Als der Morgen wiederkehrte, das Volk von Eis und Schatten zurückfloss in das Gebirge und die Luft dick war von zu viel Tod und Schmerzen, hängte Ansha Wah das Schwert an ihre Seite. „Bringt mir den Meister der Bogenschützen.“
Des Meisters Bein war eingewickelt in blutige Fetzen, aber er stand stolz vor seiner Herrin.
„Wie viele Verluste?“ fragte sie.
„Einer von dreien, Ansha Wah.“
Einer von dreien.
Aber ihr Blick ruhte einzig auf dem Mann, der den Meister begleitet hatte. Der Tänzer hatte Tränen in den braunen Augen und Blut im Haar. Er lächelte nicht mehr und führte den Meister fort.
Am Abend fand sie ihn weit vom Lager, wo man noch die Heide riechen konnte.
„Erinnerst du dich jetzt an den Krieg?“
Er nickte. „Der Süden träumt. Aber ich möchte ihn nicht mehr wecken. Soll er weiter träumen und glücklich sein.“
„Wir wollen ihn träumen lassen“, stimmte sie zu. „Aber ... möchte auch der Tänzer wieder schlafen?“
„Der Tänzer möchte daran glauben, dass er nicht träumen muss, um glücklich zu sein.“
Er streckte die Hand aus.
„Tanz mit mir.“
„Nein“, entschied sie streng. „In dieser Nacht gibt es keinen Tanz. Es gibt keine Musik und es gibt keine Freude. Die Toten liegen unter den Sternen. Es gibt kein Glück in dieser Nacht.“
Da legte der Tänzer ihr eine Hand auf die Schulter und spürte die zitternden Muskeln unter dem Kettengeflecht. „In dieser Nacht gibt es kein Glück“, stimmte er zu.
„Aber es wird noch andere Nächte geben.“
* * *
Sie tanzten nicht in dieser Nacht, und ein Krieg ist nicht mit einer Schlacht gewonnen. Aber Ansha Wah gewann diesen Krieg, trieb das Volk von Eis und Schatten hinter seine Grenzen zurück.
Es gab andere Nächte.
Als die Mutter des Krieges in ihre Heimat zurückkehrte, ritt der Tänzer neben ihr. Niemand lachte mehr bei der Vorstellung, Ansha Wah könnte tanzen oder die Liebe eines Mannes erringen. Doch, zwei lachten laut und herzlich. Der Tänzer und seine Geliebte lachten und wussten beide um ihr Wunder und ihr Glück. Das Volk der Heide wurde wieder ein Volk von Bauern und Schäfern und der Sommer ließ die Sterne blass werden und die Nächte kurz.
Ansha Wah stand auf den Zinnen der Festung ihrer Väter, hörte den Wind in den Föhren, blickte in Augen wie Kaninchenfell und glaubte daran, dass sie zu mehr taugte als Töten.
In der letzten Nacht des Sommers, als die Fenster noch unverschlossen waren und den Duft von Heu und Immergrün hereinließen, lag der Tänzer bei seiner schlafenden Herrin. Es gab nur wenig, was er sich noch wünschte. Dass es so bleiben möge, war der größte.
Sie war ein Wunder für den Mann aus dem Süden. Eine Naturgewalt, zu groß, zu stark für einen einzigen Menschen. Als er Ansha Wah das erste Mal gesehen hatte auf ihrem Zug in den Norden, hatte es ihm das Herz zerschnitten, sie so gefesselt zu sehen. Ein Wasserfall, eingemauert. Ein Falke mit Haube, nur zum Jagen freigelassen.
Dass es so bleiben möge, flehte er die Götter an. Stets ist dies der vergeblichste der Wünsche.
Die Fenster ließen Heu und Immergrün und einen Schatten ein.
Ansha Wah schlief und träumte den letzten Traum des Sommers. Ihr Tänzer lag neben ihr, der Schatten strich heran, ohne Gesicht, ohne Körper, nur ein Fetzen, der seine warme Haut berührte und mit taubem Eis überzog. Über seine Brust kroch er, pfiff ihm fremde Worte in die Ohren, die der Tänzer nicht verstand und auf die er nicht antworten konnte. Wen der Schatten umarmt, der kann sich nicht mehr rühren. Aus dem Fetzen wuchsen Hände, sie strichen ihm über die Kehle, streichelten sein Gesicht. Tränen liefen über des Tänzers Wangen und froren fest, wo der Schatten ihn berührte. Dann griffen die Hände höher und pflückten ihm die weinenden Augen aus den Höhlen.
