Die Entwicklung unseres Bewusstseins zu mehr innerer Freiheit, Mitgefühl und Verbundenheit mit allem korreliert direkt mit einer Entspannung der Überaktivität des Reptiliengehirns und des limbischen Systems. Die Überlebensmuster des limbischen Systems sind nicht so primitiv wie die des Reptiliengehirns, aber auch in diesem Gehirnareal führt Überaktivität zur Verengung der Wahrnehmung von Problemen. Depression wird von manchen Neurologen als eine Entzündung des limbischen Systems bezeichnet.
Eine wichtige Voraussetzung für die Befreiung aus übertriebenen Überlebensmustern des Gehirns ist, das Leben in der praktischen Realität von echten Bedrohungen zu befreien. In vielen spirituellen Lehren wird daher die Erfüllung der Basisbedürfnisse des Lebens als wichtige Voraussetzung angesehen, um auf dem Weg innerer Befreiung wirklich in die Tiefe zu gelangen.“
„Und welchen konkreten Einfluss hat hierbei unsere Ernährung?“
„Wenn wir nun eine Art der Ernährung haben, die uns zwar sättigt, aber nicht die wirklichen biologischen Bedürfnisse des Körpers erfüllt, registriert das unser Gehirn natürlich als Bedrohung. Eine sehr unmittelbare Auswirkung einer Mangelernährung ist die Unzufriedenheit mit Nahrung beziehungsweise der ständige Hunger, den viele Menschen als normal ansehen. Man hat sich den Bauch vollgeschlagen, aber jetzt ist da noch die Lust auf ein Dessert, dann auf einen Kaffee, und in zwei Stunden könnte man schon wieder essen. Besonders stark verarbeitete Nahrungsmittel, Junkfood, führen dazu, dass Menschen permanent zu viel essen, weil sie eine gesunde, zelluläre Sättigung, die einem gedeckten Bedürfnis des Körpers entspringt, gar nicht kennen. So ist es natürlich schwer für unser Gehirn, sich aus einer verengten Wahrnehmung vom Überlebenskampf zu lösen, denn die Gesundheit und langfristig das Leben selbst sind bei denaturierter Nahrung in Gefahr.“
„Gibt es noch weitere Auswirkungen von der Art und Weise, wie wir uns ernähren?“
„Ja, ein weiterer wichtiger Aspekt der Auswirkung von Nahrung ist die intrinsische Wirkung von Nahrungsmitteln an sich. Fleisch hat definitiv die Tendenz, Aggressionen zu fördern. Es gibt eine interessante Aussage von Rickson Gracie, einem der erfolgreichsten Kampfsportler in Mixed Martial Arts, einer äußerst brutalen Form des Kampfsports. Rickson Gracie hat in über 400 Kämpfen nie verloren. Er stammt aus einer sehr gesundheits- und ernährungsbewussten Familie. In einem Interview gegen Ende seiner aktiven Karriere wurde er über seine Ernährungsgewohnheiten befragt. Er sagte, dass er ein paar Mal im Monat Rindfleisch zu sich nähme, um die notwendige Aggression für diese Kämpfe zu haben. Er sagte auch, dass er nach seiner Karriere sofort aufhören würde, Fleisch zu essen, weil ihm die negativen Auswirkungen sehr wohl bewusst seien.
Ich habe als Ernährungsberater einen ähnlich Fall mit einem Zehnkämpfer erlebt, der zu den Besten der Welt gehörte. Er wurde Vegetarier und war nun viel gesünder, die zwei bis drei Erkältungen pro Winter blieben aus, er war weniger verletzt und fühlte sich emotional ausgeglichener und wohler. Aber er merkte auch, dass eine gewisse Aggression, mit der er sich bis dahin im Wettkampf zu Höchstleistungen motiviert hatte, nicht mehr vorhanden war. Schließlich beendete er seine aktive Karriere, weil er erkannte, dass er in einem gewissen Ausmaß Aggression gegen sich selbst, gegen seinen eigenen Körper verwendet hatte, um ein erfolgreicher Leistungssportler zu sein. Dieses Beispiel zeigt auf, wie verschiedene Ernährungsformen unterschiedliche innere Haltungen zum Leben fördern. Aggression und Leistungsorientierung sind ja an sich nichts Schlechtes, wir können aber auch sehen, dass in unserer patriarchalen Kultur seit langer Zeit diese Qualitäten übermäßig betont werden. Fleisch zu essen fördert Aggression und einen auf ein Ziel ausgerichteten Tunnelblick, der sich um die Folgen des Handelns nicht kümmert. Das mag für Jäger wichtig sein, die ihren Stamm von der Jagdbeute ernähren. In unserer zivilisierten Welt wird sich aber ein Übermaß dieser Art der Aggression auf Kosten des harmonischen Gesamtgefüges auswirken. Patriarchale Kulturen und das dazugehörige Bewusstsein betonen den Kampf, die Konkurrenz, den kurzfristigen Erfolg, die Dominanz, die Nutzung von Ressourcen ohne Rücksicht auf langfristige Folgen. Es ist wohl unschwer zu erkennen, dass die Einseitigkeit einer solchen Lebenshaltung unsere Gesellschaft an den Rand des sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Kollaps gebracht hat.
