Das Focusing stellt uns die Haltungen und Methoden zur Verfügung, die wir brauchen, um unser inneres Wissen um Heilung und Gesundheit in Sprache oder Bilder zu übersetzen und damit zu aktivieren.
Vorschau auf den weiteren Verlauf des Buches
Bevor ich darstelle, wie Sie mithilfe von Focusing achtsame Körperdialoge durchführen können, möchte ich zunächst darauf eingehen, wie wichtig es ist, dass wir selbst die Verantwortung für unsere Gesundheit übernehmen (Kapitel 2). Nach einer kurzen Erläuterung, was Focusing ist, gehe ich auf die Macht des Geistes und der inneren Bilder, auch anhand des Placebo-Effekts ein (Kapitel 3). Sie können daraus ersehen, wie wichtig die Körperdialoge für die Aktivierung der Selbstheilungskräfte sind. Die konkreten Körperdialoge beginnen wir damit, ein Ziel zu formulieren (Kapitel 4). Danach beschreibe ich in Kapitel 5 die Grundhaltung der inneren Achtsamkeit mit ihren heilenden Qualitäten vor. In der Praxis hat es sich bewährt, vor der konkreten Symptomerforschung ein Symbol für den Inneren Arzt oder die Innere Ärztin zu finden (Kapitel 6). Anschließend wird in Kapitel 7 das Prinzip Freiraum, das die Voraussetzung für einen Körperdialog ist, mit Übungen dargestellt. Lesen Sie in Kapitel 8, wie die eigentliche Auseinandersetzung mit Symptomen und deren Entschlüsselung verlaufen kann, auch mithilfe der Kunst der achtsamen Berührung. Im Kapitel 9 stelle ich dar, wie Sie mithilfe von achtsamen Körperdialogen alle Aspekte einer Erkrankung beleuchten und Antworten nachstehende Fragen erhalten:
Wie kann ich mit den Gefühlen, die mit dem Krankheitsprozess verbunden sind, heilsam umgehen?
Welche Gedanken und Einstellungen über meine Erkrankung sind wirklich heilsam?
Wie treffe ich im Dschungel der Heilungsangebote gute, für mich stimmige Therapieentscheidungen?
Wie erkenne ich mögliche, die Krankheit aufrechterhaltende Faktoren? Wie kann ich diese ggf. loslassen und die Bedürfnisse, die sich durch diese Symptomatik ausdrücken, besser befriedigen?
Wie möchte ich mich bezüglich meiner Krankheit verhalten, sodass meine Handlungen mit meinen Empfindungen und mit meiner inneren Stimme übereinstimmen?
Wie finde ich die soziale Unterstützung, die ich für meine Gesundung brauche?
Kapitel 10 richtet sich in erster Linie an TherapeutInnen und ÄrztInnen. Dort stelle ich zunächst ein achtsames Beziehungsmodell vor und ergänze einige Aspekte der achtsamen Grundhaltung für TherapeutInnen. Focusing und Achtsamkeit in die eigene Arbeit zu integrieren bedeutet nicht zwangsläufig, andere in Körperdialogen anzuleiten. Wesentlicher ist das Handeln aus dem eigenen Felt Sense, aus der eigenen Mitte. Das Buch schließt mit Aussagen von MedizinerInnen über die Erfahrungen mit Focusing in ihrer Praxis und mit weiteren Informationen.
Ich habe zur Anschaulichkeit die meisten Übungen durch Fall-Beispiele illustriert. Diese Beispiele stammen entweder von KlientInnen aus meiner psychotherapeutischen Praxis – die Prozesse habe ich mitstenografiert – oder von meinen SeminarteilnehmerInnen, die sie im Nachhinein selbst protokollierten. Die Namen wurden zum Zwecke der Anonymisierung geändert, teilweise auch die biographischen Daten. Für die bessere Lesbarkeit habe ich mir erlaubt, die Dialoge zu kürzen und zusammenzufassen.
Einladung zur Selbsterfahrung
Ein Gramm Praxis wiegt mehr als tausend Tonnen Theorie auf.
