Der bereits zitierten BIU Umfrage zufolge machen die 10- bis 19-Jährigen 19 Prozent der Spieler aus, also 5,8 Mio. Deutschen entspricht 387. Auch diese Quote stagnierte und lag 2017 bei 5,9 Mio. Spielern 388. Nach einer anderen Studie liegt der Anteil der deutschen Gamer von 16–24, die zumindest gelegentlich auch gegen oder mit anderen online spielen, bei 74 Prozent. In der Alterskategorie der 25- bis 34-Jährigen waren dies 60 Prozent, bei den über 55-Jährigen noch 16 Prozent 389. Dabei sollte nicht aus den Augen gelassen werden, dass der durchschnittliche Spieler – insbesondere auf Grund der lange erwachsenen Spielergenerationen der 80er und 90er – in etwa 35,5 Jahre alt ist 390.
Auch eine internationale Betrachtung bestätigt diese Ergebnisse prinzipiell. So ergab das EU-Projekt Net Children Go Mobile zu Kindern und Jugendlichen aus sieben europäischen Staaten in der Altersstufe 11–16, dass 33 Prozent der Befragten mobil online mit anderen Mitspielern gespielt haben und 26 Prozent an einem klassischen stationären Gerät 391. Auch hier zeigt sich die Entwicklung, dass stationäre Gerät für die jüngere Generation an Bedeutung verlieren und mobile Endgeräte zulegen.
Die grundsätzlichen Entwicklungen sind auch in den USA ersichtlich, wo die Spielerzahl unter 18 Jahren insgesamt 29 Prozent ausmacht 392. Dabei spielen nach einer Branchenstudie 59 Prozent aller US-Amerikaner Computerspiele. Bei einer Einwohnerzahl von ca. 320 Mio. entspricht dies einer Spielergemeinschaft von etwa 188 Mio. Menschen mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren 393.
Eine Studie des Pew Research Center (PEW), eines Meinungserhebungsinstituts in den USA, ergab, dass 72 Prozent aller Kinder und Jugendlichen von 13–17 Jahren in den USA Computer- und Videospiele nutzen 394. Dabei ist auch in den USA eine gewisse Geschlechterdifferenzierung im Gamingbereich feststellbar. So gaben 83 Prozent der 13- bis 14-jährigen und 70 Prozent der 15- bis 17-jährigen Jungen an regelmäßig digital zu spielen. Dem stehen nur 64 Prozent der 13-bis 14-jährigen und 56 Prozent der 15- bis 17-jährigen Mädchen gegenüber 395. Die Studie schaute, inwiefern für die Kinder und Jugendlichen in einem spielerischen Kontext stets auch ein vertrauensbildender Prozess gegeben ist. Insgesamt 59 Prozent der Jungen gaben an, dass sie sich mit Freunden im Spiel verknüpfen, die sie nur online und nicht als Person kennen würden, während das bei den Mädchen nur 40 Prozent bejahten 396.
Dieses Ergebnis ermöglicht zwei Ableitungen: Kinder sind zum einen offensichtlich bereit, unbekannte Mitspieler zumindest als Online-Freunde zu definieren, da sie die genannten Mitspieler laut Umfrage nicht persönlich kannten. Dies könnte darauf hindeuten, dass in einer spielerischen Interaktion auch stets ein vertrauensbildender Prozess gesehen werden kann. Im Rahmen der Spieleforschung, den sog. Game Studies, wird angenommen, dass es faktisch einen Mehrwert für das Spielen darstellen kann, wenn man Mitspieler vertrauen kann 397. Die Mitspieler können ihre Aufmerksamkeit mehr auf das Spiel konzentrieren als auf die Frage, ob andere entsprechend ihren Interessen agieren 398. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass dies natürlich auch abhängig vom Genre des Spiels ist und v. a. auf kooperative Spielmodelle und -mechanismen zuzutreffen scheint. Gerade im Rahmen gruppenspezifischer Mechanismen wie bei Gilden ist, wie bei anderen gruppendynamischen Prozessen, ein vertrauensvolles Miteinander für den Erfolg wichtig 399. Bei Spielen oder Spielmodi, wo eher ein flüchtiges Gegeneinander – vor allem beim reinen Player versus Player (PvP) Spielen – im Fokus steht, ist eine Vertrauensbindung vermutlich nicht in demselben Maße von Bedeutung.
