William McIlvanney - Fremde Treue

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Laidlaws dritter und – bisher – letzter Fall! Scott Laidlaw ist tot. Der tragische Autounfall seines Bruders erschüttert Jack Laidlaw schwer – in tiefer Trauer und mit dem ihm eigenen Durst macht er sich auf in die schottische Provinz, um herauszufinden, was wirklich geschah. Während Laidlaw versucht, die letzten unglücklichen Tage seines Bruders zu rekonstruieren, wird ihm schnell klar, dass die Abgründe hinter der dörflichen Fassade mindestens ebenso tief sind wie in der Glasgower Unterwelt und in seiner Vergangenheit, in die ihn seine Recherchen unweigerlich zurückführen …

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William McIlvanney

Fremde Treue

Aus dem Englischen von Conny Lösch

Verlag Antje Kunstmann

Für Liam

Here’s a nice jungle: glades of trust Disturbed by parakeets of lust, Pools of deceptive calm where need Bathes among crocodiles of greed

Eins

1

AUFGEWACHT MIT RODEO IM KOPF. Spaß haben tut weh, stimmt’s? Dabei ging’s gestern Abend weniger darum als um Betäu bung mit Whisky. Langsam ließ die Wirkung nach und die Schmerzen wurden schlimmer. Wie immer.

Ich habe diesen Tag nicht gewollt. Wer hat ihn bestellt? Versucht’s doch nebenan. Ich vergrub mich ins Kissen. Sinnlos. Ein schlafloses Kissen. Wie nennt man so was noch mal? Hypallage? Meine Lehrer. Haben mir alles beigebracht, was ich nicht wissen muss.

Ich stand auf und begab mich auf Schmerztablettensafari. Viele Möglichkeiten gab es nicht, wo welche sein konnten. Im Schlafzimmer, unwahrscheinlich. Blieben das Wohnzimmer, die kleine Küche, der Flur und das Bad. Wobei der Flur schon mal ausschied. Da war nichts, worin man sie hätte aufbewahren können, es sei denn, ich hatte sie heimtückisch unter dem Teppich versteckt. Küche und Bad waren am wahrscheinlichsten. Kombinieren und schlussfolgern. Zum Glück war ich ein guter Detective.

Ich suchte in Schränken mit alten Rasierklingen und mehr Geschirr, als ich jemals benutzen würde, fand meine Zauberpillen dann aber im Wohnzimmer hinter den Türmchen mit dem Kleingeld, das ich so ungern in den Taschen behielt. Ich holte mir ein Glas Wasser und schluckte zwei, wobei ich gleich das Gefühl hatte, das sei nicht genug – als würde man zwei Anwärter von der Polizeischule aussenden, einen Aufstand niederzuschlagen.

Ich setzte mich ins Wohnzimmer. Allmählich kehrte meine Erinnerung zurück, was mir gar nicht recht war, denn schon ging es wieder los. Ich heulte. Ungefähr seit einem Monat immer dasselbe. Jeder neue Tag begann mit Tränen. Andere Menschen machten Gymnastik. Ich heulte. Nichts Dramatisches, keine herzzerreißenden Schluchzer. Nur stille und unerbittliche Tränen. Sie ließen einfach nicht von mir ab. Zum Glück dauerte es nicht lange.

Nach ein paar Minuten war’s vorbei. Ich wischte mir mit der Hand übers Gesicht und stand auf. Immerhin war heute der Tag, an dem ich endlich etwas dagegen unternehmen wollte. Mindestens eine der beiden Personen, denen ich von meinem Vorhaben erzählt hatte, hielt mich für verrückt. Ich habe nie behauptet, es nicht zu sein – allerdings bin ich auch nicht verrückter als andere. Solange wir Berichte von schweren Unruhen frühstücken und vor dem Zubettgehen Bilder nationaler Katastrophen wie Schlaftabletten zu uns nehmen, soll mich niemand für nicht ganz richtig im Kopf erklären.

Ich ließ mir eine Badewanne ein und legte mich hinein, als wäre Waschen kein rein physisches Ritual. Heile mich, heiliges Wasser, und bereite mich auf die Dinge vor, die da kommen mögen. Ich glaube nicht, dass es funktionierte, aber das heiße Wasser tat meinem Kopf gut. Während ich den Whisky ausschwitzte, ging der Pesthauch meiner Gedanken in den aufsteigenden Wasserdampf über und hob sich wie ein Nebelschleier.

Vielleicht hatte Brian doch ein bisschen recht. Ich war zwar nicht verrückt, aber möglicherweise dumm. Wir hatten eine Leiche. Aber hatten wir auch ein Verbrechen? Wenn ja, dann keins, das sich in den Gesetzbüchern fand. Andererseits glaube ich sowieso nicht so richtig an die Bücher. Mr Bumble hat sich geirrt. Das Gesetz ist kein Esel. Viel schlimmer. Das Gesetz ist ein hinterhältiges Arschloch. Es weiß genau, was es tut, keine Angst. Es wurde extra so angelegt.

