»Die Agentur hatte im Rahmen dieser Kampagne Herrn Professor Schwalbach von der Humboldt-Uni in Berlin eine Studie in Auftrag gegeben, sie hat den schönen Titel, ich muss ablesen: ›Gesellschaftsrendite der Kernenergienutzung in Deutschland. Eine Studie zum volkswirtschaftlichen, sozialen, gesellschaftlichen und ökologischen Nutzen der Kernenergie‹. Diese Studie sollte mit 135.000 Euro honoriert werden und sie sollte belegen, was für positive Auswirkungen der Einsatz von Atomkraftwerken für die gesamte Gesellschaft hat. Atomenergie ist für alle gut: für Wirtschaft, für die Umwelt, wahrscheinlich auch für die Kultur.«
Er lacht leise. »Die Studie wurde nie veröffentlicht. Über den Grund kann man nur spekulieren. Eine These ist, dass es zu offensichtlich ein Gefälligkeitsgutachten war. Er hat es nebenbei gemacht, über seine eigene Agentur, oder die seiner Frau. Lobby-Control und der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedenfalls haben, nachdem das alles öffentlich wurde, zügige Aufklärung der Affäre gefordert. Aber die Universität schweigt zum Thema und zu Disziplinarmaßnahmen. Es scheint, als würden auch hier alle Beteiligten die Sache einfach aussitzen.«
Professor Joachim Schwalbach ist Betriebswirt und Management-Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, einer seiner Schwerpunkte: »Der ehrbare Kaufmann«. Martin Kaul zitierte damals aus dem Abstract der Schwalbach-Studie, wo u.a. zu lesen ist: »Die Kernenergiewirtschaft ist als Innovations- und Bildungstreiber von großer Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft.« Der Professor hat 2011 übrigens ein weiteres Gefälligkeitsgutachten verfasst. Diesmal veröffentlicht, und zwar nach dem erfolgreichen Volksentscheid in Berlin für die Offenlegung aller Verträge und Nebenabsprachen zum Teilverkauf der Berliner Wasserbetriebe an die Energieriesen Veolia und RWE im Jahr 1999. Auftraggeber des Schwalbach-Gutachtens war die Industrie- und Handelskammer. Der Auftrag war, eine Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe als falsch und vollkommen unökonomisch darzustellen.
Es ist sehr zu befürchten, dass Lobby-Control die Arbeit nicht ausgehen wird angesichts der emsigen Lobbyisten. Auch die Banken sind nicht müßig. Auf 34 Seiten hat das Bundesfinanzministerium – als Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei – die »Beziehungen von Geschäftsbanken und Investmentbanken zur Bundesregierung« aufgelistet. Das Ergebnis ist angesichts der kritischen Äußerungen der Bundesregierung zur Finanzindustrie überraschend: Kein anderes Geldhaus hat in dieser Legislaturperiode so viele Termine mit den Spitzen der Bundesregierung bekommen wie die Deutsche Bank und die US-Investmentbank Goldman Sachs.
Während ich hier schreibe, kommt die neueste Nachricht über die erfolgreiche Arbeit der Lobby der Pharmaindustrie: Ein Entwurf der EU-Kommission für eine neue Verordnung zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln und deren Erprobung am Menschen sieht vor, die Beteiligung unabhängiger Ethikkommissionen bei der Zulassung der klinischen Tests abzuschaffen. Ebenso die derzeit verpflichtende Beteiligung einsichtsfähiger, aber noch minderjähriger Kinder am Einwilligungsverfahren.
ADVERT RETARD ®
Gegen die Werbeschlacht der Pharmaindustrie
DR. MED. PETER TINNEMANN, Leiter des Bereichs Internationale Gesundheitswissenschaften am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Berliner Charité, Mitinitiator des pharmakritischen Seminars »Advert Retard®« für Medizinstudenten u. des Vereins CMI für eine zertifizierte medizinische Unabhängigkeit. Peter Tinnemann ist 1967 in Herne/Ruhrgebiet geboren, besuchte in Herne die Schule, machte 1987 Abitur. Ab 1989 studierte er Medizin u. schloss das Studium 1999 in Hamburg mit der Promotion ab. Anschließend Auslandsaufenthalte (innerhalb von 12 Jahren in 15 verschiedenen Ländern, u.a. 1996–2003 in Afrika für Ärzte ohne Grenzen). Von 2003–2006 Aufenthalt in England und Arbeit beim NHS (National Health Service) u. ab 2005 nebenher Studium in Cambridge, wo er 2007 seinen Master of Public Health machte. Ab 2007 Arbeit an der Charité und daneben, seit 2012, Arbeit im sozialpsychiatrischen Dienst beim Gesundheitsamt Berlin-Lichtenberg (im Rahmen einer Facharztausbildung). Peter Tinnemann ist geschieden u. hat 2 Töchter (von 2 Frauen), sein Vater war Elektrotechniker, die Mutter gelernte Schneiderin und Ikebana-Lehrerin .
