konzeption vom Ich entspricht weitgehend der Begriffsdefinition des »Subjekt« in früheren Textes (Tebartz van Elst 2003, S. 155). Hier soll aber beim Begriff des Ichs geblieben werden, um den Gedankengang nicht zu verkomplizieren.
6Dieser Kasten wurde weitgehend einer anderen Buchpublikation des Autors entnommen (Tebartz van Elst 2018)
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.