In der heutigen Zeit ist die Auswirkung einer vegetarischen Ernährung auf das Bewusstsein sicherlich besonders wertvoll. Vegetarische Ernährung kann eine hilfreiche Unterstützung dabei sein, eine Art von Kraft in sich zu finden, die sich nicht in Kampf und Dominanz äußert, sondern in Integration und sanfter Stärke. Mahatma Gandhi war sicherlich ein enorm starker Mensch, dessen Stärke das Gleichgewicht zwischen Yin und Yang, weiblicher Rezeptivität und männlicher Kraft, hatte. Er war überzeugt davon, dass eine vegetarische Ernährung ein Schlüssel für die Entwicklung einer solchen gewaltlosen Stärke war. Mit aggressiver Kraft zu agieren, ist sicherlich oft verführerisch und verspricht schnellere Resultate. Die sanftere Kraft verspricht als Resultat eher langfristige Harmonie, Ausgewogenheit, anstelle Dominanz über andere. Diese Art von Kraft wird heutzutage dringend gebraucht. Eine vegetarische Ernährung alleine wird sie nicht zugänglich machen, kann aber eine wertvolle Hilfe dabei sein, eine Stärke in sich zu finden, die zusammenführt, anstatt zu zerstören.“
„Möchten Sie zum Einfluss unserer Nahrung noch etwas sagen?“
„Es ist ebenfalls von Bedeutung, in welcher inneren Haltung wir uns mit Ernährung beschäftigen. Bei allen Vorzügen, die man zum Beispiel für vegetarische Ernährung, Rohkost oder eine andere Form der naturbelassenen Ernährung finden kann, ist jede Art von moralischer Überheblichkeit fehl am Platz. Vollständige Akzeptanz aller Menschen mit ihren Ernährungsweisen, egal, wie „falsch“ sie uns erscheinen mögen, ist die Basis dafür, dass unsere eigene Ernährung nicht zu einer kultischen Praxis verkommt.
Mit Liebe Essen zuzubereiten und entspannt zu essen sind weitere wesentliche Aspekte einer Ernährung, die sich unterstützend auf Gehirn und Bewusstsein auswirkt. Hierzu gibt es eine interessante Erkenntnis: Langsam zu essen und gründlich zu kauen ist ja bekanntlich sowohl für die Verdauung, als auch für emotionale Ausgeglichenheit sehr wichtig, während hastiges Essen Stressmuster noch weiter verstärkt. Das ist so gut wie unmöglich mit extrem denaturierter Nahrung. Wer versucht, bei Pommes Frites oder einem Hamburger einen Bissen 100 bis 150mal zu kauen, wird merken, wie der angenehme Geschmack nach wenigen Sekunden schwindet und das Zeug irgendwann fürchterlich schmeckt. Wenn man dagegen natürliche Nahrung lange kaut, wird sie sich im Geschmack noch mehr entfalten. Die Reaktion unseres Gaumens auf Nahrung zeigt schon auf, was unser Körper von ihr hält, vorausgesetzt, wir kauen lange genug. Bei aller Bedeutung der Frage danach, was wir essen, sollten wir auch das „Wie“ beachten. Ernährung als Lebensaspekt, der unser Gehirn und Bewusstsein in einer harmonischen Entwicklung unterstützt, sollte eine entspannte, sinnliche und besinnliche Angelegenheit sein.“
„Seit wann und warum Sind Sie Vegetarier?“
„Ich bin 1988, im Alter von 18 Jahren, zur vegetarischen Ernährung gekommen. Ich war damals im Tierschutz engagiert, und als ich erfuhr, dass es die Möglichkeit gibt, sich vegetarisch zu ernähren, ohne Mangel zu erleiden, war der Schritt dahin völlig logisch, und ich verschlang alles an Literatur, was ich zu diesem Thema finden konnte. Die Verbundenheit mit den Tieren war und ist der wesentliche Grund für mich, vegetarisch zu leben. In Indien habe ich Gegenden besucht, in denen Kühe besser behandelt werden als viele Menschen, und so sehe ich heute die vegetarische Ethik vereinbar mit einer respektvollen Art der Tierhaltung, die ich unterstütze, indem ich bei entsprechenden Bauern beispielsweise Rohmilch oder Rohmilchbutter einkaufe. Die Förderung von Kleinbauern und eine Abkehr von der industriellen Landwirtschaft ist für mich ebenso wichtig wie das vegetarische Leben, denn ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sehr der übermäßig kommerzielle Anbau von Sojabohnen oder Reis die Umwelt und die Tierwelt zerstören kann.
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