1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Ich parkte vor dem Hotel und nahm meine Reisetasche aus dem Auto. Als ich mit John Strachan eintrat, durchquerte Katie gerade den Flur, ging von der Bar in die Küche.
»Habt ihr wohl ein Zimmer für einen fremden Wandersmann?«, fragte ich.
»Oh, Jack«, rief sie.
Sie blieb stehen, starrte mich an. Ich glaubte zu wissen, was ihr Blick bedeutete. Der Anblick seines großen Bruders bestätigte ihr noch einmal, dass Scott tot war. Scott würde nie wieder dort stehen, wo ich jetzt stand. Da Katie Katie war und so spontan wie das Atmen, trieb ihr der Gedanke Tränen in die Augen. Sie kam mit offenen Armen auf mich zu und schloss mich darin ein, sodass Luftholen schwierig war. Die Reisetasche knallte auf den Boden. Gerade als ich mich zum dritten Mal runterbeugen wollte, ließ sie von mir ab.
»Du bist dürr wie ein Strich«, sagte sie.
»Durchtrainiert und schlank, Katie.«
»Keine Ausreden. Was hast du gegessen? Oder besser: Was hast du nicht gegessen?«
»Ich bin der schlechteste Koch in ganz Großbritannien.«
»Ach Jack. Dein Bruder hat’s mir erzählt.« Sie meinte meine Ehe. »Ein Unglück kommt selten allein, was?«
Ich wollte ihr John Strachan vorstellen, aber sie kannte ihn bereits. Natürlich. Sie behandelte selbst seltene Gäste wie entfernte Verwandte. Sie scheuchte John an die Bar und ging mit mir nach oben, um mir mein Zimmer zu zeigen. Es war frisch gestrichen und wunderbar sauber.
»Da ist das beste«, sagte sie. »Ein paar von den anderen werden auch noch renoviert. Wir haben außerdem zwei Dänen über Nacht da. Und einen Gast aus Irland, der wohnt schon fast eine Woche hier.«
Ich packte die Tasche nicht aus. Erklärte, ich wolle in Glasgow anrufen. Sie erlaubte nicht, dass ich das Münztelefon benutzte, sondern ging mit mir runter in die Küche. Zum Glück erkannte mich der Hund Buster wieder, wobei mir das nicht grundsätzlich Immunität vor seinem bedrohlichen Knurren garantierte. Sie ließ mich allein und ich wählte Brian Harkness’ Nummer.
»Hallo?«
»Hallo Morag«, sagte ich. »Hier ist …«
»Ich weiß schon, dass du’s bist. Dein Brummen würde ich überall erkennen. Black Jack Laidlaw, der verrückte Detective.«
Schön, wenn einen die Leute mögen.
»Wo bist du?«, fragte sie.
»In Graithnock. Immer noch in Graithnock.«
»Wo in Graithnock?«
»Ich checke gerade in einem kleinen Hotel ein. Bin eben angekommen.«
»Sei nicht blöd«, sagte sie. Morag war von einer Direktheit, wie sie häufig mit authentischer Großzügigkeit einhergeht. Freundlichkeit war für sie etwas so Natürliches, dass sie sich nicht die Mühe machte, sie förmlich einzukleiden. »Du bist gerade mal vierzig Minuten von uns entfernt. Schieb deinen Hintern in den Wagen und komm her.«
Ich nahm mir nicht die Zeit zu erklären, dass es lange vierzig Minuten waren. Der Wagen würde es schaffen, aber mein Kopf nicht. Im Hintergrund konnte ich Familienleben durchs Telefon hören, wie eine alte Melodie, an die ich mich erinnerte, deren Text ich aber vergessen hatte. Ich wollte niemanden dort mit meiner düsteren Verbissenheit anstecken.
»Ich muss noch ein paar Leute treffen, Morag.«
»Jack, was meinst du, wem du was vormachen kannst? Du sitzt in einem Zimmer so groß wie ein Sarg und betrinkst dich. Deine Gewohnheiten sind bekannt. Komm her, hier bekommst du was Anständiges zu essen und Gesellschaft. Brian hat mir von deinem Kühlschrank erzählt. Er meinte, du könntest ihn als neuwertig verkaufen. Wenn du dich nicht selbst um dich kümmern kannst, dann lass es wenigstens hin und wieder andere für dich tun.«
»Es ist aber so, Morag«, sagte ich, »ich hab gerade an meinem ersten Whisky genippt. Und du weißt ja, wie das manchmal ist, wenn einem auf einen Schlag alles klar wird. Ich dachte, ich bleib noch ein bisschen dabei und schaue mal, ob ich mich an den Geschmack gewöhnen kann. Danach noch Auto zu fahren wäre blöd.«
»Du bist ein hoffnungsloser Fall. Dann kommst du also nicht?«
»Heute Abend nicht, du Wunderbare. Aber ich schreibe es mir in meinen überfüllten Terminkalender. Wie geht es Stephanie und dem geheimnisvollen Gast?«
»Steph geht’s gut. Der andere tritt wie eine ganze Fußballmannschaft. Hör mal. Bald werden wir dich richtig füttern. Und wenn wir dich an einen Tropf hängen. Keine Ausrede. Willst du Brian sprechen?«
»Bitte, Morag. Ist er da?«
»Ja. Ich kauf ihm die ganzen Geschichten über den Crime Squad nicht ab und dass er ständig Überstunden machen muss. Als hinge das Schicksal der Nation von der Aufklärung eines Einbruchs in Garthamlock ab. Ich hole ihn. Pass auf dich auf, hörst du?«
»Bin hier so sicher wie ein Ei im Kuchen, Morag. Danke.«
»Dann haben Morags Verführungskünste nicht gereicht, dich zu überreden?«, fragte Brian. »Wobei, wenn ich’s mir überlege, so wie sie mir zusetzt … Hast du was dagegen, wenn ich zu dir runterkomme? Kannst du mir ein Zimmer besorgen?«
»Ich würde jederzeit mit dir tauschen«, sagte ich. »Also, wie ist es heute gelaufen?«
»Du zuerst«, sagte Brian.
