Solche Lebenssimulationen werden, vermutlich auch bedingt durch ihre Gestaltung, eher weniger von Minderjährigen genutzt. Dennoch sind auch solche Programme aus kriminologischer Sicht nicht ganz uninteressant, wie die Nachstellung des Kindesmissbrauchs durch Avatare in Second Life verdeutlicht 289.
Die zweite große Form virtueller Welten sind Onlinespiele 290, also computerbasierte Welten mit Onlinefunktion, in denen der Betreiber den Nutzern ein Spielziel vorgibt. Dieses Spielziel kann ganz banal sein und muss auch nicht unbedingt vom Nutzer verfolgt werden. Computerspiele sind dabei nicht erst ein Phänomen der letzten Zeit. Bereits 1948 soll das erste Patent auf das funktionsfähige Computerspiel „Cathode Ray Tube Amusement Device“ vergeben worden sein 291. „Tennis for two“, das wohl erste bekanntere Computerspiel überhaupt, zunächst noch auf einem Oszilloskop, wurde bereits 1958 durch William Higinbotham entwickelt und war als Zeitvertreib für Besucher angedacht 292. Im Jahr 1961 entwickelte das Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit „Spacewar!“ ein Computerspiel, das zum ersten Mal tatsächlich auf digitaler Technik basierte 293. 1972 entstand nach der Idee von „Tennis for Two“ mit dem berühmten „Pong“ das erste als stationärer Automat kommerziell vermarktete Computerspiel 294. In der Folge entwickelten sich digitale Spiele technisch als auch von der gesellschaftlichen Bedeutung her immer schneller weiter. Ab etwa 2000 machten digitale Spielen einen wichtigen weiteren Schritt. Sie gingen immer häufiger online. Das bedeutete, das Spieler immer häufiger mit- und gegeneinander über das Internet spielen konnten, womit sich auch das Risiko von Übergriffen im Rahmen der Kommunikation eröffnet 295.
Dabei sind Onlinespiele und Metaversen durchlässig und zeigen oft Kennzeichen des anderen Typs auf 296. Ein wichtiges Bindeglied zwischen Metaversen und Onlinespielen ist, dass es stets zu einer onlinebasierten Interaktion und/oder Kommunikation zwischen den Nutzern kommt. So können Interaktionen stattfinden, wenn Spieler zufällig gegeneinander kämpfen, sich in Gruppen zusammentun oder auch die Avatare sich in der virtuellen Welt nur begegnen 297. Gleichzeitig beinhalten nahezu alle Onlinespiele in irgendeiner Form die Möglichkeit zur Kommunikation. Dies kann in Form von internen Chats oder privaten Nachrichten, die E-Mails gleichen, stattfinden, aber auch per Voice-to-Voice-Übertragung 298. Voice-to-Voice kann sowohl das Programm selbst ermöglichen als auch externe Programme wie TeamSpeak 299. Letztere laufen im Hintergrund und ermöglichen auch dort Kommunikationsformen, wo sie nicht vorgesehen sind. McGonical weist auf einen weiteren Aspekt für den Erfolg von Onlinespielen hin, v. a. von solchen, die in soziale Netzwerke eingebunden. Demnach machen es „[…] Soziale Netzwerke für uns sowohl einfacher als auch lustiger, stabile, aktive Bindungen zu Menschen aufrechtzuerhalten, die uns zwar wichtig sind, mit denen wir uns im Alltag aber leider nicht oft genug treffen und unterhalten können […]“ 300. Dies gilt v. a. dann, wenn auch Familienmitglieder und Freunde spielen. Vor allem für Jugendliche sollen die sozialen Kontakte während und durch das Spielen einen hohen Stellenwert einnehmen 301. In einigen Spielen gibt es zudem die Möglichkeit, dass sich Spieler in virtuelle Gemeinschaften, Gilden, Clans, Allianzen etc., zusammenschließen, die teilweise komplexe arbeitsteilige Gruppenstrukturen herausbilden 302. Nach Fritz „[…] fließen die Aktivitäten der Spieler […] in ein soziales Resonanzfeld ein, das die Spieler an das Spiel und die Mitspieler bindet“ 303.