Mehr als das Doppelte von dem, was sie für Forschung und Entwicklung ausgibt, steckt die Pharmaindustrie in ihre Werbung. Tag für Tag sprechen 15.000 Pharmavertreter mit ihren Musterkoffern und Werbepräsenten bei Ärzten und in Krankenhäusern vor. Pharmakonzerne finanzieren oder sponsern so gut wie alle relevanten ärztlichen Weiterbildungskongresse. An der Berliner Charité gibt es seit mehr als drei Jahren ein Seminar mit dem anzüglichen Namen »Advert Retard®«, was eine englisch-lateinische Wortschöpfung ist mit der Bedeutung einer gleichmäßigen und über längere Zeit ihre Wirkung entfaltenden Werbung. Und um die geht es. Dieses Seminar hat sich die Aufgabe gestellt, den Medizinstudenten zu vermitteln, dass es sich hier nicht um eine zu vernachlässigende Erscheinung des Arzneimittelmarktes handelt, sondern um eine gezielte und gut funktionierende Beeinflussung des ärztlichen Verhaltens, um korrumpierende Anreize, zugunsten der Verkaufsförderung von Produkten mit dem jeweiligen Markennamen. Die vielfältigen Marketingstrategien und Werbemethoden der Pharmaindustrie werden den Studenten vor Augen geführt und der sogenannte Interessenkonflikt der Ärzte analysiert.
Das Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie befindet sich in einem renovierten Altbau, keine 100 Meter entfernt vom Bettenturm der Charité. Herr Dr. Tinnemann bittet uns in einen kleinen Seminarraum und stellt uns seine Praktikantin vor, die zuhören möchte. Er bietet uns Wasser an und beginnt auf meine Frage, wie es zu seinem Seminar kam, mit dem Erzählen: »Das Thema Pharmaindustrie beschäftigt mich schon lange, eigentlich seit der Zeit, den sieben Jahren, in denen ich für ›Ärzte ohne Grenzen‹ in Afrika tätig gewesen bin. Die Organisation hat sich sehr dafür eingesetzt, dass HIV/Aids infizierte Menschen in Süd-Sahara mit anti-retroviralen Medikamenten behandelt werden können. Ich habe unterernährte Kinder gesehen, Kinder, die vom schmutzigen Wasser Durchfallerkrankungen hatten, und vor allem Kinder und Erwachsene, die mit HIV/Aids infiziert waren. Ich habe noch so eine Fotoreihe von einem kleinen Mädchen, sie war sieben Jahre alt, und sie ist ganz elend zugrunde gegangen, vor unseren Augen. Wir hatten nichts, um ihr zu helfen. Wir hatten grade mal Paracetamol für ihre Schmerzen. Damals bin ich als Mediziner unentwegt darüber gestolpert, dass es sehr viele Menschen gibt, kranke Menschen, die einfach keinen Zugang haben zu Medikamenten, weil die Medikamente exorbitant teuer sind. Sie können sich die nicht kaufen. Da fragt man sich dann, warum sind die eigentlich so teuer. Kann man was daran ändern? Geht es auch anders?
Dann habe ich zu einer späteren Zeit im englischen Gesundheitsdienst mehrere Jahre gearbeitet. Das Gesundheitssystem ist anders organisiert, als wir es kennen. Und es ist gut, auch wenn gern Anderes behauptet wird. Es ist staatlich, kostenlos für den Bürger und wird finanziert über die Steuern, was gerechter ist. Also das war damals, unter der Labour-Regierung, da hatten sie schon angefangen mit Privatisierung. Wie es heute genau aussieht, weiß ich nur von Kollegen. Aber ich muss ehrlich sagen, die Ärzte sind wesentlich besser ausgebildet. Wir, als Gesundheitsamt, waren u.a. auch verantwortlich dafür, dass die Patienten zuverlässig alle notwendigen Medikamente bekommen. Es gibt kein Krankenkassensystem, die Regierung verhandelt direkt mit der Pharmaindustrie und entscheidet in der Konsequenz, was Medikamente eigentlich kosten dürfen. Ich habe sozusagen verstanden, wie es funktioniert. Da gibt es Preisfestlegungen, die anders getroffen werden als bei uns, wo sie dem freien Markt überlassen sind. Die Verhandlungsmacht des Nationalen Gesundheitssystems ist natürlich auch eine ganz andere, als wenn hier in Deutschland jede Krankenkasse für sich mitverhandelt
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