Die Drittmitteleinwerbung ist ja letztlich das, wonach Sie heutzutage beurteilt werden als Hochschullehrer. Also ich beobachte das mit starkem Unbehagen. Dass z.B. die Uni Köln Verträge mit Bayer abschließt, die nicht transparent sind, ist inakzeptabel. Das Verwaltungsgericht Köln hat im Dezember 2012 entschieden, dass der Vertrag über die Forschungskooperation zwischen der Bayer Pharma AG und der Universität Köln geheim bleiben darf. Man muss wissen: Zwischen Bayer und der Uni Köln – die ein Zentrum für klinische Studien hat – existiert angeblich die umfangreichste Zusammenarbeit, die je eine Hochschule eingegangen ist. Auch an der Charité in Berlin gibt’s seit 2010 Forschungsverträge mit Sanofi-Aventis. Und warum? Weil sie jahrelang zugrunde gespart wurde! Solche Verflechtungen führen automatisch zu Interessenkonflikten. Sie verhindern die Freiheit von Forschung und Lehre. Die Studenten wissen nicht mehr, ob der Hochschullehrer ihnen in der Vorlesung schon Werbung reingedrückt hat, weil er vielleicht grade zu dem Wirkstoff forscht. Wir müssen sicherstellen, dass die Studenten eine unabhängige Ausbildung bekommen und dass die Universitäten genügend Geld bekommen und ihrer Aufgabe gerecht werden können. Es muss eine der Aufgaben der öffentlichen Hand sein, die Unabhängigkeit von Medizin und Wissenschaft finanziell
zu fördern. Die Politik versagt in diesem ganzen Bereich vollkommen. Grade wenn es um Gesundheit geht, muss man sich zweimal Gedanken darüber machen. Auch darüber, wie wir das eigentlich finanzieren wollen und wie halten wir die Leute gesund?!
Wie tief das alles unbemerkt eindringt, das merken wir an unseren Studenten. Wir machen uns manchmal den Spaß und fragen: Was ist das für ein Medikament, von dem ihr zuletzt gehört habt? Meistens wissen sie dann nur den Handelsnamen. Es ist oft sogar üblich, dass bei Ausbildungsveranstaltungen in der Charité nicht der Wirkstoffname, sondern der Handelsname genannt wird. Was ja nicht unbedingt sein soll! Oder ich frage zum Beispiel: Eure herzkranke Tante möchte eine Auskunft über ein Präparat, ihr seid ja im dritten Semester, und sie will wissen, ob das, was sie nimmt, gut und richtig ist. Was macht ihr jetzt? Als Erstes kommt … nein, nicht Rote Liste, es kommt Wikipedia oder googeln! Das machen nicht nur die Studenten so. Aber sind die Einträge da frei vom Einfluss der Pharmaindustrie? Und ich sage, schaut euch mal die ersten zehn Webseiten genauer an, wieso steht diese Webseite an dritter Stelle? Wer finanziert die Seite, kann man das überhaupt erkennen und herausfinden? So in etwa kann man das mit den Studenten durchdiskutieren. Und was dann noch … unter den Top Ten ist, ich sag’s mal so, ist die Bravo für Omas, die Apothekenrundschau .
Dass es Alternativen gibt, ohne Pharmawerbung, das muss man eben erst gesagt bekommen. Wir sind die einzige Veranstaltung in Deutschland, glaube ich, die die Studierenden im Unterricht darüber aufklärt, dass z.B. eine Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft existiert, dass sie eine Zeitschrift Arzneiverordnung in der Praxis herausgibt und dass man auch ein Behandlungskompendium bestellen kann, mit eigenen Informationen zu Wirkstoffen. Und dass es in Deutschland drei selbständige pharmakritische Zeitschriften für evidenzbasierte Medizin gibt: Arzneimittel-Telegramm, Arzneimittelbrief und den Pharmabrief der BUKO-Pharmakampagne. Deren Gemeinschaftsprojekt ist übrigens die Patientenzeitschrift Gute Pillen – Schlechte Pillen . Es stehen also zuverlässige, unabhängige Informationsquellen zur Verfügung. Es gibt viele Initiativen und sehr gute internationale Vernetzungen mit unabhängigen Organisationen. Wir müssen daran arbeiten, dass es in diesem Sinn weitergeht, und schon bei den Studierenden die Widerstandskraft stärken!«
AUF GEDEIH UND VERDERB
Eine Kritikerin des Gesundheitswesens erzählt
