Mit dem U wurden alle noch recht gut fertig, aber schon, als es galt, in einem Stangenviereck um 180 Grad zu wenden, gerieten manche in Schwierigkeiten. Frau Berndts Corsar schien die Stangen gar nicht zu bemerken. Unaufmerksam trampelte er darüber und verschob den Aufbau, ohne sich daran zu stören, daß seine Hufe gegen die Stangen stießen. Frau Köppkes Picasso reagierte dagegen völlig verängstigt, als ihm eine Stange zwischen die Beine geriet, und machte einen mächtigen Sprung zur Seite.
Über die Plastikplane gingen in dieser Stunde überhaupt nur Danny und Corsar – und letzterer auch erst, nachdem Frau Berndt abgestiegen war und ihn führte. Sie bekam für diesen Einfall ein dickes Lob von Stephanie. Die erfahrene Trail-Reiterin hatte die Beratung der Reiter an der Plastikplane übernommen, während Herr Holthoff mit Frau Fest und Frau Köppke am Stangenviereck arbeitete.
Zum Schluß durften alle ein kleines Hindernis springen.
»Es war noch nicht gerade olympiareif . . .« sagte Holthoff entschuldigend zu Stephanie, während die Reiterinnen ihre Pferde wegbrachten.
Stephanie lachte.
»Ich wäre mir gar nicht so sicher, ob die Pferde der Olympiamannschaft auf Anhieb über gelbe Plastikplanen steigen. Und außerdem haben wir doch alle mal angefangen.«
»Ihre Geduld möcht’ ich haben. Aber wahrscheinlich reichte die auch höchstens für drei Reitstunden wie diese . . . Wie auch immer, ich wollte Sie eigentlich nicht als Hilfsreitlehrerin heranziehen, sondern um Ihren Rat wegen eines Pferdes bitten. Dieser Pla. . . Pla. . .«
»Placido«, half Julia aus. Sie hatte beim Aufräumen der Halle geholfen und wollte nun Danny holen. Der braune Wallach wartete an einem Anbindeplatz.
»Richtig, Placido. Komischer Name. Aber tatsächlich soll er noch schlimmer heißen. Die Besitzerin hat ihn nach ihrem Lieblingssänger umbenannt. Kennen Sie den?«
Stephanie kicherte. »Wenn es Placido Domingo ist, ja. Ein Opernsänger. Aber dem Hengst hätte Schlimmeres passieren können. Wenn ich bedenke, wie sich andere Sangeskünstler so nennen . . .«
Aus Finessas Box kam Gelächter. Petra und ihre Freundin Simone überlegten laut, Finessa in »Madonna« umzutaufen und Smutje nach den »Toten Hosen« zu nennen.
Holthoff räusperte sich.
»Kommen Sie mit, Frau Heiden, hier haben die Wände Ohren.« Er führte Stephanie in den Schulpferdestall. »Dieser Hengst, wie auch immer er heißt, soll bisher phantastisch Dressur gegangen sein. Piaffe, Traversalen, alles mögliche. Aber jetzt zeigt er gar nichts mehr, hibbelt nur noch herum. Frau Medanz meint, er habe den Spanischen Schritt auf dem Transport verloren . . .«
»Dann sollte sie die Strecke noch mal abfahren«, meinte Stephanie trocken. »Vielleicht findet sie ihn ja noch.«
Der Reitlehrer grinste. »Ich wünschte, ich könnte das auch mit Humor nehmen. Aber für mich ist es ein echtes Problem. Ich hab’ so ’n Pferd noch nie geritten, kaum jemals gesehen. Und Frau Medanz möchte Ratschläge von mir. Können Sie mir helfen?«
Stephanie zuckte die Schultern. »Gesehen habe ich Andalusier schon öfter. Viele Freizeitreiter reiten damit klassische Dressur. Draufgesessen hab’ ich aber auch noch nicht. Und Dressur ist nicht gerade mein Spezialfach. Ich reite natürlich ein bißchen Western – das basiert ja auf der Vaquero-Reitweise – aber was ich da kann – na ja, auf Ihr Fach übertragen wär das etwa A-Niveau.«
»Aber immerhin wissen Sie, wie so ein Pferd unterm Sattel aussehen soll. Wollen Sie ihn sich nicht mal ansehen?«
»Klar, sehr gern. Wann reitet denn die Dame?« Stephanie war immer interessiert an neuen Pferden.
