Hat ein Computer Bewusstsein oder ist das ein einzigartiges Charakteristikum des Menschen? Tim Parks’ Reise in das menschliche Gehirn konfrontiert die philosophischen und neurowissenschaftlichen Theorien mit der eigenen Erfahrung – geistreich, witzig und klug.
Es vergeht kaum ein Tag ohne irgendeine Diskussion, ob Computer ein Bewusstsein haben können, ob unser Universum eine Art Simulation, ob der Geist ein einzigartiges Charakteristikum des Menschen ist. Die meisten Philosophen gehen davon aus, dass unsere Erfahrung in unserem Gehirn eingeschlossen ist und die äußere Realität unzuverlässig repräsentiert. Farbe, Geruch und Klang, heißt es, ereignen sich nur in unseren Köpfen. Wenn aber Neurowissenschaftler unsere Gehirne untersuchen, finden sie nur Milliarden von Neuronen, die elektrische Impulse austauschen und chemische Substanzen freisetzen. Als Tim Parks in einem zufälligen Gespräch mit Riccardo Manzottis radikal neuer Theorie des Bewusstseins konfrontiert wurde, fing er an, die eigene Erfahrung zu prüfen und mit den philosophischen und neurowissenschaftlichen Theorien zu konfrontieren. Bin ich mein Gehirn? erzählt die fesselnde, oft erstaunlich lustige Geschichte eines Paradigmenwechsels und stellt metaphysische Betrachtungen und komplizierte technische Laborexperimente so dar, dass wir verstehen, was in dieser Debatte auf dem Spiel steht, für uns als Individuen und für die Menschheit insgesamt.
Tim Parks, geb. in Manchester, wuchs in London auf und studierte in Cambridge und Harvard. Seit 1981 lebt er in Italien. Seine Romane, Sachbücher und Essays sind hochgelobt und mit vielen Preise ausgezeichnet. Er schreibt u.a. für den Guardian, The New Yorker, The New York Review of Books und übersetzte u.a. die Werke von Moravia, Calvino, Calasso, Tabucchi und Machiavelli. Zu seinen erfolgreichsten Büchern zählt u.a. Die Kunst stillzusitzen .
Tim Parks
DEM BEWUSSTSEIN AUF DER SPUR
Aus dem Englischen
von Ulrike Becker
Verlag Antje Kunstmann
Für Riccardo und Eleonora
Verstand an Sinne: Scheinbar ist Farbe, scheinbar Süße, scheinbar
Bitterkeit, in Wahrheit nur Atome und leerer Raum.
Sinne an Verstand: Armer Verstand, von uns nimmst du deine
Beweisstücke und willst uns damit besiegen? Dein Sieg ist dein Fall.
DEMOKRIT, 4. Jahrhundert v. Chr.
Denn die gewohnten Meinungen kehren immer wieder und nehmen meinen Glauben selbst gegen meinen Willen in Beschlag, gleich als wäre er durch lange Hebung und vertrauliche Bande an sie gefesselt.
RENÉ DESCARTES, 1641
Ich bin was um mich ist.
WALLACE STEVENS, 1917
Aufwachen
Farben
Alles steht Kopf
Keine Bilder
Lebensmitte
Korrekturen
Loops
Kaiserschmarrn mit Apfelmus
Das Tor zum Geist
Ich habe noch nie eigenhändig eine Maus getötet
Schläft ein Lied in allen Dingen
Nachwort
Dank
Ich öffne die Augen und da ist die Wand.
Nein, das stimmt nicht ganz.
Ich öffne die Augen, und da sind die Wand, der Schrank, der Nachttisch, die Lampe, die Taschentücher, das Bettzeug, der Geruch, die Person neben mir, das Geräusch des Weckers. Vielfalt. Ich kann nicht eine Sache ohne die anderen haben.
Aber das stimmt auch nicht ganz.
Ich öffne die Augen, und da sind ein Teil des Schranks – die mir zugewandte Seite, die eine glänzend graue Holzoberfläche hat – und drum herum ein paar Wandflächen mit einer silbergrauen Tapete, die in der Nähe des Nachttisches einige Flecken aufweist, Teespritzer vielleicht. Das Bettzeug ist im Augenwinkel sichtbar, vielmehr Teile des Bettzeugs, aber auch fühlbar; die Decke besitzt ein gewisses Gewicht, oder vielmehr eine Masse, die ich dank der Schwerkraft als Gewicht wahrnehme. Ich erkenne die Person neben mir an ihrer Wärme und dem Atmen, aber ich habe sie noch nicht gesehen. Außerdem ist da ein Fenster, obwohl sich das ganz sicher hinter mir befindet. Dennoch bin ich mir dieses Fensters bewusst, oder glaube es zumindest, ohne es zu sehen oder zu berühren. Ich meine, ich weiß, dass es da ist. Ich glaube es zu wissen. Es muss das Licht vom Fenster sein, das ich auf dem Schrank und an der Wand sehe. Was sonst?
