Ein großer schlanker Mann in maßgeschneiderter Uniform und mit rotem Barett auf dem kahlen Schädel, stieg aufreizend langsam aus. Sein gesamtes Auftreten strahlte eine gefährliche Dominanz aus, wobei die dunkle Sonnenbrille den Eindruck noch verstärkte. Die von einem Untergebenen überreichten Ausweisdokumente und Unterlagen studierte er ohne erkennbare Gefühlsregung.
Charles' vorsichtiger Blick fiel derweil auf die Peitsche am Gürtel des Mannes. Sein Urgroßvater hatte ihm davon berichtet, doch nie hatte er selbst eine zu Gesicht bekommen. Sie bestand aus getrockneter Nilpferdhaut, die an einem Ende zu langen scharfkantigen Streifen geschnitten war. Das berüchtigte Folterinstrument der „Force Publique“, jener kongolesischen Privatarmee König Leopolds II. von Belgien. Maximal zwanzig Hiebe machten einen Menschen bewusstlos, einhundert führten zum sicheren Tod. Plötzlich fiel dem kongolesischen Fahrer die Antipathie seines Volkes gegenüber dem großen George Foreman 1974 in Kinshasa ein, welcher sich im Vorfeld des legendären Jahrhundertboxkampfes gegen Mohammad Ali mit Deutschen Schäferhunden umgeben hatte. Jenen Hunden also, die als Symbol der kolonialen Fremdherrschaft der Belgier betrachtet wurden. Foreman konnte man seinerzeit wohl nicht ernsthaft unterstellen, sich dieser Zusammenhänge bewusst gewesen zu sein. Aber diese Peitsche? Wie stand es um das Wissen des Befehlshabers darüber?
Als könne der Gedanken lesen, zeigte er ein flüchtiges Lächeln und strich über den Fetisch am Gürtel. »Ein Erbe der Belgier, die dieses Land noch zu disziplinieren wussten«, folgte die provokante Feststellung. Gelassen nahm er die Sonnenbrille ab. »Mein Name ist General Felix Kirundo, Oberbefehlshaber der Befreiungsarmee Ruandas im Kongo.«
Für alle überraschend machte Joseline Mulolo einen entschiedenen Schritt auf ihn zu und spuckte ihm ins Gesicht. »Was hast du mit meiner Familie gemacht, du Mörder?!«, schrie sie ihn zornig an.
Scheinbar unbeeindruckt wischte Kirundo sich den Speichel ab. Mit knapper Geste hielt er seine Soldaten von einer Züchtigung ab. Die verzweifelte Frau würdigte er indes keines Blickes. »Du wirst schon sehr bald mit ihnen vereint sein.«
Als nächstes nahm er die Peitsche zur Hand und wandte sich Francine Magaud zu. »Franzosen. Genau wie 1990, als wir von Uganda aus nach Ruanda zurückkehren wollten, um unseren rechtmäßigen Platz einzunehmen. Nicht einmal eure Fremdenlegionäre konnten verhindert, dass wir unser Schicksal erfüllen.«
»Was wollen Sie hier eigentlich erreichen?«, fragte der deutsche Gefangene sichtlich nervös.
General Kirundo, der die Peitsche nun permanent gegen den Oberschenkel schlug, gab seinem Adjutanten ein beiläufiges Handzeichen. Sein Interesse war indes noch nicht erschöpft. »Der Deutsche. Eigentlich sollten Sie meine Motive doch am besten verstehen können. Ihr Volk hat die Chance vertan, Europa seinen Stempel aufzudrücken. Jetzt ist die Zeit an uns, im Herzen Afrikas erfolgreicher zu sein.«
Die Gefangenen wurden mit Nachdruck weggeführt, als plötzlich ein Schuss fiel. Erschrocken blickte die kleine Gruppe zurück. Noch immer stand General Kirundo an derselben Stelle, jedoch mit einer Schusswaffe in der Hand. Zu seinen Füßen lag Joseline Mulolo, sterbend an einem Kopfschuss.
Von Entsetzen gelähmt, wurden ihre Mitstreiter gewaltsam in Richtung einer Lichtung weitergetrieben, bis ein süßlich-beißender Gestank in der Luft lag, dessen Ursprung eine von Menschenhand ausgehobene tiefe Grube darstellte. Die verwesenden Leichen darin waren nur unvollständig mit Erde bedeckt. Selbst das robuste Nervenkostüm einer Francine Magaud hielt dem nicht stand. Ihr Schrei erfüllte die Abenddämmerung, gefolgt vom Vollstrecken des Erschießungskommandos.
