Die anderen Fragen bezogen sich oft auf die Identität der Schreibenden und gehen oft in die Richtung: „Bin ich queer (genug)?“ Dazu wollen wir an dieser Stelle noch einmal etwas sagen.
Zum ersten: Wir freuen uns über diese Fragen. Sie sind ein Zeichen dafür, dass ein Bewusstsein dafür entstanden ist, dass nicht jede Person jede Geschichte erzählen sollte und dass Own Voices unterstützt und ermutigt werden müssen. Das ist längst noch nicht überall selbstverständlich, und wir finden es toll, dass ihr euch selbst und uns diese Fragen stellt.
Vielleicht können wir an dieser Stelle einige Unsicherheiten aus dem Weg räumen. Zunächst: Wir sind ein queerfeministisches Magazin, und das bedeutet, dass Queerness nicht in allen Texten ein Thema sein muss. Wenn ihr also als nicht queere cis Frau eine Geschichte schreibt, in der es um feministische Themen geht, passt ihr auf jeden Fall ins Heft.
Darüber hinaus: Wir setzen zwar unseren Schwerpunkt auf Queerfeminismus, würden uns aber trotzdem freuen, wenn auch andere marginalisierte Autor*innen, die aus ihrer eigenen Perspektive über Themen wie Neurodiversität, Krankheiten, Leben mit Be_hinderung, Rassismuserfahrungen etc. schreiben, ihre Texte bei uns einreichen. Vielfalt, Diversität und die Perspektive von Stimmen, die oft nicht gehört werden, hören nicht beim Thema Feminismus oder Queerness auf.
Das mit den Own Voices ist manchmal eine knifflige Angelegenheit. Wir möchten an dieser Stelle noch einmal betonen, dass sich keine Person, die einen Text bei uns einreicht, dazu genötigt fühlen sollte, sich zu outen, damit der Text für Queer*Welten in Betracht gezogen wird – weder uns gegenüber noch öffentlich im Heft oder auf der Website. Wir wissen, dass es nicht immer möglich oder gewünscht ist, die eigene Identität in allen Facetten öffentlich sichtbar zu machen.
Außerdem wissen wir ebenfalls, dass die Förderung von Own Voice-Autor*innen weder heißen soll, dass diese nur noch über ihre eigenen Erfahrungen schreiben sollen, noch, dass das Schreiben über diese Erfahrungen nicht auch anderen Autor*innen offenstehen sollte, die sich zuvor in das Thema eingearbeitet haben. Es ist also keinesfalls ein Ausschlusskriterium, wenn ihr euch selbst als nicht marginalisiert einordnet. Wenn ein Text uns überzeugt, vermitteln wir auch gern noch ein Sensitivity Reading.
Trotzdem bemühen wir uns darum, in Queer*Welten Own Voices verstärkt zu fördern und zu repräsentieren, weil uns bewusst ist, dass diese es oft auf dem Buchmarkt schwerer haben. Sollten uns also für eine Ausgabe mehr Texte vorliegen als hineinpassen, werden wir jene bevorzugen, bei denen wir wissen, dass sie von marginalisierten Personen und/oder als Own Voice verfasst wurden. Wir hoffen, dass wir einige offenen Fragen beantworten konnten, freuen uns weiterhin auf eure Einsendungen und wünschen euch viel Spaß mit Ausgabe 2.
Eure Queer*Welten-Redaktion
von Rafaela Creydt
Inhaltshinweise
Tod, Gewalt, Krieg, Verstümmelung, Blindheit, Kälte, Verlust, Mobbing
„An-Sha!“ Wie die Brandung toste der Schlachtruf durch die Menge. Mutter!
„An-Sha Wah!“ Mutter des Krieges! So nannten sie ihre Truppen. Mit diesem Schrei zogen sie in die Schlacht.
Ansha Wah!
Mutter des Krieges. Tochter ihres Vaters. Herrin seines Banners, seit ihrem fünfundzwanzigsten Jahr. Erbin seiner Herrschaft, seit ihrem dreißigsten Jahr. Mutter des Krieges und von nichts und niemandem sonst. Ansha Wah.
Niemand hatte sie jemals schön genannt. Kein Mann hatte sie je zum Tanz gebeten. Ansha Wah tanzte nur, um zu töten. Niemand glaubte, dass diese Hände streicheln könnten. Deshalb schlug sie den Mann, der sie um einen Tanz bat, und verließ das Zelt.
„Ich dulde solche Scherze nicht.“
Im ersten Morgenlicht wurde das Lager abgebrochen. Das Heer zog seinem Feind entgegen und vor dem Zelt stand ein Mann.
