Das hier vorgestellte Vorgehen, wie Sie das innere Körperwissen um Heilung entschlüsseln und nutzen können, nenne ich Achtsame Körperdialoge . Diese Körperdialoge sind nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu einer fachlich-medizinischen Behandlung gedacht. Es geht darum, die Außenperspektive über eine Erkrankung und deren Behandlungsmöglichkeiten um die Innenperspektive- das subjektive innere Körperwissen- zu ergänzen. Erst wenn äußeres, medizinisches Faktenwissen und inneres, subjektives Wissen zusammenkommen, ergibt sich ein vollständiges Bild.
Die in amerikanischen Wissenschaftszentren entwickelte Mind-Body-Medizin hat zum Ziel, die Wechselwirkung zwischen Bewusstsein, Gehirn, Körper und Verhalten positiv zu beeinflussen. Sie ist in den USA bereits weit verbreitet, während sie bei uns immer noch in den Kinderschuhen steckt. Die Grundlage der Mind-Body-Medizin ist die achtsame Wahrnehmung des eigenen Körpers. Darauf basierend lernen PatientInnen, wie sie ergänzend zu medizinischen Maßnahmen eigene Gesundheitsressourcen positiv nutzen und die eigenen Selbst-Heilungskräfte gezielt anregen können.
Im Dialog mit dem Körper versteht sich als ein Praxisbuch in Mind-Body-Medizin und richtet sich sowohl an jede und jeden, die oder der an körperlichen Beschwerden leidet, als auch an TherapeutInnen. Geschieht dieses achtsame Wahrnehmen des Körpers auf eine bestimmte Weise, die ich in diesem Buch darstellen möchte, dann entspringen dem Körperempfinden Antworten, die uns in der Regel verblüffen und zutiefst Sinn ergeben. Wir haben dann ein wirkliches Aha-Erlebnis. Die überraschende Bedeutung unserer Symptome erweitert unser Lebensgefühl und wir erfahren körperlich spürbar, was der nächste stimmige Schritt zur Heilung oder Krankheitsbewältigung sein kann. Am Ende eines Körperdialoges fühlen wir uns in der Regel mehr mit uns selbst und unserer Umgebung im Einklang und schauen entspannter und akzeptierender auf unsere Beschwerden. Das Frappierende: Die Symptome haben in aller Regel auch eine Linderung erfahren, wenn sie nicht sogar ganz verschwunden sind.
Voraussetzung dafür, dass dieses innere Heilungswissen sich entfalten kann, ist eine freundliche, vorurteilsfreie und vollkommen offene Aufmerksamkeit für unsere Empfindungen im Körper.
Einen achtsamen Körperdialog können wir mit kleineren Symptomen wie zum Beispiel einem Schnupfen oder eine Sehnenscheidenentzündung durchführen, aber auch bei schwereren Erkrankungen wie Krebs oder Rheuma.
Ein achtsamer Dialog mit dem eigenen Körper
bringt uns in einen fühlbaren Kontakt mit unseren Selbstheilungskräften. Diese können direkt erfahren werden und bleiben keine bloßen Vorstellungen.
verursacht keine Schmerzen, sondern führt in der Regel zu mehr Wohlbefinden und zu einer Linderung der Symptomatik.
ist fast immer überraschend und kreativ. Das, was unser Körper selbst zu unserer Gesundheit sagen möchte, können wir weder allein mit unserem Verstand vorausdenken noch mithilfe vorgefertigter psychosomatischer Hypothesen vorwegnehmen.
führt dazu, dass Krankheiten oder Symptome, die zunächst als lästig oder unangenehm abgewehrt wurden, plötzlich in ihrem Zusammenhang zum eigenen Leben erkannt werden und Sinn ergeben. Das wiederum steigert die Akzeptanz und bringt meist Linderung oder gar Heilung.
ist vom Ergebnis her präzise und wird von einem tiefen Gefühl von innerer Stimmigkeit begleitet.
kostet nichts, wenn man ihn selbst durchführt.
stärkt das Vertrauen in die Weisheit des eigenen Körpers, das durch die Erkrankung möglicherweise in Mitleidenschaft gezogen wurde.
ist eigentlich gar nichts »Besonderes« – sondern das aller Einfachste, Nächstliegende und Selbstverständlichste!
