»Das wird der Schultheiß nicht akzeptieren.«
»Was will er machen? Soldaten schicken?«
»Er könnte das Mehl besteuern.«
»Gut. Backen wir eben in Bochum oder Werden.«
»Dann wird er das Brot besteuern.«
»Das kann er nur, wenn wir es auch auf dem Markt in Hattingen verkaufen. Beruhigt Euch, ich will ja nicht wirklich auf die anderen Mühlen ausweichen. Das gäbe nur Ärger mit dem Schultheiß und dem Herzog. In den Verhandlungen über die Multer könnten wir aber etwas in dieser Art vortragen. Als einen Denkanstoß für die Herren.«
»Verstehe.«
»Was ist? Seid Ihr dabei?«
»Der Gewinn wird geteilt?«
»So wie die Kosten. Und wer von uns höhere Kosten trägt, erhält auch anteilig mehr Gewinn.«
Offerhues streckte ihm die Hand hin. »Einverstanden.«
Jorge lächelte. »Das freut mich. Lasst uns die Übereinkunft begießen. Und dann gehen wir in mein Haus und ich zeige Euch anhand meiner Berechnungen, welche Kosten auf uns zukommen können.«
Die beiden Männer hoben ihre Gläser.
6
– Werden, 15. April 1531
Bei Sonnenaufgang war Hinrick von Linden losmarschiert. Er hatte die Stadt durch das Bruchtor verlassen und die Straße nach Bonsfeld genommen. An der Ruhrschleife war er zwischen dem Isenberg und dem Fluss entlanggegangen, bis er den Weg erreichte, der am Deilbach vorbei nach Werden führte. Heute war Samstag, sein freier Tag. Er wollte zum Benediktinerkloster, um in der dortigen Bibliothek zu lesen.
Auf der Hälfte der Strecke legte er im Deilbachtal eine Rast ein. Die Sonnenstrahlen wärmten schon kräftig. Hinrick suchte sich einen Platz am Bach. Dort setzte er sich auf einen Stein, zog seine Schuhe aus, hielt die Füße ins kalte Wasser, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Was für eine Wohltat!
»Heh, du!«
Hinrick schreckte hoch und sah in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Einen Steinwurf entfernt füllte ein Mann seinen Trinkschlauch.
»Findest du es richtig, deine stinkenden Haxen ins Wasser zu halten, während ich mit demselben Wasser meinen Durst stillen will?«
Erschrocken zog der junge Hattinger seine Füße aus dem Bach und stand auf. »Entschuldigung«, antwortete er. »Ich habe Euch nicht gesehen.«
Der Fremde brummte etwas Unverständliches und beugte sich wieder zum Bach hinunter, um seine Arbeit fortzusetzen. Als er mit dem Befüllen fertig war, knotete er sorgfältig ein Lederband um die Öffnung des Schlauches, prüfte, ob dieser tatsächlich dicht war, nickte befriedigt, erhob sich dann und kam langsam näher.
Der Unbekannte schien deutlich älter als Hinrick zu sein. Er hatte langes, strähniges Haar, einen wilden Bart und trug Kleidung, die ihm am Körper schlackerte. Neben dem Trinkschlauch hatte er sich sein Bündel über die Schulter geworfen. Beim Gehen stützte er sich auf einen langen Stecken.
»Ich bin Wilbolt aus Neustadt.«
»Hinrick von Linden.«
»Du hast nicht zufällig ein Stück Brot bei dir, welches du mit einem hungrigen Wanderer teilen möchtest?« Wilbolt warf einen begehrlichen Blick auf Hinricks ausgebeulte Tasche.
Der drückte seinen Besitz enger an den Körper.
»Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin ein ehrbarer Mann und kein Räuber. Ich habe nur seit zwei Tagen nichts mehr gegessen. Hast du Brot in deinem Beutel?«
Hinrick nickte. Wie immer, wenn er zu seinen Besuchen ins Kloster aufbrach, hatte ihm seine Mutter auch heute Morgen reichlich Verpflegung eingepackt. Schon häufiger hatte Hinrick sie wegen der Mengen, die sie ihm zusteckte, geneckt. Er sei in wenigen Stunden in Werden, hatte er gescherzt. Das, was sie ihm als Essen aufdrängte, würde für eine Reise bis Frankfurt reichen. Und selbst dann müsse er dort noch die Hälfte davon wegwerfen. Wolle sie ihn mästen? Aber seine Mutter hatte nur gelächelt und noch ein Stück gesottenes Fleisch dazugelegt.
