Luise Reinhardt - Gertrud

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Die Protagonistin – in dieser Zeit ein sechzehnjähriges Mädchen – gerät durch Zufall in das politische Getriebe; Verrat und Intrigen, politische Karrieren und militärisches Säbelrasseln bilden den Rahmen, auch der »erleuchtete Geist« Fürchtegott Gellert erhält eine Nebenrolle.

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Gertrud

Roman

von

Luise Reinhardt

картинка 1

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zweiter Teil.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Dritter Teil.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Vierter Teil.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Impressum

Erster Teil.

Erstes Kapitel.

D er Landstrich im mittleren Deutschland, welcher sich vom Elbstrome bei Dresden, westlich hinüber nach Kurhessen zieht, ist stets vorzugsweise von den bedeutendsten adeligen Familien bewohnt gewesen. Nirgends fand man so viele Barone, Grafen und Herzöge, wie dort, und auch das geistigere Leben schien sich in diese Landesdistrikte geflüchtet zu haben, als Deutschlands Genius sich zu regen begann.

Ohne auf einen wild romantischen Charakter Anspruch zu machen, ziehen sich die Ebenen voll fruchtbarer Üppigkeit, durchschnitten von einer Menge kleiner Flüsse und oftmals von Höhen unterbrochen, die teils mit uralten Waldungen gekrönt, teils mit Wein bebaut sind, von dem Elbestrand bis zu den Ufern der Werra und Fulda hin, und die Saale mit ihren anmutigen Ufern durchschneidet in fast lächerlichen Krümmungen das Land, bis sie sich einige Meilen vor Magdeburg in die Elbe ergießt.

In den anmutigen Tälern sowohl, als auf den waldumkränzten Hügeln lagen zerstreut die Wohnungen reicher und armer Edelleute, die in frühern Jahrhunderten bei weitem weniger als jetzt geneigt waren, die patriarchalische Würde gegen ein Hofamt oder gar gegen Militär- und Zivilkarrieren zu vertauschen. Sie thronten, bevorzugt und mit Privilegien aller Art ausgerüstet, als Herren auf ihren Edelsitzen und glaubten sich Könige. Was manchem an Reichtum abging, das hatte er dafür an Ahnen aufzuweisen, und die Zahl derselben, in unentweihter Reihenfolge, war wohl im Stande einen leeren Beutel und ein zerfallendes Schlossgebäude mit dem Glanze irdischer Hoheit zu verklären. Aber auch reiche Edelleute von untadelhaftem Stammbaume gab es in den Gauen des kleinen Landstrichs, den wir bezeichnet haben, und unter diesen zeichnete sich das Geschlecht Bünau von RittbergenNote 1) als ein von Gott reich gesegnetes und auch reich begabtes aus. Von allen Standesgenossen geachtet und von allen Untergebenen geliebt, lebte der Stammherr Reinhard Bünau von Rittbergen seit Jahresfrist mit seiner jungen, wunderschönen Schwester Margareth auf dem väterlichen Schlosse, das von alter Bauart, umgeben von den Trümmern einer stolzen und mächtigen Vergangenheit, dennoch nicht ohne Ansprüche auf Pracht war. Der Charakter der Landschaft, die Üppigkeit des Waldgrünes und der Wiesen, von einem kleinen, rasch rieselnden Gewässer verschönt, milderten das Raue und Altritterliche des Rittberg’schen Ahnensitzes, und die Überbleibsel einstiger Barbarei waren von der Hand der Zeit sowohl, als von der Mildherzigkeit der Mutter Natur so hinlänglich und entsprechend vorbereitet gewesen, dass es dem jungen Schlossherrn nur wenig Mühe und Geld gekostet hatte, um der ›Burg seiner Väter‹ zu einem bewunderungswürdigen Aussehen zu verhelfen. Das antike, mit Seitentürmen versehene Schloss lag gleichsam auf einem Vorsprunge des Gebirgszuges, der sich dicht hinter demselben, aber abgetrennt, in kühnen und hohen Bergrücken, schön bewaldet am westlichen Horizonte entlang zog, während der Osten eine freie Ebene mit Baumgruppen, Wiesengrün und Kornfeldern darbot. Der Lärm der Arbeit und das rüstige Leben der Tätigkeit entwickelte sich in ergötzlicher Nähe vor den spiegelhellen Fenstern der Schlossbewohner, ohne doch die würdige Ruhe in demselben Maße zu beeinträchtigen, und es konnte gewiss kein friedvolleres Glück geben, als abends von den hohen Bogenfenstern hinab auf die lichtgrünen Wiesen zu schauen, wenn die Herden mit ihren weithin schallenden Glocken am Ufer des silberhellen Flusses hinzogen. Die etwas sentimentale Schwärmerei für solche Naturschönheiten hinderte zur Zeit, als Margareth von Rittbergen mit ihrem stolzen und zugleich liebevollen Bruder im väterlichen Schlosse hausete, die junge Dame nicht, sich ihr mit ganzer Seele hinzugeben und das tägliche Schauspiel als das reizendste zu preisen, was ihr geboten werden könne. Nach solchen Beteuerungen zu schließen, gehörte Fräulein Margareth schon damals dem Kreise jener überschwänglichen Frauen an, wie sie um einige Jahrzehente später das ganze liebe Deutschland dergestalt überfluteten, dass man nach einer vernünftigen Frauenseele und nach einem nüchternen Frauenverstande vergeblich suchte. Es war dies der erste Anlauf einer weiblichen Geisteskultur, die sich in entsetzlicher Übertreibung als schäfermäßige Süßlichkeit und hochtrabendes Phrasentum Bahn zu brechen strebte. Man konnte es vielleicht dem Umstande zuschreiben, dass den deutschen Frauen seit lange wieder von der Literatur gehuldigt ward. Es war dies das erste Stadium der weiblichen Bildung, wo man sich in süßer Schwermut den Dichtern des Vaterlandes zuneigte und sich in ihrer Wertschätzung bis zu einer rührenden Anbetung verstieg. Dem gefunden Kerne der Vernunft konnte die krankhafte Überspannung solcher weiblichen Seelen nicht lange widerstehen, aber dem weichen, nach Übersinnlichkeit schmachtenden Herzen war der ganz falsch beurteilte Bildungsgrad der damaligen Zeit oftmals ein Gift, das seinen eigenen Untergang herbeiführte.