Die Bedeutung von virtuellen Welten, aber v. a. von digitalen Spielen ist in wirtschaftlicher wie auch gesellschaftlicher Sicht kaum zu überschätzen. Insgesamt 34,1 Mio. Deutsche spielen zumindest gelegentlich digitale Spiele, wobei das Durchschnittalter bei 35,5 Jahren liegt 304. Dabei generieren diese Spiele weltweit zwischen 61,7 Mrd. und 77,5 Mrd. Euro. Für Deutschland wird der Gesamtumsatz der Spieleindustrie auf 3,3 Mrd. Euro geschätzt 305. Damumentiertit generiert die Spielindustrie mittlerweile mehr Handelsumsatz als die Musikindustrie (ca. 1,55 Mrd. Euro) und die Kinofilmbranche (ca. 1,17 Mrd. Euro) zusammen 306. Eine Vielzahl von Spielen setzt dabei auf den Kauf von virtuellen Zusatzgütern: So kann sich ein Spieler z. B. ein leistungsstärkeres Schwert oder Spielfortschritte für echtes Geld kaufen 307. Seit 2007 stieg der Anteil virtueller Güter und Zusatzleistungen am Gesamtumsatz der Spieleindustrie kontinuierlich auf 266 Mio. Euro 2016 an. Zusammen mit den Einnahmen aus Abonnements in Spielen (2016 ca. 173 Mio. Euro) generieren virtuelle Spielinhalte zusammen 439 Mio. Euro 308. Dies liegt auch an der Bedeutung von Onlinespielen 309: 2014 sollen 8,53 Mio. Deutsche ab 14 Jahren zumindest gelegentlich das Internet für Online-Spiele genutzt haben, davon 1,9 Mio. täglich 310. Im Jahr 2017 lag diese Quote bei 9,74 Mio. bzw. 2,03 Mio. mit täglicher Nutzung. Der Spieleverband BIU 311kommt hingegen bereits für das Jahr 2014 für alle Deutschen ab 0 Jahren sogar zum Ergebnis, dass 26,4 Mio. sie zumindest gelegentlich nutzen 312.
Eines der bekanntesten Onlinespiele ist das von Blizzard seit 2004 betriebene World of Warcraft, ein Massively Multiplayer Online Role-Playing Game 313und weiterhin das „[…] Vergleichsobjekt für alle weiteren MMO-Spiele […]“ 314. Nach Angaben des Betreibers sollen mittlerweile mehr als 100 Mio. Accounts und fast 500 Mio. Avatare in dem Spiel erschaffen worden sein 315. World of Warcraft erreichte 2010 mit mehr als 12 Mio. zahlenden Nutzern seinen Höherpunkt 316, aber auch 2015 sollten noch 5,5 Mio. Menschen aktiv spielen 317. Eine Vielzahl von weiteren Spielen hat es geschafft, ähnlich große Nutzerzahlen zu erreichen. Alleine Zynga, der Betreiber von Spielen wie Farmville 318, soll 2012 fast 311 Mio. Spieler seiner Onlinespiele verzeichnet haben 319. League of Legends, eine sog. „Multiplayer Online Battle Arena“ (MOBA) 320, in der sich eine bestimmte Zahl Spieler als Avatare in den namensgebenden Arenen bekämpfen, hat für das Jahr 2015 100 Mio. monatliche aktive Nutzer bekannt gegeben 321. World of Tanks, ein Onlinespiel von Wargaming, bei dem Panzer gegeneinander antreten, verzeichnete 2018 über 120 Mio. Spieler 322. Der Betreiber Supercell hat mit Clash of Clans und Clash Royale wohl die bekanntesten mobilen Onlinespiele der gegenwärtigen Generation veröffentlicht, die zusammen täglich von über 100 Mio. Menschen weltweit gespielt werden sollen 323. Diese Liste ließe sich ausufernd weiteraufführen. Die Zahlen verdeutlichen aber bereits die immense Anziehungskraft, die Onlinespiele auf eine Vielzahl von Menschen haben.
Die Bedeutung von digitalen Spielen spiegelt sich nicht nur im Umsatz oder Nutzungszahlen wider. Es wird auch eine Vielzahl gesellschaftlicher Diskussionen durch die immense Verbreitung und Nutzung digitaler Spiele ausgelöst. Neben der seit Jahrzehnten stattfindenden globalen Debatte über die Verbindung von Aggressionen und gewalthaltigen Computer- und Videospielen 324– in Deutschland v. a. in den Medien auch unter dem Begriff der „Killerspiele“ 325– gibt es Diskussionen zu kriminellen Aktivitäten 326in Onlinegames und virtuellen Welten 327. Daneben gibt es Fragen, ob digitale Spiele Kulturgüter sind 328und ob sog.
E-Sports dem physischen Sport gleichgestellt werden sollten 329. Diese Entwicklung zeigt sich auch im Koalitionsvertrag der 19. Legislaturperiode: „Wir erkennen die wachsende Bedeutung der E-Sport-Landschaft in Deutschland an. Da E-Sport wichtige Fähigkeiten schult […] werden wir E-Sport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen“ 330.
Onlinespiele sind insgesamt eine der erfolgreichsten Formen Sozialer Medien. Dabei treffen Nutzer aus allen Altersstufen zusammen und haben oft die Möglichkeit zur relativ unproblematischen Kommunikation. Für Cybergroomer bietet sich hierbei die Möglichkeit, im Rahmen eines spielerischen Erlebens Kontakt aufzunehmen und auf Kinder einzuwirken 331. Eine Vielzahl an Fällen zeigt, dass Täter diese Möglichkeiten ausnutzen, wie noch zu zeigen sein wird.
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