SPRICHWORT
Wenn wir wissen wollen, wie eine Mango schmeckt, müssen wir sie essen, sagt ein Sprichwort. Sie halten momentan nur eine Landkarte für einen Prozess in Ihren Händen. Wollen Sie wirklich wissen, wie sich ein achtsamer Körperdialog anfühlt, dann reicht es nicht aus, ein Buch zu lesen, denn damit allein können Sie es nicht lernen. Focusing muss persönlich erfahren werden. Im Dialog mit dem Körper möchte aber ein Anstoß dazu sein, sich selbst auf den Weg des inneren Zuhörens zu begeben. Viele der vorgeschlagenen Übungen können Sie entweder selbstständig mithilfe der gesprochenen Meditationsanleitungen oder mithilfe einer achtsamen Zuhörerin oder einer Begleiterin durchführen wie zum Beispiel zum Beispiel einem guten Freund oder einer Freundin. Sobald jemand Sie mitfühlend begleitet, ohne sich inhaltlich einzumischen, werden Ihre Körperdialoge sehr an Tiefe gewinnen. Gleichzeitig wird es Ihnen leichter fallen, beim Strom Ihres inneren Erlebens zu bleiben und nicht gedanklich abzuschweifen. Manche Übungen können tiefer gehen, wenn Sie die Selbsthilfemethode des Focusings in einem Seminar oder besser noch in einer Weiterbildung systematisch erlernen oder wenn Sie eine geschulte Focusing-Therapeutin oder -Therapeuten aufsuchen, um sich von dieser bzw. diesem begleiten zu lassen. Adressen finden Sie im Anhang dieses Buches.
Mit der Einladung zur Selbsterfahrung möchte ich auch die Ermutigung verbinden, dem, was ich schreibe, nicht einfach blind Glauben zu schenken. Prüfen Sie bitte alles anhand Ihrer eigenen Erfahrungen und machen Sie diese zu Ihrem Maßstab. Mein Anliegen ist, dass Sie selbst zu Ihrer eigenen inneren Wahrheit finden und dieser dann treu bleiben. Dazu gehört auch, Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen.
Kapitel 1
Selbstverantwortung und Patientenkompetenz
»You can go your own way!« sang die Band Fleetwood Mac in den 70er Jahren. Den eigenen Weg gehen – gilt das auch für unsere Rolle als Patientinnen und Patienten? Sollten wir uns bei medizinischen Entscheidungen nicht einfach denjenigen anvertrauen, die ein langes Studium absolviert haben und schließlich ExpertInnen auf diesem Gebiet sind? Oder sollten wir uns vielleicht auch einmal fragen, wer letztendlich die Verantwortung für unsere Gesundheit trägt? Im ÄrztIn-PatientIn-Verhältnis hat sich in Hinblick auf diese Fragen in den letzten Jahrzehnten einiges verändert.
Als junge Psychologin arbeitete ich Mitte der 80er Jahre in einer Rehabilitationsklinik in einem winzigen Dorf im Schwarzwald. Zu uns kamen PatientInnen mit orthopädischen und internistischen Problemen sowie mit Augenerkrankungen. Ich war offen gestanden zunächst schockiert darüber, wie sich viele PatientInnen in der Sprechstunde darstellten: Sie erwarteten, von unserem Team behandelt, therapiert und am besten täglich massiert zu werden, ohne etwas an ihrem – aus meiner Sicht häufig krankmachenden – Lebensstil verändern zu wollen. Eines Tages hielt ich in Anwesenheit meines Chefs, eines freundlichen, aber etwas ängstlichen Internisten, eine flammende Rede und bat die PatientInnen darum, die Klinik nicht wie eine Kfz-Werkstatt zu betrachten, nicht wie einen Ort, an dem man herumliegen kann, um sich Medikamente einträufeln und passiv therapieren zu lassen. Mein Chef kräuselte während meiner Ansprache zunächst die Stirn und warf mir zunehmend böse Blicke zu, die mir zu verstehen gaben, ich möge mit diesem Unsinn bitte umgehend aufhören. Im anschließenden Gespräch mit ihm begriff ich, dass er nicht nur Angst davor hatte, ich könnte unsere Patienten mit meiner norddeutschen Direktheit vor den Kopf stoßen, sondern dass er sich mündige Patienten gar nicht unbedingt wünschte!
Mittlerweile befinden wir uns in der Gestaltung der ÄrztIn-PatientIn-Beziehung an einem Wendepunkt. Über Jahrhunderte hinweg sollten PatientInnen nur passiv sein und den Anweisungen ihres – meist männlichen–Arztes möglichst Folge leisten, ohne viel nachzufragen. Noch in den 60er Jahren wurden den PatientInnen Diagnosen zum Teil nicht mitgeteilt, oder sie wurden nur unzureichend über ihre Erkrankung informiert. Diese Haltung prägt unsere Gesellschaft immer noch tief. Nicht selten geben wir auch heute noch die Verantwortung für unsere Genesung blind an die behandelnden ÄrztInnen ab.
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