Ich schließe die Augen. Jetzt tritt der Geruch in den Vordergrund. Wonach riecht es? Nach mir, meiner Partnerin, dem Zimmer, dem Bettzeug, dem Teppich. Der Geruch ist warm. Oder der Atem, der den Geruch erzeugt, ist warm. Oder mein Körper. Ich habe ein starkes Empfinden meines Körpers, das ich überhaupt nicht beschreiben kann. Mit geschlossenen Augen warte ich auf das erneute Klingeln des Weckers, und es ist nicht richtig dunkel, aber auch nicht richtig hell. Eher eine Art Erwartung von Dunkelheit oder Helligkeit, wenn ich die Augen öffne. Im Moment gibt es nichts, was ich sehe. Dennoch sehe ich nicht nichts. Vielleicht sehe ich die Innenseiten meiner Augenlider.
Sind die in meinem Kopf oder außerhalb?
Meine Partnerin sagt mit schläfriger Stimme: »Amore.« Und sie fragt: »Ist dir kalt?« Ich sage, nein, mir ist nicht kalt. Eher warm. Ihr sei kalt, sagt sie.
Ich spüre den Zug der Bettdecke auf meinem Körper. Das ergibt Sinn: Partnerin zieht an der Bettdecke. Sie hat ein Problem mit Bettdecken. Bewusstheit der Geschichte von mir und meiner Partnerin. Witze über die Bettdecke. Ich könnte etwas sagen, unterlasse es aber.
Plötzlich laufe ich auf einer Straße am Waldrand entlang. Ich wende mich zur Seite, um zwischen den Bäumen weiterzugehen, und sehe weiter unten in einem seichten Tal einen kleinen Fluss; scheint ein guter Platz zum Baden zu sein …
Der Wecker klingelt noch einmal. Er ist auf Zehn-Minuten-Intervalle eingestellt. Ich muss eingeschlafen sein. Das war also ein Traum, und dies ist die Wirklichkeit. Der Wald, der Fluss. Im Traum wusste ich nicht, dass es ein Traum ist, und ich hätte auch nicht sagen können, was vor dem Wald und dem Fluss kam; ich hatte keine Erinnerung an das Schlafzimmer und den Wecker; im Traum war ich tatsächlich in jenem Moment, aber jetzt, wieder hier im Schlafzimmer mit dem klingelnden Wecker, habe ich eine Erinnerung an den Wald und den Fluss, oder einfach eine Wahrnehmung davon, und es gibt eine Art Kontinuität, eine Art Ich-Instanz, die beides verbindet. In der einen Situation kann ich die beiden Erfahrungen vergleichen, in der anderen aber nicht. Weiß ich deshalb, dass dies die Wirklichkeit und das andere ein Traum ist?
Jedenfalls habe ich das Gefühl, es zu wissen.
Wieder öffne ich die Augen und sehe ein Ganzes, das aus Teilen all der verschiedenen Dinge besteht, die ich sehe, von denen ich aber keins ganz sehe. Ich meine, ich sehe Teile des Schranks, und ich könnte versuchen, mir den ganzen Schrank als etwas vorzustellen, um das man zum Beispiel in einer Ausstellungshalle von IKEA herumgeht, oder ich kann mir ein zweidimensionales Foto oder eine Zeichnung des Schranks vorstellen, so aufgenommen beziehungsweise dargestellt, dass es dreidimensional wirkt – ich könnte so etwas sogar selbst zeichnen, wenn ich es mir recht überlege –, aber gleichzeitig gibt es große Teile des Schranks, die ich nie sehen werde, etwa die Rückseite, die der Wand zugewandt ist, oder die Unterseite, die auf dem Boden steht. Wenn ich also sage, ich sehe den Schrank, dann meine ich damit, ich sehe den Teil von ihm, der sich in meinem Blickfeld befindet und nicht vom Bettzeug verdeckt wird. Und wenn ich all diese Wörter benutze, Bettzeug, Schrank, Wand, Lampe, dann meine ich, ich sehe nur den Teil von ihnen, den ich sehe, obwohl das jeweilige Wort sich auf das ganze Ding zu beziehen scheint, auf die Idee des ganzen Dings. Vielleicht sind Wörter platonisch. Sie erlauben Platonismus. Wort »Schrank« = Idee des Schranks, nicht der Teil des Schranks, den ich tatsächlich sehe.
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