Hermann Scheer - Der energethische Imperativ

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Nie war eine Inventur der Energiedebatte nötiger als heute. Über wohlfeilen Sympathiebekundungen für ­erneuerbare Energien, über der Diskussion um »Jahr­hundertprojekte« wie Desertec und »Brückentechnologien« droht das wahre Ziel aus den Augen zu geraten: 100% jetzt. Eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien ist möglich. Wer sie nicht unverzüglich in Angriff nimmt, handelt unverantwortlich und beschwört neue Krisen herauf.
Beschleunigung ist daher das Kernthema von Her­mann Scheers neuem Buch. Der streitbare Politiker und international renommierte Solarexperte leuchtet hinter den Scheinkonsens, der auch Teile der Umwelt­bewegung erfasst hat. Er zeigt die wahren Konfliktlinien auf, nennt die Bremser und Blockierer beim Namen. Vor allem aber bietet Scheer eine realistische Bilanz der verschiedenen Konzepte nach ihren unterschiedlichen Wirkungen und Erfolgsaussichten. Und er beschreibt Schlüsselprojekte, die den Wechsel zu 100 % erneuerbaren Energien beschleunigen und neue atomare und fossile »Brücken« dahin überflüssig machen können.
Ein unverzichtbares Buch, das Mut macht, die Dynamik des Wechsels endlich als umfassende wirtschaftliche Chance zu begreifen, als ökonomischen wie ethischen Imperativ.

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HERMANN SCHEER

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Der energethische Imperativ:

Wie der vollständige Wechsel zu erneuerbaren

Energien zu realisieren ist

Verlag Antje Kunstmann

Für Lilli Scheer

geb. 21.2.2004

INHALT

Vorwort von Erhard Eppler

Einleitung ENERGIEWECHSEL: DIE ULTIMATIVE HERAUSFORDERUNG

TEIL I BESTANDSAUFNAHME

1. KEINE ALTERNATIVE ZU ERNEUERBAREN ENERGIEN: DER LANGE VERDRÄNGTE NATURGESETZLICHE IMPERATIV

A. Die Macht des Bestehenden:Das Weltbild der fossilen und atomaren Energieversorgung

B. Fehleinschätzungen:Die Hermetik konventionellen Energiedenkens

C. 100 Prozent-Szenarien:Von technischen Möglichkeiten zu Strategien

D. Strukturkonflikt:Das Spannungsverhältnis zwischen konträren Energiesystemen

E. Mobilmachung:Der Energiewechsel als gesamtpolitische Herausforderung

2. METHODEN UND PSYCHOLOGIE DER VERLANGSAMUNG: LÄHMUNGEN, AUFSCHÜBE UND (UN)FREIWILLIGE ALLIANZEN

A. Organisierter Minimalismus:Weltklimakonferenz und Emissionshandel in der Konzeptfalle

B. Brüchige Brücken:Atomenergie und CCS-Kraftwerke um jeden Preis?

C. Markt-Autismus:Die vier Wettbewerbslügen über erneuerbare Energien

D. Mangelnde politische Zivilcourage:Das Ausspielen der Zukunft durch die Gegenwart

3. SUPERGRIDS ALS PSEUDOPROGRESSIVE BREMSE: DESERTEC- UND NORDSEEPROJEKT ALS NEUE GIGANTOMANIE

A. Supergrids:Langwierige Umwege zu erneuerbaren Energien

B. Technologie ohne Soziologie:Das unkalkulierbare Desertec-Projekt

C. Windige Rechnungen:Die wirtschaftlichen Konsequenzen von Seatec

D. Prioritätenkonflikt:Der politische Missbrauch von Supergrid-Konzepten gegen dezentrale Stromerzeugung

TEIL II MENSCHEN, GESTALTUNGSRÄUME UND TECHNOLOGIEN FÜR 100 PROZENT ERNEUERBARE ENERGIE

4. BESCHLEUNIGUNG: FREIE ENTFALTUNG ERNEUERBARER ENERGIEN STATT TECHNOKRATISCHER PLANIFIKATION

A. Systembrecher:Das wachsende technologische Potenzial für Energieautonomien

B. Akteure:Die gesellschaftliche und ökonomische Bewegung zu erneuerbaren Energien

C. Vorränge:Der zeitgemäße ordoliberale Rahmen für eine gesellschaftsfähige Energieversorgung

D. Gemeingut:Die Schlüsselrolle kommunaler Energievorsorge

5. PRODUKTIVE FANTASIE: DER ENERGIEWECHSEL ALS ÖKONOMISCHER IMPERATIV

A. Synergien:Neue Produkte für multifunktionale Anwendungen

B. Konversionen:Die Umwidmung unproduktiver Wirtschaftszweige

C. Befreiung:Die Chance der Entwicklungsländer und eine »Desert-Economy«

D. Vorbeugung:Die Zukunftschance der Energieexportländer

6. »AGENDA 21« RELOADED: WELTFÖDERALE INITIATIVEN ZUM ENERGIEWECHSEL

A. 350 ppm:CO 2-Rückholaktionen für expandierende Land- und Forstwirtschaften

B. »Nullzins« für Nullemission:Entwicklungsfinanzierung für erneuerbare Energien

C. Humanpotenzial:Internationale Ausbildungsoffensiven und die Rolle der IRENA

D. Die Abwicklung des Atomzeitalters:Ausstieg aus der Atomenergie durch weltweites Atomwaffenverbot

7. WERTENTSCHEIDUNG: GESELLSCHAFTSETHIK STATT ENERGIEÖKONOMISMUS

ANMERKUNGEN

VORWORT

In Sachbüchern kommt das Wörtchen »ich« selten vor, auch in diesem. Aber da, wo es vorkommt, liegt der Schlüssel zum Verständnis dieses Buches, auch seines Autors Hermann Scheer, der noch erleben musste, wie eine deutsche Regierung den Ausstieg aus dem Ausstieg probte, aber nicht mehr erleben konnte, wie – nach Fukushima – der Deutsche Bundestag im Konsens den beschleunigten Ausstieg beschloss.