Ich habe oft genug mitbekommen, wie das funktioniert – die Verwirrung des Beschuldigten wächst, während sich das juristische Possenspiel um ihn herum entfaltet. Man kann sehen, wie sein Blick trübe wird, Panik ihn überfällt und er schließlich kapituliert. Er kann seine vermeintliche Tat nicht mehr erkennen. Nur die anderen wissen noch, wovon die Rede ist. Es ist ihr Spiel. Und er ist der Ball.

Ich war bei Verhandlungen, bei denen ich den Angeklagten auf die Bank gesetzt hatte und schon nach fünfzehn Minuten am liebsten aufgestanden wäre, um das Wort zu seiner Verteidigung zu ergreifen. »Hört mal«, hatte ich schreien wollen, »ich habe diesen Mann auf der Straße gefasst, wo er lebt. Wart ihr da überhaupt schon mal?« Aber sie fuhren mit ihrer Privatparty fort, lauschten Präzedenzfällen wie Lieblingssongs, übten sich in Wortspielereien, spendeten sich gegenseitig Beifall. Ab und zu wurde inmitten des Kauderwelsch die Stimme des Beschuldigten vernehmbar, leise, sehnsüchtig und meist seltsam, wie eine mit schottischem Akzent vorgetragene lateinische Rede. Erbärmliches menschliches Fleisch, gebrechlich und voller Sommersprossen, lugte durch einen Riss im Hermelin gewand und wurde schnell wieder verdeckt. Wer stört hier unser kleines Moralitätenspiel? Der Kerl kennt nicht mal den Text.

Diese Richter, dachte ich, während das Wasser abkühlte. Ich erledige einen Großteil meines Nachdenkens in der Badewanne. Vielleicht gehörte das zu den Vorteilen einer Mietwohnung ohne Dusche. Richter aber waren der wirklichen Welt so nahe wie der Dalai-Lama. Sie hatten kaum Ahnung von der alltäglichen Tretmühle der Menschen, über die zu urteilen sie sich anmaßten, von einer verständnisvollen Einsicht ins menschliche Herz ganz zu schweigen. Ein ums andere Mal donnerte eine gereizte Stimme vom Olymp und stellte eine Frage, die fassungslos machte: »Ein Transistor? Was genau meinen Sie damit?«

»UB40? Ist das eine naturwissenschaftliche Formel?«

»Keine naturwissenschaftliche, Euer Ehren. Eine amtliche. Ein Antragsformular auf Arbeitslosenhilfe.«

»Ein Antrag auf Arbeitslosenhilfe? Und was soll das sein?«

Wenn man ihrem Klub beitreten wollte, musste man dann sein Gehirn am Eingang abgeben? Welche seltsamen, in Port getränkten und Vorurteilen marinierten Köpfe steckten unter diesen Perücken?

»Anwälte«, sagte ich zur Badezimmerdecke. Wer kann ihnen vertrauen? Sie stopfen sich Verbrechen in die Brieftaschen und erklären sich selbst zu Säulen der Gesellschaft. Ihre Honorare sind der reinste Steuerbetrug, aber wer wollte sie drankriegen, wenn nicht sie selbst? »Ein ausgezeichneter Anwalt« war eine Formulierung, die ich oft zu hören bekam. Das war zutreffend, wenn nicht mehr gemeint war als Geschick bei juristischen Spielchen. Aber was bedeutete sie wirklich? Intelligenz ist ein geschlossener Schaltkreis. Und sollte auf keinen Fall einer bleiben. Holt man Anwälte von der Bühne, die der Gerichtssaal für sie ist, wissen viele von ihnen Tränen nicht mehr von Regen zu unterscheiden.

Man kann wohl sagen, dass ich mir in Bezug auf meinen Job allmählich keine Illusionen mehr machte. Ich stieg aus der Wanne und zog den Stöpsel, wischte jede Andeutung einer Gezeitenmarke weg, noch während das Wasser abfloss. Die Technik hatte ich mir angeeignet, seit ich alleine wohnte. Dadurch war die Wanne leichter zu reinigen. (Laidlaws praktische Haushaltstipps für alleinstehende Männer: Erste Auflage in Vorbereitung.)

Ich trocknete mich ab. Nackt wie ich war, missfiel mir mein zunehmend schwabbeliger Bauch. Mit Klamotten war’s nicht so schlimm. Außerdem zog man ihn sowieso meist ein, zwängte sich in ein Korsett der Eitelkeit. Im Badezimmer betrachtete ich meinen Nabel und fand ihn größer, als mir lieb war. Ach, die gute alte Zeit, als ich noch ein Haus verschlingen und eine Brauerei trinken konnte und mein Bauch trotzdem einem unverbiegbaren Brett glich.

Andeutungen von Sterblichkeit wölbten sich unter dem Handtuch hervor. Früher schien ich für die Ewigkeit gemacht. Früher spielte früher kaum eine Rolle. Mein Leben war ein unentdeckter Kontinent und ich der einzige Forschungsreisende. Und was hatte ich gefunden? Äh, na ja, das Leben ist … durcheinander. Gebt mir noch ein paar Jahre, dann komme ich dahinter. Aber wie viele Jahre habe ich noch? Neuerdings vergingen sie so schnell. Als würde man kurz innehalten, eine Sicherung reparieren und eh man sichs versah, war schon wieder ein Jahr vorbei.

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