RENATE HARTWIG, Schriftstellerin, Publizistin, Kritikerin des Gesundheitssystems. Nach Beendigung der Schule wurde sie Sozialarbeiterin, arbeitete in Bewährungshilfe, Jugendarbeit, Drogenhilfe. Seit 1985 Publizistin und Autorin. Anfang der 90er Jahre kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Scientology. Ab 1992 Referentin in Schulen, Wirtschaftsverbänden, Unternehmen, Industrie, Banken und Behörden. Fünf Jahre Dozentin im Bundeswirtschaftsministerium (Bereich Unternehmenssicherheit). Ab 2002 u.a. Kinderkreativprojekt »Kinder malen für Kinder«, ein Mutmach- und Sozialprojekt für Kinder. Seit April 2007 intensive Recherchen zum Gesundheitssystem und zu den Folgen des Umbaus; zu Privatisierung und Gesundheitsindustrie. Impulsgeberin für die Bürgerinitiative »Patient informiert sich«. Sie organisierte 2008 und 2009 zwei Protestveranstaltungen im Münchner Olympiastadion. 2009 Gründung des Vereins »Bürgerschulterschluss«. Verfasserin mehrerer Sachbücher (davon zwei Bestseller, »Ich klage an« und »Zeitbombe in der Wirtschaft«, 1994 bis 2002 sechs Sachbücher und zwei Jugendromane). 2008 erschien der erste Band der Trilogie zur Kritik am Gesundheitswesen »Der verkaufte Patient« (Pattloch), 2010 der zweite Band »Krank in Deutschland« (Pattloch), und im November 2012 ist im Direct-Verlag der dritte Band erschienen: »Geldmaschine Kassenpatient – wo bleibt unser Beitragsgeld? Die Streitschrift.« Renate Hartwig wurde 1948 in Lindau geboren, ihr Vater war Gastwirt, die Mutter Pfarrersköchin, beide Eltern waren Antifaschisten, der Vater kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder .
Das Einkommen entscheidet über den Grad der medizinischen Versorgung. Wer arm ist, muss früher sterben. Zugleich werden die Reichen immer reicher, schwimmen unsere Krankenkassen im Geld infolge der verordneten Sparmaßnahmen und Beitragserhöhungen. Nach Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) macht unser Gesundheitssystem (Gesundheitsfonds und gesetzliche Krankenkassen) im Jahr 2012 5,7 und im Jahr 2013 weitere 1,8 Milliarden Euro Überschuss. Dazu kommen 10 Milliarden von 2011 und 3,8 Milliarden von 2010. Die Überschüsse, gern »Rücklagen« genannt, betragen somit deutlich über 20 Milliarden Euro. 2 Milliarden (pro Jahr) stammen aus der sogenannten Praxisgebühr, über deren Abschaffung gerade gestritten wird. Diejenigen, die streiten und die gesundheits- und sozialpolitischen Entscheidungen treffen, sind allesamt Leute, die keinen Cent in die Kassen der Solidargemeinschaft zahlen, sondern sich im Gegenteil auch noch auf Kosten des Steuerzahlers mit luxuriösen Beihilfen im Krankheitsfall ausstatten lassen. Ohne jeden Skrupel.
Dementsprechend gnadenlos fallen die »Reformen« aus. Die rauben den Patienten immer mehr Geld und Ansprüche. Einführung neuer Zuzahlungen für Praxisgebühr, häusliche Krankenpflege usf., die drastische Anhebung der Zuzahlungen für Krankenhausaufenthalt, Arznei-, Heil- und Hilfsmittel und ebenso die »Ausgliederung« von Leistungen aus der Erstattungspflicht der Krankenkasse wie rezeptfreie Medikamente, Zahnersatz, Glaukomvorsorge usf. wälzten die finanziellen Risiken im Fall von Krankheit und Altersschwäche immer mehr auf den Beitragszahler ab. Vorgeschobene Gründe für die Sparmaßnahmen gab es viele, wie die angebliche »All-you-can-eat-Mentalität« der Kassenpatienten, oder auch der »demografische Effekt«, eine Lieblingswaffe von Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlern, die sich als Lobbyisten der Versicherungswirtschaft feilbieten, wie damals den Nazis. Einer sprach unlängst ganz in diesem Sinne öffentlich von »demografischen Zombies« und von »Hundertjährigen, die einfach nicht sterben wollen«. Die von allen Liberalisierern an die Wand gemalte Kostenexplosion jedoch hat sich als Gewinnexplosion herausgestellt. Hier wird deutlich, worauf das zielt, wir werden systematisch einer Privatisierung nicht nur der Krankheitskosten, sondern unserer gesamten medizinischen Versorgung entgegengeführt. Sie soll vollends dem Markt unterworfen werden. Dazu passt die neueste Meldung, dass die Krankenkassen künftig dem Kartell- bzw. Wettbewerbsrecht unterstellt und damit offiziell zu UNTERNEHMEN erklärt werden. Bisher galten die gesetzlichen Krankenkassen als Organisationen mit einem klar definierten gesellschaftlichen Versorgungsauftrag, sie hatten eine soziale Aufgabe zu erfüllen, auf dem Grundsatz der Solidarität, nach den Regelungen des Sozialgesetzbuches. Wir dürfen gespannt sein, ob in Zukunft die Befreiung von der Umsatzsteuer entfällt.
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