Die zweite Ableitung ist, dass Jungen offensichtlich eher dazu neigen, auch unbekannte Mitspieler als Freunde zu identifizieren, was sie zumindest so im Rahmen der Erhebung angaben. Dies kann einerseits von der gemäß den Studien insgesamt höheren Attraktivität und Nutzungsintensität digitaler Spiele für Jungen herrühren 400. Es kann auch darin begründet liegen, dass Mädchen insgesamt stärker sensibilisiert sind für Risiken im digitalen Raum und somit dort vorsichtiger mit vertrauensbildenden Prozessen umgehen. Die ICLIS Studie ergab für Deutschland, dass Mädchen in der achten Klasse „[…] durchschnittlich höhere computer- und informationsbezogene Kompetenzen […]“ besitzen als Jungen 401, wobei sie „[…] ihre Fähigkeiten geringer einschätzen […]“ würden als die der Jungen 402. Diese Entwicklung spiegelt sich auch darin wider, dass, wie dargestellt, 56 Prozent der befragten Jungen bereit sind sich beim Onlinegaming mit Personen verknüpfen, mit denen sie nicht befreundet sind. Bei den Mädchen bejahten dieselbe Frage nur 43 Prozent 403. Letzteres könnte auf ein gestiegenes Risikobewusstsein beziehungsweise entsprechende Sensibilisierung hindeuten.
Aus diesen Entwicklungen können mehrere für diese Arbeit relevante Aspekte herausgelesen werden. Einerseits sieht man, dass digitale Spiele – und damit auch solche, die eine Onlinekommunikation ermöglichen – nicht nur von Jugendlichen, sondern auch bereits von Kindern in annähernd jeder Altersstruktur genutzt werden. Gleichzeitig liegt das durchschnittliche Alter der Gamer bei ca. 35 Jahren, nicht nur in Deutschland, sondern auch in vergleichbaren Ländern wie den USA.
In diesen Spielen treffen also alle Altersstufen in einem Onlinespiel aufeinander, interagieren und kommunizieren miteinander. Durch die spielerische Interaktion erscheint es naheliegend, dass ein Vertrauensaufbau von Kindern zu ihnen unbekannten Mitspielern wie auch umgekehrt leichter erfolgen kann als beispielsweise in klassischen Sozialen Netzwerken, in denen dieses spielerische Element fehlt. Zudem kann ein Kind beispielsweise in Sozialen Netzwerken anhand von Aspekten wie der Freundesliste einer Kontaktanfrage oder geteilten Beiträgen Anhaltspunkte über dessen Alter und Identität gewinnen. In Onlinespielen hingegen ist der Bezug zum sozialen Umfeld reduziert, auch durch die Nutzung von Avataren. Dies kann Onlinespiele, aber auch virtuelle Welten allgemein auch für Sexualtäter interessant machen 404. So warnte das Bundeskriminalamt im Rahmen eines Presseartikels: „Gerade die bei Kindern und Jugendlichen beliebten Onlinespiele mit unterschiedlichen Kommunikationsmöglichkeiten zum Austausch unter Gleichgesinnten bieten gute Anknüpfungsmöglichkeiten für einen Erstkontakt zwischen Tätern und Opfern“ 405. In Spielen ist es jedoch zumeist nicht möglich selbstproduzierte Bilder oder Videos zu teilen, sodass ein Täter für einen intensiveren Austausch mit seinem Opfer auf andere Formen Sozialer Medien – v. a. Messenger – ausweichen muss. Dass Onlinespiele als Anbahnungsplattformen nicht irrelevant sind, zeigen diverse nationale wie internationale Fälle. Im Jahr 2016 wurde der Fall des 12-jährigen Paul aus der Schweiz bekannt. Ein 35-jähriger Mann aus Düsseldorf hatte als Moderator eines Minecraft Servers Vertrauen zum Jungen aufgebaut, ihn entführt und in Düsseldorf bis zur Befreiung durch die Polizei gefangen gehalten 406. In einem anderen Fall nahm ein Täter über das Spiel „MovieStarPlanet“ Kontakt zu 122 Mädchen von 10–15 Jahren auf 407. Im Jahr 2011 wurde in England der 14-jährige Breck Bednar vom 18-jährigen Lewis Daynes umgebracht 408. Der Täter hatte über das gemeinsame Onlinespielen Vertrauen zum Opfer aufgebaut und so ihr Treffen einleiten können 409.
IV.2.5 Zwischenfazit
Es konnte herausgearbeitet werden, dass Minderjährige in Deutschland immer früher mit der Internetnutzung beginnen. Dabei hat sich herauskristallisiert, dass in jüngeren Altersstufen Angebote wie Facebook oder Twitter eine nur geringe bis gar keine Rolle spielen. Vielmehr nutzen Kindern Medienplattformen (v. a. YouTube, Instagram und Snapchat) Messenger, und zwar primär WhatsApp, sowie insbesondere Jungen Onlinespiele ab frühestem Alter. Dementsprechend erscheint es notwendig, dass sich Analysen und v. a. auch Überlegungen zu kriminalpolitischen Reaktionen primär auf diese Plattformen beziehen. Im Gegenzug kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass Kinder nicht auch auf Plattformen wie Twitter oder gar LinkedIn und Xing zum Opfer von Cybergrooming werden können. Die Wahrscheinlichkeit kann jedoch auf Basis der Nutzungszahlen als gering eingestuft werden.
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