In seiner neuen Dunkelheit sah der Tänzer nicht, wie der Schatten mit seinem Schatz verschwand. Er lauschte dem Wind in den Föhren und dem Atem seiner Herrin. Als alles Eis fortgeflossen war und sein Körper wieder warm, umarmte er die Schlafende, drückte sein leeres Gesicht in ihren Nacken und schwieg bis zum Morgen.
Dass es so bleiben möge.
* * *
„An-Sha!“ Wie die Brandung toste der Schlachtruf durch die Menge. Mutter!
„An-Sha Wah!“
Mutter des Krieges. Tochter ihres Vaters. Herrin seines Banners, seit ihrem fünfundzwanzigsten Jahr. Erbin seiner Herrschaft, seit ihrem dreißigsten Jahr. Mutter des Krieges und von nichts und niemandem sonst. Ansha Wah.
Nur ein Mann hatte sie jemals schön genannt. Ihr Tänzer. Ihr Gatte. Hatte sie angesehen und lächeln müssen.
Wo seine Augen gewesen waren, waren keine Wunden, keine Narben. Nur glatte Haut, wo früher die Heide im Winter, Kaninchenfell und alle Sicherheit gewesen war, die sie unter ihrer Rüstung brauchte.
Er hatte nicht gewollt, dass sie fortging. Ansha Wah starrte über die weiße Ebene, fahl wie Knochen unter den Sternen, über die das Volk von Eis und Schatten schwärmte wie Krebse und schnell ziehende Wolken. Ihr Heer stand geordnet und schrie vor Angst und Wut. Aber die Mutter des Krieges dachte nur an ihren Tänzer. Er hatte sie festgehalten, als sie ihre Wut über die Mauern brüllte, als sie das Volk der Heide zum Krieg rief, um wiederzuholen, was gestohlen worden war. Der Tänzer wollte blind bleiben, wollte seine Augen aufgeben, wollte sie nicht loslassen.
„Ich brauche sie nicht“, flüsterte er, während sie weinte und schrie. „Wir werden weiter tanzen, weiter lachen. Ich werde dich und die Heide riechen, deine Arme um mich spüren und alle Schönheit dieser Welt in deiner Stimme hören. Ich brauche sie nicht.“
„Ich brauche sie! Durch sie bin ich heil.“ Sie bedeckte die glatte Haut unter seinen Brauen mit ihren Händen. „Du bist mein Gatte! Dein Leib ist mein eigen.“
Da lachte der Tänzer. „Jawohl, schöne Herrin, das ist er.“
Sie konnte nicht schreien, wenn er lachte, aber sie lachte nicht mit ihm. „Niemand bestiehlt mich, mein Tänzer. Ich will meine Augen zurück.“
Als die Truppen versammelt waren, im tiefen Herbst, und Ansha Wah nach Banner und Zügel griff, griff der Tänzer nach ihren Händen und vergrub seinen Kopf an ihrer Schulter.
„Dein Leib ist mein eigen, schöne Gattin.“
Sie küsste sein leeres Gesicht. „Ich bringe ihn wieder, schöner Gatte. Dann tanzen wir weiter.“
* * *
In der Mitte der Nacht vergaß Ansha Wah die Künste des Krieges. Ihr Pferd war längst tot, ihre Rüstung zerrissen, die Truppen brüllten ihren Namen. Ansha Wah hetzte über eine fleckige, feuchte Ebene im Sternenlicht und schrie nach ihren eigenen Dämonen. Den Dieb suchte sie, den Räuber, den einen Fetzen, der sich in die Heide gewagt hatte, um der Mutter des Krieges ihre wertvollsten Schätze zu stehlen.
Zur gleichen Zeit strich der Tänzer durch die Säle der Festung. Sang die Lieder, die er sie gelehrt hatte, lauschte auf die fernen Echos. Aber es war nur seine eigene Stimme. Leer stand die Burg seiner Herrin, das Lachen fortgeschlichen, um nie mehr wiederzukehren. Er wusste es in seinem Herzen und glaubte nicht daran.
Dass es wieder werde, wie es war. So vergeblich wie der erste Wunsch, und noch törichter.
Die Sterne am Himmel erbleichen.
Ein schweigender Morgen bricht an.
Da sieht sie es zwischen den Leichen
Und es schlägt sie in seinen Bann.
Es ist wie ein Traum alter Zeiten,
Wie hat sie dies Leuchten vermisst.
Sie kann mit diesem nicht streiten.
Er trägt ihren Schatz im Gesicht.
Er selbst ist aus Schatten geschnitten,
Das Schwert in der Hand ist aus Eis.
Frost knirscht ihm unter den Schritten.
Das Wappen am Schild ist schlicht weiß.
Doch sie sieht einzig die Augen.
Sie vergisst ihr Schwert und den Speer,
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