»Vormittags. Meist gegen elf. Haben Sie da Zeit?«
»Kann ich einrichten. – Bist du fertig, Julia? Beeil dich, es ist schon stockdunkel draußen!«
Stephanie hätte gar nicht so laut zu rufen brauchen. Julia war den Erwachsenen gefolgt und hatte den letzten Teil der Unterhaltung mit angehört. Während sie Danny im Scheinwerferlicht von Stephanies Auto nach Hause ritt, haderte sie mit den Ungerechtigkeiten des Lebens. Kathi hatte morgen nur bis elf Uhr Schule. Sie dagegen mußte sich durch zwei endlos langweilige Deutschstunden quälen. Und dabei hätte sie Frau Medanz so gern beim Reiten zugesehen! Na, immerhin würde Kathi dabei sein und konnte ihr hinterher alles erzählen.
»Nehmen Sie das Pferd da weg, dies ist ein Hengst!« Frau Medanz’ ängstlicher Ruf gellte durch die Stallgasse. Dabei nahm Placido, den sie am Zügel führte, gar keine große Notiz von Danny. Stephanie war auf ihrem Morgenausritt vorbeigekommen und hatte Danny im Gang zwischen den Ställen und der Reithalle festgebunden. Der Ponywallach trug schon ein dichtes, flauschiges Winterfell und schwitzte schnell. Nun sollte er in Ruhe trocknen, während Stephanie Frau Medanz zusehen wollte. Er hatte sofort ein Hinterbein in Ruhestellung angewinkelt und zu dösen begonnen.
»Danny schlägt nicht«, beruhigte Stephanie. »Und überhaupt würde er auf die Entfernung kaum treffen. Aber ich kann ihn ja wegstellen.« Sie verließ ihren Stammplatz an der Bande, band Danny los und sah sich eben nach einem neuen Anbindeplatz um, als das Getöse vor der Halle einsetzte. Der Krach von Metall auf Metall, dazu Schimpfen, Klirren und weiteres Scheppern weckte Danny aus seiner schläfrigen Stimmung. Aufgeschreckt machte er einen Hupfer, wobei er rein zufällig in Placidos Richtung sprang. Frau Medanz schrie auf und ließ den Hengst los. Placido sah sich kurz um und wandte sich dann zum Ausgang. Dazu brauchte er nicht einmal die Boxreihen zu durchqueren, denn neben der Halle gab es ein Tor nach draußen. Unglücklicherweise stand es offen.
»Brr!« Holthoff brüllte dem Pferd nach, obwohl er sich kaum Chancen ausrechnete, beachtet zu werden. Er wollte dem Braunen nachsetzen, aber kaum daß er um die Ecke war, sah er Placido vor dem Ausgang zurückschrecken. Julia und Petra waren gerade hereingekommen und hatten das Pferd aufgehalten. Während Julia nach den Zügeln griff, schloß Petra das Tor.
»Das war knapp«, sagte Herr Holthoff aufatmend. »Aber was macht ihr überhaupt hier? Habt ihr keine Schule?«
»Wir hatten . . .«
»Unsere Deutschlehrerin ist krank«, übernahm Petra. Beide Mädchen waren völlig außer Atem, denn sie hatten sich ein heißes Fahrradrennen geliefert, um als erste im Stall zu sein. Woher Petra von dem Termin mit Frau Medanz wußte, war Julia allerdings schleierhaft.
»Und als ihr eure Räder geparkt habt, ist euch nicht zufällig der Fahrradständer umgekippt?« Das war Stephanie, und ihre Stimme klang drohend. »Der arme Danny hat sich zu Tode erschrocken.«
Schuldbewußt gab Julia Placido an Herrn Holthoff weiter und ging zu ihrem Lieblingspferd. Danny ließ sich ihre tröstende Liebkosung gleichmütig gefallen. Den Schreck hatte er schon vergessen.
»Da sehen Sie, wie gefährlich das ist, die Pferde hier anzubinden«, erklärte Frau Medanz. Mit zitternden Fingern nahm sie Holthoff ihr Pferd ab.
»Sie mußten Placido ja nicht gleich loslassen«, meinte Stephanie. »Danny kam schließlich nicht mal in seine Nähe.«
»Aber dies ist ein Hengst!«
Petra seufzte theatralisch. Diesen Satz konnten alle im Reitstall bereits nachsingen.
»Nun kommen Sie schon, Frau Medanz«, sagte Holthoff begütigend. Er fürchtete eine bissige Entgegnung Stephanies und einen ausführlichen Vortrag über Hengsthaltung, aber zum Glück beherrschte sich die junge Frau. »Und Sie bitte auch, Frau Heiden. Ich schließe zur Feier des Tages die Tribüne auf.«
Auch Kathi, die schon gewartet hatte, Julia und Petra fanden einen Platz in den sonst für Ehrengäste reservierten drei Sitzreihen. Ganz zuletzt schob sich noch Silvia Berndt hinein.
»Das wird ja richtig voll hier!« vermerkte Holthoff unwillig. »Was treibt Sie denn am frühen Morgen aus Ihrem Amt?«
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