Am Schluss der Einleitung zu diesem Buch, das er als »Navigationshilfe für Durchbruchsstrategien« verstanden wissen will, bekennt Scheer:

»Mein Ausgangspunkt sind nicht die erneuerbaren Energien, sondern ist die Gesellschaft – aus der Erkenntnis, welche elementare Bedeutung der Energiewechsel für deren Zukunftsfähigkeit hat. Ich bin nicht von den erneuerbaren Energien zur Politik für diese gekommen, sondern aus meiner Problemsicht und von meinem Verständnis politischer Verantwortung zu den erneuerbaren Energien. Der Wechsel zu erneuerbaren Energien hat eine zivilisationsgeschichtliche Bedeutung. Deshalb müssen wir wissen, wie wir ihn beschleunigen können. Knapp sind nicht die erneuerbaren Energien, knapp ist die Zeit.« (S. 31f.)

Scheer hätte auch schreiben können: »Ich bin kein Fan einer neuen Technik, erst recht kein Technokrat. Ich bin ein durch und durch politischer Mensch, der sich Sorgen macht um seine Gesellschaft und ihre Zukunft. Deshalb ist dieses Buch auch einem sechsjährigen Kind gewidmet.«

Weil Hermann Scheer ein politischer Mensch war, fragte er, welche Interessen für und gegen den Umstieg auf erneuerbare Energien zu mobilisieren wären. Und er befand, dass eine dezentrale Erzeugung von Energie notwendig mit den Interessen – und der Macht – der Energieriesen zusammenprallen musste, die von wenigen Zentralen aus das Land mit Strom oder Öl versorgten. Er setzte daher von Anfang an auf die vielen wachen Bürgerinnen und Bürger, die täglich vom drohenden Klimawandel und alle paar Jahre von gescheiterten Klimakonferenzen erfuhren. Deshalb hatte er in einem Buch nach dem anderen für die Energie geworben, die direkt oder indirekt von der Sonne kommt. Deshalb hatte er der ersten rot-grünen Bundesregierung jenes Gesetz über die erneuerbaren Energien abgerungen, das inzwischen zum Exportschlager geworden ist, weil es nicht auf irgendwelche Behörden setzt, sondern auf die Häuslebauer, die sich ausrechnen können, was die Solaranlage auf dem Dach kostet und was sie einbringt. Und auf die Kommunen, die rasch begreifen, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien ihnen endlich die Chance bietet, sich aus der Abhängigkeit von den Konzernen zu lösen.

Schließlich war Hermann Scheer auch Ökonom. Er hielt wenig von Eingriffen einer Bürokratie in das Marktgeschehen, aber sehr viel von der Pflicht des Staates, den Märkten den Rahmen zu zimmern, der einerseits den Marktteilnehmern volle Freiheit der Entscheidung lässt und garantiert, sie andererseits aber anhält, im Sinne des Gemeinwohls zu handeln. Scheer hielt nichts von den Marktradikalen, die davon träumten, dass sich die Märkte selbst regulieren könnten, aber genauso wenig von denen, die meinten, ein Oberregierungsrat in einer Behörde wisse besser als ein Unternehmer, was und wie zu investieren sei. Der Gesetzgeber müsse nur den Vorrang der erneuerbaren Energien festschreiben – und das Gesetz über die erneuerbaren Energien ist genauso angelegt –, das Übrige sollten freie Bürgerinnen und Bürger selbst erledigen.

Daher ließ sich Hermann Scheer auch nie entmutigen vom Scheitern der Klimakonferenzen. Er war der Meinung, nahezu 200 Staaten hätten so verschiedene Interessen, dass sie sich niemals auf etwas einigen könnten, was der raschen Energiewende dient. Stattdessen setzte er auf den Wettbewerb der Staaten, auf solche, die vorpreschten und andere nachzogen. Er hielt auch nichts vom Handel mit Zertifikaten für den Ausstoß von Kohlendioxyd. Dieser führe nur zu einem Nullsummenspiel: Wenn ein Land Treibhausgas einspart, kann sich ein anderes die Erlaubnis kaufen, das Gegenteil zu tun. Es könnte durchaus sein, dass Historiker diese Methode des Klimaschutzes dereinst als Produkt einer extrem marktgläubigen Epoche einstufen.

Weil Hermann Scheer politisch dachte, warnte er vor dem, was er den »Scheinkonsens« nannte. Vielleicht hätte er auch das, was bald nach seinem Tod im Bundestag beschlossen wurde, so eingeordnet. Zumindest würde er auch jetzt warnen vor der »Allianz der Aufschieber«, vor denen, die vorgeben, jene »Brücken« zum Zeitalter der erneuerbaren Energien zu bauen, die er für überflüssig hielt. In dem Maße, wie die neuen Energieträger sich durchsetzen, so kalkulierte er, werden die alten überflüssig. Scheer wollte einen »Systemwechsel«, und das bedeutet 100 Prozent erneuerbare Energien. Dieses Ziel zu erreichen ist möglich, sagte er, auch ohne langwierige Großprojekte wie Desertec oder Off-shore-Windparks, die doch wieder zu einer zentral gesteuerten Energieversorgung führen.

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