Hier zwei weitere Beispiele aus meiner Praxis:
Die Arzthelferin Marianne leidet seit vielen Jahren unter chronischer Müdigkeit. Die Schulmedizin konnte ihr nicht weiterhelfen. Im Rahmen eines achtsamen Körperdialoges tauchen relativ rasch Bilder aus ihrer Kindheit auf, die ihr unangenehm sind und die sie zunächst wegschieben möchte, da sie für ihren Verstand nichts mit der Symptomatik zu tun haben. Nachdem sich die Bilder aber immer wieder vor ihr inneres Auge drängen, gibt sie ihnen wohl oder übel Raum. »Es sind Erinnerungen aus meiner Kindheit. Für meine Mutter war ich eine Last. Sie wollte immer ihre Ruhe haben. Für sie war es am angenehmsten, wenn ich mich nicht bewegte, schön still war oder besser noch schlief. Wenn ich das noch einmal auf mich wirken lasse, spürte ich eine enorme, mich erschütternde, bis jetzt unterdrückte Wut. Jetzt wird mir ganz klar: Wenn ich nicht bereit bin, diese Aggressionen zu fühlen, sacke ich in mich zusammen und werde schläfrig. Jetzt, wo ich mir erlaube, dorthin zu spüren, setzt das ungeahnte Energien in mir frei, die mich aber auch noch ein wenig beängstigen. Neben dieser Angst empfinde ich jetzt aber auch eine große Lust, weiter zu forschen und diese Energien ins Leben zu bringen!«
Schmerzen im Schultergelenk
Konstanze pflegt seit Jahren ihren Mann, der nach einem Schlaganfall viel Zuwendung von ihr verlangt. Sie ist 63 Jahre alt und leidet seit ein paar Wochen unter Schmerzen im rechten Schultergelenk. Diese ziehen sich über den Oberarm bis in den Unterarm hinein. Krankengymnastische Behandlungen blieben bisher ohne Erfolg. Ich lade sie ein, ihre Augen zu schließen und bei der schmerzenden Symptomatik in ihrem Schultergelenk zu verweilen, ohne etwas zu tun. »Es fühlt sich an, als würde ich einen viel zu schweren Rucksack tragen.« Sie seufzt. »Das passt sehr genau zu meiner Situation mit meinem kranken Mann. Ich will sie tragen und ertragen, aber sie ist zu schwer.« Auf meine Frage hin, ob die Schulter etwas dazu sagen möchte, spürt sie in sich hinein. »Die sagt: schultere dir nicht mehr so viel auf, gönn’ dir mehr Freizeit. Fang an, Nein zu sagen. Denk erst mal an dich.« Sie schweigt. Dann äußert sie: »Wenn ich jetzt in die Schulter fühle, merke ich, dass das Ziehen fast verschwunden ist.«
Unsere Symptome enthalten meistens, wenn wir ihnen zuhören, einen Bezug zu unserem Leben. Sie sind häufig so etwas wie verschlossene Briefe, die eine wichtige, lebensförderliche Botschaft für uns haben. Nur wir selbst können ihre Botschaft empfangen. Das Problem ist, dass wir die Sprache dieser »Briefe« nicht unmittelbar verstehen. Die Symptome teilen sich uns nicht in Worten mit, sondern in Empfindungen. Der Druck im Bauch, die Schmerzen im Rücken, die Entzündung im Schultergelenk, das Brennen, Ziehen oder Stechen – wir haben erstmal keine Ahnung von deren Bedeutung. Wir brauchen etwas, um diese Empfindungen in Worte oder Bilder zu übersetzen, die wir verstehen und die für uns Sinn ergeben.
Für mich hat sich das Focusing dabei als besonders hilfreich erwiesen.
Körperwissen systematisch Entschlüsseln: Das Focusing
Die von dem Philosophen und Psychotherapeuten Eugene Gendlin entwickelte Selbsthilfe- und Therapiemethode Focusing bietet uns einen systematischen und pragmatischen Weg, um körperliche Empfindungen in Sprache zu übersetzen und damit unser inneres Heilungswissen zu entschlüsseln. Dabei ist es einfacher als man denkt, die Sprache der Symptome zu verstehen. Das Focusing entspricht in vielerlei Hinsicht dem natürlichen Prozess von Selbstheilung. Es sagt uns aber nicht wie ein psychologischer Ratgeber, dass zum Beispiel unser niedriger Blutdruck dafür spricht, dass wir Konflikte vermeiden, sondern es bringt uns Zuhören bei, das achtsame Lauschen, bei dem wir über den Körper den nächsten Schritt in Richtung Gesundheit finden.
Benutzen wir Focusing auf dem Weg zur Genesung, so wird uns kein vorgefertigter Plan für unseren Weg mitgegeben. Es sagt uns keiner »Tu dies oder lass jenes, und du wirst gesund.« Stattdessen zeigt uns unser Körperwissen wie ein Kompass den nächsten Schritt.
Читать дальше