Selbstverständlich geriet auch seine Organisation hin und wieder ins Visier des öffentlichen Interesses. Wer Räder dieser Größenordnung drehte, konnte das nicht gänzlich verhindern. So hatte ein französischer Untersuchungsrichter sie, genauso wie auch Mitglieder der seinerzeit oppositionellen „Ruandischen Patriotischen Front“, 2004 mit dem Raketenbeschuss der ruandischen Präsidentenmaschine im Jahr 1994 in Verbindung gebracht. Egal, dafür war die Ermordung des alten Kabila wiederum ein perfekter Coup gewesen, der keine beweiskräftigen Rückschlüsse auf eine Beteiligung der IOD zugelassen hatte. Keiner der involvierten Personen, angefangen von dem als US-Diplomat getarnten IOD-Mitarbeiter und Täter über den Angehörigen des engsten Beraterstabes bis hin zur persönlichen Sekretärin, war je überführt worden.
Bei all dem hatte die IOD nur den einen Daseinszweck, einen ungehinderten Zugang zu Afrikas Naturressourcen zu gewährleisten und Widerstände jeweiliger Regierungen zu unterbinden oder gegebenenfalls zu brechen. Aktuell wurde in den USA gegen einige Hintermänner der IOD wegen Verstoßes gegen das „Gesetz über Kartelle und korrupte Organisationen“ sowie das „Gesetz über ausländische korrupte Praktiken“ ermittelt, keine besondere Überraschung. Es handelte sich hierbei sowohl um Privatunternehmen als auch um hochgestellte Mitarbeiter des Außenministeriums. Selbstverständlich würde auch diese Posse im Sande verlaufen.
Der Gast aus Übersee vergegenwärtigte sich einmal mehr, wie schizophren die Weltpolitik seines Landes im Grunde war. Der Flugzeugabschuss von 1994 bot dafür ein exzellentes Beispiel. UN-Ermittler hatten dies einen Akt des internationalen Terrorismus genannt. Die USA jedoch, die an vorderster Front zum Sturm auf eben solchen Terrorismus bliesen, blockierten nach wie vor die Aufklärung des damaligen Attentats. Sie mussten es. Wie ein Hund dem eigenen Schwanz, so würde die US-Regierung ansonsten sich selbst nachjagen und mit Ruanda den wertvollsten Verbündeten in Zentralafrika in eine politisch brisante Lage bringen.
Als die Tür des Sitzungssaales geöffnet wurde und der hochbetagte Patriarch des belgischen Unternehmens eintrat, begab sich der Repräsentant der IOD augenblicklich zu seinem Platz. Mit tadelloser Haltung ging Klaas De Koninck an das andere Ende des Tisches, die Anwesenden dabei mit dem Respekt gebietenden Blick eines Despoten musternd.
Er stand einem Unternehmen vor, welches seit den 60er Jahren Minen für seltene Erze und Metalle im Kongo unterhielt und weltweit mit den Erträgen handelte. Alles hatte mit seinem Vater und der belgischen Vormachtstellung als Kolonialmacht begonnen. Auch heute noch war De Koninck von der Vorstellung geprägt, Kongolesen seien die Arbeitstiere und die Belgier die überlegene Intelligenz. Nie hatte er die Schwarzen dabei für faul und dumm gehalten. Im Gegenteil, er respektierte ihre Spiritualität und körperliche Robustheit. Lange hatte er einen aus ihrer Mitte, den ersten Premierminister Patrice Lumumba, insgeheim sogar verehrt. „Belgien will dieses Land balkanisieren. Der Kongo soll auseinanderbrechen“, hatte dieser junge Staatsmann schon damals eine Strategie auf den Punkt gebracht, mit der westliche Machtstrategen den afrikanischen Kontinent noch bis in die Gegenwart gezielt schwächten und in Abhängigkeit hielten. Mit seinem Intellekt und aufrechten Patriotismus hatte Lumumba Belgien und die USA auf eine Art entlarvt, die als gefährlich eingestuft worden war und einmal mehr die Beseitigung auf Kolonialherrenart nach sich gezogen hatte. Damals hatte der junge Klaas für sich erkannt, dass die Grundsätze von Ethik und Moral gegen das „Teile und herrsche“-Prinzip stets unterlagen.
Der alte Mann setzte sich und fasste die anderen Anwesenden am Tisch nacheinander ins Auge. Herzliche Begrüßungen oder ein aufmunterndes Lächeln waren ihm fremd.
