3 Medizinische Grundlagen
Syndrom Demenz 
Die Demenz stellt kein einheitliches Krankheitsbild dar, sondern ist ein Syndrom mit vielen unterschiedlichen Ursachen. Um die einzelnen Ausprägungen besser beobachten, verstehen, interpretieren, begleiten und behandeln zu können, ist es hilfreich, sich mit dem zentralen Nervensystem, seinen Strukturen und Funktionen näher zu befassen.
Die Demenz wird auch »demenzielles Syndrom« genannt. Damit wird ausgedrückt, dass es sich bei der Demenz nicht um die eine spezifische Erkrankung handelt, sondern um verschiedene Krankheitsbilder, bei denen vergleichbare Symptome auftreten, die ursächlich auf Störungen im zentralen Nervensystem zurückzuführen sind. Im Laufe der Demenzerkrankung »vergisst« das Gehirn scheinbar ganze Abläufe oder Wissensbereiche, die es vorher beherrscht hat, was beim erkrankten Menschen zu Reaktionen und Verhaltensweisen führt, die für sein Umfeld nur schwer verständlich oder sogar unverständlich sind.
Um die verschiedenen demenziellen Erkrankungen und die damit verbundenen Veränderungen und Symptome besser verstehen zu können, ist es deshalb hilfreich, sich näher mit dem zentralen Nervensystem und seinen Funktionen und Verschaltungen zu befassen.
3.1 Die oberste Schaltzentrale – Das zentrale Nervensystem
Aufgaben des ZNS 
Zu den Aufgaben des zentralen Nervensystems (ZNS) zählen die Verarbeitung von Sinneseindrücken, die Planung und Umsetzung von Handlungsabläufen, das Bewahren von Ereignissen und Erlerntem (Erinnerung) und die Steuerung aller Körpervorgänge. Zum ZNS gehören Großhirn, Zwischenhirn, Stammhirn (Hirnstamm), Kleinhirn und das Rückenmark, das geschützt im Wirbelkanal verläuft.
3.1.1 Das Großhirn und seine Funktionen
Das Großhirn ist das komplexeste Organ des menschlichen Körpers (
Abb. 2). Es besteht aus zwei weitgehend symmetrischen Hälften (Hemisphären), die sich je in Stirnlappen (Frontallappen), Schläfenlappen (Temporallappen), Scheitellappen (Parietallappen) und Hinterhauptslappen (Okzipitallappen) aufteilen und durch den sogenannten Balken miteinander verbunden sind.
Abb. 2: Das Gehirn
Die einzelnen Lappen haben zwar ihre spezifischen Aufgaben, aber erst ihr Zusammenwirken ermöglicht eine selbstständige Lebensweise.
Abb. 3: Die Funktionen der verschiedenen Gehirnareale
Funktionen der einzelnen Großhirnlappen und des Kleinhirns sind (
Abb. 3):
• Stirnlappen – Abstraktes Denken, Problemlösungsvermögen, Urteilsvermögen, Konzentrationsfähigkeit, Gefühlsleben, Impulskontrolle, Muskelbewegungen, Sprachsteuerung. Das Areal im vorderen Teil des Stirnlappens fungiert als Zentrum für soziale Interaktionen. Schädigungen in diesem Bereich führen zu hemmungslosem Verhalten oder zu deutlicher Passivität, dem Verlust von Empathie und zu mangelnder Krankheitseinsicht, wie sich das bei der Frontotemporalen Demenz findet.
Stirnlappen 
• Scheitellappen – Aufnahme und Interpretation von Sinneseindrücken/Empfindungen, Berührung, Orientierung, Schreiben, Rechnen, Gedächtnis.
Scheitellappen 
• Schläfenlappen – Gedächtnis, Gehör, Sprache, Geschmack, Geruch, Wiedererkennen von Personen. An der Innenseite des mittleren Schläfenlappens befindet sich der Hippocampus, der für das Gedächtnis und Erlernen von Neuem eine entscheidende Rolle spielt.
Schläfenlappen 
• Hinterhauptslappen – Sehzentrum
Hinterhauptslappen 
• Kleinhirn – Gleichgewicht, Koordination, Körperhaltung
Kleinhirn 
Beispiel aus der Diagnostik 
Wie komplex das Zusammenwirken dieser einzelnen Hirnareale ist, zeigt folgendes Beispiel aus der Diagnostik (
Kasten 2).
Kasten 2: Beispiel aus der Diagnostik (MMST)
Wiedergabe eines gesprochenen oder geschriebenen Satzes
Zu den verschiedenen Testverfahren, die bei Verdacht auf Demenz zur Anwendung kommen, gehört u. a. die Aufgabe, gesprochene Worte zu wiederholen oder einen geschriebenen Text vorzulesen.
Diese Aufgabe verlangt die Zusammenarbeit mehrerer Gehirnregionen und gibt je nach Ergebnis Aufschluss über das vorliegende Störungsbild.
Was geschieht nun im Gehirn bei dieser Aufgabenstellung?
Die akustische Aufforderung, einen Satz zu wiederholen, erreicht über das Ohr das primäre Hörzentrum, wo diese Aufforderung im sensorischen Sprachzentrum verarbeitet wird. Von dort wird diese Aufforderung an das motorische Sprachzentrum weitergeleitet. Das motorische Sprachzentrum erstellt ein »Sprechprogramm« und reicht dieses an das für die Muskelaktivitäten zuständige motorische Rindenfeld weiter. Von dort werden die zum Sprechen notwendigen Muskeln im Kopfbereich aktiviert und der Satz kann gesprochen werden.
Wird der Satz nicht gesprochen, sondern als geschriebener Text vorgelegt, erreicht das »Bild des geschriebenen Satzes« über das Auge und den Sehnerv das primäre Sehzentrum. Dieses leitet den Satz an das Lesezentrum weiter, wo das »Bild« in die Lautform übersetzt und an das sensomotorische Sprachzentrum zur weiteren Verarbeitung weitergeleitet wird. Dieses wiederum leitet das dann – wie oben beschrieben – an das motorische Sprachzentrum zur Bearbeitung weiter.
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