Ich fing an, ihm eine kurze Zusammenfassung zu geben, und hatte das Gefühl, mit dem Finger Bilder in die Luft zu zeichnen. Dann wurde mir bewusst, dass ich Brians Schweigen als Skepsis interpretierte. Vielleicht sind Zwangsvorstellungen grundsätzlich nicht vermittelbar. Was hatte ich ihm zu erzählen? Ich war in einem leeren Haus gewesen. Hatte ein zurückgelassenes Gemälde gefunden. Ich hatte einen Lehrer, seine Frau und seine Familie getroffen. Das alles war so interessant wie die Schulaufsätze, die man in seiner Kindheit schreibt: »Was ich am Wochenende gemacht habe.« Ich hatte den Eindruck, weniger von meinen Erlebnissen zu berichten, als meine Symptome zu beschreiben. Brians Antwort bestand in einer Diagnose, die kaum Hoffnung machte.
»Du lieber Gott, Jack«, sagte er. »Was soll das alles für einen Sinn haben?«
»Sag ich nicht«, erwiderte ich. »Egal, wie sieht’s bei dir aus?«
Ich glaube, Brian war erleichtert, wieder über die Realität sprechen zu dürfen. Buster betrachtete mich vom Boden aus, als würde er Brians Meinung über mich teilen.
»Meece Rooney«, sagte Brian. »Kennst du den?«
»Meece? Den kenne ich.«
»Tja, du hast ihn gekannt«, sagte Brian. »Er ist tot.«
»Du meinst, das war er? Der Tote auf der Brache?«
»Meece Rooney. Hör zu. Jemand hat behauptet, er hätte Medizin studiert. Weißt du was darüber?«
»Meece hat’s ungefähr einen Monat lang auf der Uni ausgehalten«, sagte ich. »Dann fand er, es müsse schnellere Wege der Selbstfindung geben. Wenn Meece behauptet hat, er habe Medizin studiert, meinte er, dass er das Etikett auf der Hustensaftflasche gelesen hat.«
Ich zuckte mit den Schultern. Trauer kann egoistisch sein. Ich hatte nichts gegen Meece. Nichts gegen ihn gehabt . Im allgemeinen Vergleich mit anderen lästigen Personen, war er nicht die schlimmste gewesen, mit der man es zu tun bekommen konnte. Der Daumen zeigte fast nach oben. Soweit ich wusste, war er eher Opfer als Täter gewesen. Ein Fantast, der beschlossen hatte, seine Fantasien mit Heroin zu sublimieren. Aber wenn der Tod meines Bruders schrecklich war, warum dann seiner nicht? Er musste ebenso für jemanden Anlass zur Trauer liefern.
»Er hat gedealt, weißt du«, sagte Brian.
Der Daumen ging runter. Sich auf den Weg in die Hölle zu machen ist das eine. Den allgemeinen Verkehr dorthin umzuleiten etwas ganz anderes.
»Ich habe den Kontakt zu ihm verloren«, sagte ich. »Ich wusste nicht, dass er gedealt hat. Ist aber natürlich logisch. Was hast du noch?«
»Nicht viel bis jetzt. Wir haben ihn bis in eine Einzimmerwohnung in Hyndland zurückverfolgt. Angeblich hat er dort mit einer Frau zusammengewohnt. Übrigens hat der Bericht aus der Pathologie ergeben, dass er sich wohl erst vor Kurzem den Arm gebrochen hat. Die Nachbarn sagen nicht viel. Wir wissen noch nicht, wie sie heißt. Aber anscheinend war sie auch auf dem Zeug. Und jetzt ist sie nicht mehr da. Ihre Klamotten auch nicht. Auf einer der ungespülten Tassen war Lippenstift. Und Kaffeereste, die noch nicht mal eingetrocknet waren.«
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