»Ich habe mir ein Bild vom Verlauf des Projektes „Barracuda“ gemacht und bin zufrieden. Von unseren Partnern habe ich die Bestätigung erhalten, dass es ihnen ebenso geht.«
Er bedachte den speziellen Gast mit einem wohlwollenden Seitenblick. »Dank unseres Abbaugebietes erhalten wir ausreichend Coltanerz, um die steigende Nachfrage unserer Handelspartner zu befriedigen. Das Geschäft mit China ist dabei hervorzuheben. Vergangenen Donnerstag wurden achtzehn Tonnen über Kenia nach Asien geliefert. Fragen über die Herkunft des Materials haben wir von den Chinesen nicht zu erwarten. Sie sind in dieser Hinsicht so diskret wie wir.«
Letzteres löste bei den Zuhörern verhaltene Belustigung aus, während De Koninck fortfuhr: »Die Vereinten Nationen können so viele Berichte über Blutcoltan verfassen wie sie wollen. Solange die Welt sich von Mikrochips abhängig macht und die horrenden Ausgaben für Rüstungsgüter weiter anhalten, sind unsere Geschäfte nicht in Gefahr. Jährlich über eine Milliarde neuer Mobiltelefone, zu über fünfzig Prozent in China gefertigt und von allen namhaften Herstellern in Auftrag gegeben. Und ausnahmslos alle von ihnen streiten ab, Coltan aus Bürgerkriegsgebieten zu verarbeiten. Wie soll das wohl möglich sein? Und was die militärische Aufrüstung angeht, so steuern wir einem neuen „Kalten Krieg“ entgegen. Raketenabwehrschilde am Boden und Lenkwaffensysteme für den erdnahen Orbit etcetera, etcetera. – Sie sehen, meine Herren, Unmoral und Verantwortungslosigkeit fangen nicht mit uns an und hören nicht bei uns auf. Wir liefern lediglich den Lebenssaft für die moderne menschliche Zivilisation. Alles verläuft ohne nennenswerte Zwischenfälle.«
Der Sicherheitschef der SYTRAX, Ruben Wouters, räusperte sich verhalten. »Ich gebe den gewaltsamen Tod mehrerer NGO-Mitarbeiter in Ituri und einer hochrangigen Persönlichkeit in Bukavu zu bedenken.«
Der IOD-Repräsentant reagierte mit Geringschätzung: »Ach wirklich? Die NGOs wird man nie mehr finden. Im Zweifel sind sie eben von irgendwelchen marodierenden Milizen oder ugandischen Patrouillen getötet worden. Und was den allzu neugierigen Provinzgouverneur in Bukavu angeht – er war nur ein korrupter Mafioso, der von der lokalen Konkurrenz ausgeschaltet worden ist. Unsere ruandischen Freunde haben für genau diesen Eindruck gesorgt. Ich versichere Ihnen, dass die IOD ihr Handwerk versteht.«
»Verzeihung. Selbstverständlich ist Ihre IOD der Inbegriff der Perfektion«, zeigte sich Wouters angriffslustig.
»Wollen Sie mich herausfordern? Das würde ich mir an Ihrer Stelle besser genau überlegen.«
»Schluss jetzt!«, herrschte De Koninck seinen Sicherheitschef an. »Sie konzentrieren sich besser auf den Schutz unserer Investitionen im Ituri-Gebiet! Das ist Aufgabe genug! Ich will sehr hoffen, Sie bekommen keine Gewissensbisse, Wouters. Das wäre völlig fehl am Platz. Mit unseren Aktivitäten sind wir schließlich am gewaltsamen Tod von drei Millionen Afrikanern mitbeteiligt. Und wenn wir unsere Kolonialgeschichte bemühen wollen, kommen noch einmal zehn Millionen Kongolesen hinzu. Nazi-Deutschland hat es dagegen auf gerade mal sechs Millionen Juden gebracht. Die vernichteten Juden sind noch immer allgegenwärtig, die vernichteten Kongolesen nicht. Wieso ist das wohl so? Na?« Ein Moment der Stille kehrte ein, als seine Mitarbeiter betreten vor sich hinstarrten und der IOD-Mann unbeteiligt zum Fenster sah.
»Weil die Kongolesen, genau wie der Rest der Schwarzafrikaner, keine Lobby in der Welt haben und es deshalb niemanden interessiert! Und da machen Sie sich Gedanken um diesen kleinen Kollateralschaden?!«
Sichtlich zerknirscht erwiderte Ruben Wouters darauf nichts. Das Gesicht des IOD-Repräsentanten spiegelte hingegen Genugtuung wider, während die übrigen beiden Sitzungsteilnehmer erwartungsvoll zu ihrem Patriarchen schauten.
Ruhig fuhr der alte Mann an alle gerichtet fort: »Inkonsequenz und Scheinheiligkeit sind mir zuwider, meine Herren. Tun Sie Dinge nur, wenn Sie diese vor sich auch verantworten können. Und wenn Sie die notwendigen Schritte veranlassen, dann mit aller gebotenen Konsequenz. Ansonsten sind Sie den Erfordernissen nicht gewachsen.«
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