»Ich denke,« erwiderte er deshalb, »es reicht für uns beide.«
Eine halbe Stunde später wischte sich Wilbolt den Mund ab, rülpste kräftig und strich sich zufrieden über den Bauch. »Danke. Du hast mir das Leben gerettet.«
Hinrick schaute amüsiert auf das Wenige, was der Wanderer verschmäht hatte. Heute dürfte er den Tag in der Bibliothek zum ersten Mal mit knurrendem Magen verbringen.
»Du kommst also aus Hattingen?«
»Ja.«
»Die Wachen wollten mich gestern nach Sonnenuntergang nicht mehr in die Stadt lassen. Also habe ich im Freien übernachtet. Glücklicherweise hat es nicht geregnet. Wohin willst du?«
»Nach Werden.«
»Da will ich auch hin. Und dann weiter nach Düsseldorf. Was machst du in Werden?«
»Das Benediktinerkloster besuchen.«
Wilbolts Gesicht verfinsterte sich. »Du bist doch nicht etwa ein Pfaffe?«
»Nein.«
»Ein Bediensteter der Mönche etwa?«
»Nein.«
»Ein Händler bist du auch nicht. Was willst du dann im Kloster?«
»Ich möchte in die Bibliothek. Lesen und studieren.«
Wilbolt spuckte aus. »Pah! Was kann ein junger Mann wie du schon von Mönchen lernen? Sie sind fett und faul. Papisten eben.« Er musterte sein Gegenüber. »Bist du einer von ihnen?«
»Ihr meint, ob ich an Gott glaube?«
»Nein. Ich meine, ob du an den Papst glaubst.«
Hinrick machte ein nachdenkliches Gesicht. »Wenn ich ehrlich bin, weiß ich das nicht genau.«
Die Miene des anderen hellte sich auf. »Das ist doch ein Anfang. Hast du schon etwas von Martin Luther gehört?«
»Ja.«
»Und was hältst du von ihm?«
»Es ist interessant, was er scheibt.«
Wilbolt sprang auf. »›Interessant‹? Er hat zwar unsereins verdammt, sich aber als Erster gegen den Papst gestellt. Das rechne ich ihm trotz allem hoch an.« Als Wilbolt Hinricks fragendes Gesicht bemerkte, erklärte er: »Luther hat sich gegen den Ablass gewandt. Aber nicht nur das. Er hat den verfluchten Papst als das bezeichnet, was er ist: ein Diener des Teufels.« Der Wanderer nahm einen großen Schluck aus seinem Schlauch. »Allerdings hat er uns später hintergangen. Hat sich gegen die aufständischen Bauern gewandt, sie als räudige Hunde bezeichnet und gefordert, sie zu erschlagen. Pfui Teufel!« Wieder spuckte er verächtlich aus. »Sei’s drum. Dem Papst jedenfalls hat er die Stirn geboten.«
Hinrick stand auf. »Tut mir leid, aber ich muss weiter. Die Bibliothek, Ihr versteht …«
»Nun lass das vornehme Getue.« Der Fremde streckte ihm die Hand hin. »Ich bin Wilbolt.«
Hinrick nickte.
»Ich begleite dich bis zu deinen Pfaffen. Auf dem Weg dorthin erzähle ich dir etwas über mich und den Baltringer Haufen. Da lernst du mehr über das Leben als aus den Büchern dieser verdammten Klosterbibliothek.«
Neustadt, so begann Wilbolt, liege im Thüringischen an der Orla. Dort habe er noch vor sechs Jahren gelebt. Er sei Schneider gewesen und habe kurz davor gestanden, Meister zu werden und der Gilde beizutreten. Aber dann sei alles ganz anders gekommen. »Die Herren von Beulwitz residierten damals wie heute auf Schloss Eichicht. Sie plünderten das Volk aus, wo sie nur konnten. Irgendwann hatten wir die Nase voll. Es war Ende April vor sechs Jahren. Ein ebenso milder Tag wie der heutige. Eine Abordnung der Neustädter zog zum Schloss, um den Herren eine Lehre zu erteilen. Ich war einer von ihnen.«
Er erzählte, wie sie begonnen hatten, den Schlossteich leer zu fischen. Als der empörte Besitzer sie zur Rede stellte, nahmen sie ihm sein Pferd und zwangen ihn, zu Fuß zurück zu seinem Schloss zu laufen – für einen Adeligen eine große Schmach.
Die erbeuteten Fische banden sie auf Stangen und trugen sie in einem Triumphzug zurück in die Stadt, begleitet von der Musik der städtischen Pfeifer und Trommler. Dort brieten sie ihre Beute auf dem Marktplatz und verspeisten sie im Haus eines Ratsherrn.
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