„Es war kein Scherz, Ansha Wah.“
Ansha Wah schickte ihre Generäle fort. Augen, braun wie die Heide im Winter, aber warm und freundlich wie Kaninchenfell. Er war so groß wie sie, mit schmalem Rücken und langen Fingern.
„Ich tanze nicht“, belehrte sie ihn. „Ich habe kein Geschick dafür.“
„Das kann ich kaum glauben.“ Er blickte in ihr Gesicht und lange auf den Körper unter Rüstung, Banner und Waffen.
Ansha Wah hieß ihn zu gehen und kehrte zu ihren Generälen zurück.
In der Dunkelheit, die jeden Abend früher kam und die Sterne kälter strahlen ließ, trat Ansha Wah in die Heide und übte sich mit Speer, Schild und Schwert. Die Wachposten sahen die Mutter in der Dunkelheit und sahen auch den Bogenschützen, der langsam zu ihr trat.
„Ihr tanzt mit Euren Waffen, Ansha Wah.“
Ansha Wah rammte den Holzschaft des Speers in den Boden, hängte das Schwert an ihre Hüfte und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.
„Du bist kein Krieger.“
„Ich bin ein Bogenschütze im Heer von Ansha Wah.“
„Das mag sein. Aber du bist kein Krieger.“
Da schüttelte er langsam den Kopf. „Im Süden träumen sie vom Krieg. Sie haben vergessen, was er frisst.“
Der Norden kannte nichts als den Krieg. Den Krieg des Volkes der Heide gegen den Norden von Eis und Schatten, gegen das Volk der Sterne.
Der Süden kannte nur Sonne, blasse Sterne und Frieden.
„Also bist du hier, um den Süden an den Krieg zu erinnern.“
Er zuckte die Schultern. „Sie sollten begreifen, was Ansha Wah für sie tut.“
„Ansha Wah führt Menschen in den Tod. Weil nicht alle sterben, folgen sie ihr weiterhin.“
„Das tut sie.“
Sie maßen einander mit Blicken in der Dunkelheit.
„Aber will sie nicht trotzdem mit mir tanzen?“
Da lachte Ansha Wah. „Ich werde dich Tänzer nennen. Denn das ist freundlicher als Dummkopf.“ Zusammen lachten sie unter den Sternen, während die Posten sich fragten, was ihre Mutter so fröhlich machte.
„Schau mich an, Tänzer“, sagte Ansha Wah. „Ich bin dafür nicht gemacht.“
„Möchtest du es denn?“
Sie wandte sich ab, ging zwei Schritte in die wispernde Heide, blickte zurück zu den braunen Augen.
„Ich mache mich lächerlich“, flüsterte sie. Und der Tänzer lächelte nicht und ging nicht zur ihr und nahm sie nicht in den Arm.
„Du tanzt mit deinen Waffen“, beharrte er.
Sie trafen sich nachts, wenn nur die Posten wachten und man an den Feuern Geschichten von Ansha Wah erzählte, die Schatten und Eis vertrieb. Es gab keine Musik und es gab keine Berührung. Der Tänzer nahm ihr die Waffen aus der Hand und lehrte Ansha Wah die Schritte und Drehungen. Sie stolperte und fluchte, sie suchte in der Dunkelheit nach hämischen Gesichtern, aber nur die Sterne sahen sie, die lachten in allen Nächten über die Ängste der Menschen.
Im Morgengrauen saßen sie am Boden, strichen den Reif von der Heide und erzählten einander von ihren Welten. Dort lernte sie das Tanzen und Lachen.
Als der Frost in den Halmen festklebte und die Zeltbahnen knackten, wenn man sie zusammenlegte, wurde es Zeit für den Krieg. Aus den weißen Bergen in der Ferne brach das Volk von Eis und Schatten wie ein Albtraum im Mittagslicht, wie Tinte in klarem Wasser.
Ansha Wahs Streiter schluckten die Angst herunter oder spuckten sie auf den Boden, wo sie festfror, reihten sich auf, wohin die Mutter sie schickte.
„An-Sha!“, rauschte es durch die Reihen. Sie hob das Banner. „An-Sha Wah!“
Es war Ansha Wah, die in die Schlacht zog, mit Speer, Schwert und Schild. Ihr Pferd schrie, aber die Mutter des Krieges schwieg. Man kann das Volk von Eis und Schatten töten. Sie bluten nicht. Sie bluten nicht, aber sie kreischen und brüllen und werden noch wilder, bis sie zerbrechen. Genauso, wie die Menschen zerbrechen. Ansha Wah zerbrach sie, zerschnitt sie. Seit ihrem fünfundzwanzigsten Jahr. Ihre Generäle gehorchten, ihre Boten berichteten. Die Mutter des Krieges kannte den Spielplatz ihrer Kinder. Sie verlor nicht ihren Weg, und sie verlor nicht ihre Schlacht.
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