Vor dem Hintergrund, dass alle Beamten infolge des Angriffs dienstunfähig geworden sind, erscheinen die berichteten Beschwerderaten jedoch vergleichsweise niedrig. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Polizeibeamte über besondere Bewältigungsstrategien verfügen, die es ihnen erlauben, trotz des Erlebens potenziell traumatischer Situationen gesund zu bleiben (vgl. Latscha, 2005; Schneider & Latscha, 2010). Anderseits bestehen möglicherweise auch Hemmungen, insbesondere psychische Probleme zuzugeben, da diese nicht mit dem Rollenverständnis dieser Berufsgruppe i. S. eines unerschütterlichen, maskulinen Helfers konform gehen (vgl. Pieper & Maercker, 1999; „Alpha-Männer“).
Bislang wenig Aufmerksamkeit wurde den möglichen psychischen Folgen geschenkt, die sich ergeben können, wenn der Übergriff auch für den viktimisierten Beamten strafrechtliche Konsequenzen in Form einer Beschwerde, Anklage oder eines Disziplinarverfahrens nach sich zieht. Dies ist zwar eher selten der Fall, nur zwei von zehn Beamten (17,7 %) wurden in irgendeiner Form rechtlich belangt; dennoch darf die Wirkung dessen auf Polizeibeamte nicht unterschätzt werden (Ellrich et al., 2011; S. 93). Wie deutlich wird, nimmt mit dem Grad der strafrechtlichen Maßnahme auch die Belastung der Beamten zu. Insbesondre Disziplinarverfahren erweisen sich bezüglich der psychischen Konstitution des Beamten infolge des Übergriffs als besonders belastend. Etwa jeder fünfte Beamte (19,6 %), der sich sowohl in einem Ermittlungs- als auch einem Disziplinarverfahren verantworten musste, wies Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung auf, während dies nur auf 4,1 % der Beamten ohne strafrechtliche Konsequenzen zutraf. Auf Basis der Daten können keine Aussagen zu den dahinter liegenden Gründen gemacht werden. Möglicherweise sind sich manche Beamte eigener Verhaltensfehler in der Übergriffsituation bewusst und fürchten sich deshalb vor der Auseinandersetzung. Andere wiederum fühlen sich vielleicht zu Unrecht beschuldigt, können nicht nachvollziehen, dass das Täter-Opfer-Verhältnis umgekehrt wird oder ihnen zumindest eine Mitschuld an dem Übergriff, der für sie selbst sehr folgenreich war, unterstellt wird. Ganz gleich, ob eigene Fehler wahrgenommen werden oder nicht, lösen rechtliche Konsequenzen sicherlich auch Zukunftsängste aus, die für sich genommen bereits eine starke psychische Belastung darstellen können. Vor diesem Hintergrund wäre eine Unterstützung des betreffenden Beamten gerade in diesen Situationen hilfreich.
Neben körperlichen und psychischen Beschwerden können sich durch Viktimisierungserfahrungen auch Veränderungen in Einstellungen und Wahrnehmungen ergeben. Belegt ist dies bspw. für das Konzept der Kriminalitätsfurcht (Skogan, 1987). Eine Komponente dieses Konstrukts ist die kognitive Furcht, welche allgemein die Erwartung, in naher Zukunft Opfer einer Straftat zu werden, erfasst. Im Kontext der vorliegenden Befragung wurde darunter die Wahrscheinlichkeit verstanden, in den nächsten zwölf Monaten im Dienst derart angegriffen zu, dass daraus eine Dienstunfähigkeit resultiert. Die Analysen bestätigen, dass es Beamte, die solch einen Übergriff in den fünf Jahren zwischen 2005 und 2009 erlebt haben, fast 8mal häufiger als sehr wahrscheinlich erachten, im nächsten Jahr noch einmal derart angegriffen zu werden, verglichen mit Beamten ohne Opfererfahrungen (31,7 zu 4,1 %, s. Abbildung 5). Folglich könnten die viktimisierten Beamten in ihrem Dienst von einer höheren Angst begleitet werden. Es ist anzunehmen, dass sich solche Ängste gerade in Situationen manifestieren, die ein vergleichbares Muster mit der bereits erlebten Gewalterfahrung aufweisen. Eine damit einhergehende starke emotionale Belastung kann sich wiederum negativ auf die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit des Beamten auswirken und somit letztlich das Risiko einer Reviktimisierung erhöhen. (Abbildung 5).