Die duftige, herzerweiternde Frische eines Herbstmorgens lag auf der Flur, welche sich vor dem Schlosse Rittbergen ausbreitete, als eine Equipage mit der bezeichnenden Bedächtigkeit des achtzehnten Jahrhunderts durch die abgemäheten Kornfelder fuhr und bald darauf seine Insassen vor der gotisch gewölbten Haustür ab lieferte. Ein fröhliches Willkommen tönte ihnen entgegen, und man sah alsbald den jungen Schlossherrn mit ganz besonderm Eifer eine junge hübsche Dame vom Wagentritte hinabheben und voll ehrerbietiger Zärtlichkeit von dem Gesindepersonale begrüßen.

Nach dieser Dame, die Elvire von Uslar hieß und seit wenigen Wochen Herrn Reinhard Bünaus Braut war, entstieg ein kriegerisch aussehender Herr mit einem schmalen schwarzen Pflaster über der linken Wange bis zum Kopfe hinauf, der Karosse, und wendete sich sogleich hilfreich, um seiner lebhaft sprechenden und laut lachenden Frau und einem noch sehr jungen Fräulein, Gertrud von Spärkan, gleichfalls ritterliche Dienste zu weihen.

Während Rittbergen seine Braut unter leisen zärtlichen Worten in die Vorhalle geleitete und sich in dem glücklichen Lächeln des Mädchens sonnte, begrüßte Fräulein Margareth unter Erröten die Vorläufer der großen Festlichkeit, die in wenigen Tagen auf Schloss Rittbergen stattfinden sollte, und empfing mit Herzklopfen die Glückwünsche zu ihrer bevorstehenden Vermählung von den Ankommenden. Ja, es sollte Hochzeit auf Schloss Rittbergen sein – Margareth wollte das Vaterhaus und ihren Bruder verlassen, um nach einer sehr kurzen, stürmischen Werbung die Gattin des Grafen Levin von Brettow auf Brettowroda zu werden.

Man erwartete viele Gäste zu dieser Hochzeitsfeier. Man erwartete sie von nah und fern. Der militärisch aussehende Herr mit dem schwarzen Pflaster kam weit her. Es war der Oberst von Pröhl aus dem Sachsenlande, der im letzten Kriege sein Herz an eine allerliebste Preußin verloren und ihre Hand endlich nach verschiedenen Kapitulationen unter der Bedingung erworben hatte: als Ehegatte seiner lustigen Elisabeth nur französisch zu fluchen!

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