Gouverneurspalast in Bukavu – Provinzhauptstadt Südkivus:
Denis M'Bisimwa war der sprichwörtliche Pate von Südkivu. Seinen Ausweisdokumenten zufolge war er gebürtiger Staatsbürger der Demokratischen Republik Kongo. Doch tatsächlich fühlte er sich weniger seinem Land, als vielmehr seinem persönlichen Profit verpflichtet. Es gab kaum ein Geschäft in dieser Provinz, an dem er nicht mitverdiente, legal oder illegal. Und seitdem er Provinzgouverneur und außerdem Präsident der regionalen Handelskammer war, gab es offiziell ohnehin keine illegalen Geschäfte mehr. Zumindest, solange er sie legitimierte. Bei dem Gedanken verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen.
Der schwergewichtige Schwarzafrikaner mit kahlrasiertem Schädel hatte seinen überdimensionierten Managersessel in Ruheposition gebracht. Seine Beine ruhten auf dem schweren Schreibtisch aus wertvollem Tropenholz. In der Tradition wohlhabender und geltungsbewusster kongolesischer Männer, kam sein Anzug aus einer der Modemetropolen Europas und war maßgeschneidert. Aufwendiger Goldschmuck zierte Handgelenke und Finger. In der Hand hielt er ein Glas mit Whisky der Premium-Kategorie. Kurzum, was Denis M'Bisimwa an kultivierter Lebensart und ethischem Empfinden vermissen ließ, glich er mit materiellen Statussymbolen mehr als aus.
Lustlos reagierte er auf das Klingeln des Telefons auf seinem Schreibtisch. »Linda, wer ist am Telefon?!«, rief er durch die geöffnete Tür, nicht geneigt, seine bequeme Position eventuell grundlos aufzugeben.
Eine attraktive Frau erschien in der Türöffnung. Auch sie trug ein Businesskostüm westlicher Prägung. Ein traditionelles Modell duldete ihr Chef nicht. »Es ist die Erzdiözese von Bukavu, Exzellenz. Der Erzbischof persönlich. Es geht um die Reparaturen an der großen Kirche.«
»Ist gut, ich gehe ran«, erwiderte der Provinzgouverneur desinteressiert. Er empfand herzlich wenig Sympathie für die katholische Kirche oder sonst irgendeine Glaubensgemeinschaft. Mit denen war einfach kein gutes Geschäft zu machen. Stattdessen bettelten sie regelmäßig um Unterstützung und lagen ihm damit in den Ohren, wie sehr die Menschen in den Minen ausgebeutet wurden oder wie viele Frauen der Vergewaltigung durch irgendwelche Rebellengruppen oder marodierende Milizen zum Opfer fielen. Alles landete auf seinem Tisch. Es war ihm einfach nur lästig. Andererseits war die Kirche für ihn aber auch durchaus von Nutzen. Immerhin sechzig Prozent der Bevölkerung waren katholisch. Und wer in der Kirche betete und auf Erlösung hoffte, probte nicht gleichzeitig den Aufstand.
Also quälte sich der Pate von Bukavu und Südkivu ans Telefon, aktivierte die Freisprecheinrichtung und zauberte ein Politikerlächeln auf sein Gesicht. »Hochwürden, ich bin sehr erfreut, von Ihnen zu hören. Wie kann ich behilflich sein?«
Das Kirchenoberhaupt wiederum war sich des wahren Charakters dieses zwielichtigen Mannes völlig im Klaren. Trotzdem oder gerade deshalb war er mit seinen Anliegen auf ihn angewiesen. Und so vertraute der Würdenträger darauf, mit regelmäßigen Eingaben einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu können, auf das stetes Wasser den Stein höhlen sollte.
»Exzellenz, ein Anliegen betrifft noch immer das undichte Dach unserer Kirche Sankt Elisabeth. Die Sonntagspredigten sind gerade jetzt in der Regenzeit für die vielen Gläubigen kaum noch zumutbar. Wir benötigen dringend die Unterstützung der Stadtverwaltung. Ich hoffe dabei auf Ihren Einfluss.«
Auf ein Blatt Papier malte Denis M'Bisimwa auf den Kopf gestellte Kreuze, während er um Verständnis heischend antwortete: »Nun, wie Sie wissen, sind die Kassen unserer Stadt und der Provinz leer. Ich habe schon vor Monaten frisches Geld in Kinshasa beantragt. Traurige Wahrheit ist, unsere Regierung benötigt die Geldmittel für die Bekämpfung der vielen Feinde in den Ostprovinzen. Und vergessen wir nicht die medizinische Versorgung der Zivilbevölkerung. Aber wem erzähle ich das.«
Gerade als korrupter Staatsbeamter war seine Enttäuschung in diesem Punkt aufrichtig, denn wann immer Geldzahlungen aus Kinshasa ausblieben, konnte auch er keinen entsprechenden Betrag für sich abzweigen. Ohnehin blieb noch abzuwarten, wie der jüngst gewählte neue Staatspräsident sich positionieren würde. M'Bisimwa genoss einen Schluck Whisky. Er würde der Kirchengemeinde einen unbedeutenden Betrag aus seinem nicht unbeträchtlichen Privatvermögen zukommen lassen. Ein wenig Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache konnte nie schaden.
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