Abbildung 5
Wie ebenfalls aus Abbildung 5 entnommen werden kann, stehen Gewalterfahrungen auch mit dem eigenen professionellen Selbstbild des Polizeibeamten in Zusammenhang. Jene, die einen Übergriff mit Dienstunfähigkeit erlebt haben, stimmten der Aussage, dass sie Müllmänner oder Prügelknaben seien, deutlich häufiger zu. Unabhängig davon sind aber auch die Zustimmungsraten nicht viktimisierter Beamter mit 38,4 % bzw. 26,7 % recht hoch. Es ist davon auszugehen, dass Beamte, die das Gefühl haben, der Prügelknabe der Gesellschaft zu sein, auch entsprechend härter mit dem Bürger umgehen. Dies kann wiederum leichter zu Eskalationen im Umgang mit dem polizeilichen Gegenüber führen und letztlich in einer wiederholten Viktimisierung enden.
4 Diskussion
Ziel des Beitrages war es, Einblicke in das Thema Gewalt gegen Polizeibeamte zu liefern. Dafür wurden Ergebnisse aus einer Befragung des KFN von Polizeibeamten zu Gewalterfahrungen im Dienst vorgestellt, die Anfang des Jahres 2010 durchgeführt wurde. Dieser Untersuchung zufolge sind Polizeibeamte häufig verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt, wobei verbale und leichte körperliche Angriffe dominieren. Aber auch von schweren Übergriffen, die zu einer Dienstunfähigkeit geführt haben, war etwa jeder achte Beamte innerhalb eines Fünfjahreszeitraums mindestens einmal betroffen. Dabei ist eine Zunahme von Gewaltangriffen zum Nachteil von Polizeibeamten zu beobachten, die insbesondere auf Übergriffe mit weniger schwerwiegenden Folgen zurückzuführen ist. In Übereinstimmung mit bisherigen Forschungsbefunden erfolgten die Angriffe (mit Dienstunfähigkeit) meist bei Festnahmen oder Streitigkeiten, wobei die Täter der Gewalt überwiegend allein handelnd, männlich, jüngeren Alters, polizeibekannt und alkoholisiert waren. Desweiteren kann festgehalten werden, dass Gewalterfahrungen neben körperlichen und psychischen Problemen, auch mit einer erhöhten Furcht vor weiteren Übergriffen sowie einem negativen Selbstbild einher gehen können. Ein Anliegen der Untersuchung war es zudem, Faktoren zu identifizieren, die mit dem Risiko eines Angriffs auf Polizeibeamte in Zusammenhang stehen. Nur wenige Untersuchungen haben sich bislang um solche Risikoabschätzungen bemüht (Johnson, 2011; Rabe-Hemp & Schuck, 2007). Wie auf Basis der vorgestellten Studie gezeigt werden konnte, weisen männliche, jüngere, größere Beamte sowie Beamte mit Migrationshintergrund ein höheres Risiko auf, angegriffen zu werden. Zudem werden Beamte aus dem Einsatz- und Streifendienst sowie aus besonderen Einsatzeinheiten häufiger Opfer von Gewalt im Vergleich zu anderen Dienstgruppen. Auf Seiten des Täters erhöht insbesondere der Einfluss von Alkohol, aber auch das Vorliegen eines Migrationshintergrunds das Risiko für Beamte, im Rahmen von Einsätzen wegen häuslicher Gewalt verletzt zu werden.
Welche konkreten Prozesse dafür verantwortlich sind, dass bestimmte Beamte häufiger angegriffen werden als andere, lässt sich mit den Daten nur unzureichend aufzeigen. Generell ist aber davon auszugehen, dass hierbei mehrere Gründe eine Rolle spielen können. So reichen die Erklärungsansätze für den gefunden Geschlechtsunterschied bspw. von strukturellen Effekten (z. B. unterschiedliche Aufgabengebiete), über Hemmungen des Täters, eine Frau anzugreifen, bis hin zu besonderen deeskalierenden Kompetenzen, die weiblichen Beamten aufgrund ihrer Sozialisation oft zugeschrieben werden. Mit Blick auf die Entwicklung geeigneter Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zur Gewaltprävention von Polizeibeamten erscheint insbesondere die Erforschung nicht sichtbarer Merkmale, also bestimmter Einstellungen und Kompetenzen, in denen sich männliche und weibliche Beamte voneinander unterscheiden, gewinnbringend. Würden Beamtinnen weniger Gewalt erleben, weil sie seltener mit gefährlichen Situationen konfrontiert wären bzw. weil die Täter aufgrund ihres Geschlechts eine Angriffshemmung hätten, wären besondere Trainings nicht notwendig. Hätten Beamtinnen hingegen ein niedrigeres Gewaltrisiko, weil sie sozial kompetenter agieren als ihre Kollegen, selbst weniger Drohungen oder Zwangsmaßnahmen in der Interaktion mit den Bürgern einsetzen, vorsichtiger handeln etc., könnten auf Basis dieser Erkenntnisse spezielle Programme (z. B. Kommunikationstrainings) angeboten werden.
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