Nur kurz soll an dieser Stelle auf die im Kontext der medizinischen Forschung am Menschen entstehenden korruptionsstrafrechtlichen Risikeneingegangen werden.
Der Große Senat für Strafsachen hatte in seiner vorerwähnten, aus dem Jahr 2012 stammenden Entscheidung, mit der er die Amtsträgereigenschaft von Vertragsärzten (und auch deren Einordnung als Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen i.S.d. § 299 StGB) abgelehnt hatte, dem Anliegen, korruptives Verhalten im Gesundheitswesen mit den Mitteln des Strafrechts zu bekämpfen, grundsätzliche Berechtigung zuerkannt[437] und damit relativ unverhohlen den Gesetzgeber zum Handeln aufgefordert. Dieser ist der Aufforderung erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen vom 30. Mai 2016[438] nachgekommen. Gemäß § 299a StGB macht sich nunmehr wegen Bestechlichkeit im Gesundheitswesen strafbar, wer als Angehöriger eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei der Vornahme einer der in Nr. 1–3 abschließend umschriebenen heilberuflichen Referenzverhaltensweisen[439] einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge. Eine korrespondierende Bestimmung zur Kriminalisierung der Geberseite enthält § 299b StGB (Bestechung im Gesundheitswesen). Die Gesetzesmaterialien erläutern die Voraussetzungen für die Annahme der vom Tatbestand vorausgesetzten Unrechtsvereinbarung u.a. anhand des Beispiels ärztlicher Teilnahme an vergüteten Anwendungsbeobachtungen i.S.d. § 67 Abs. 6 AMG(vgl. dazu bereits Rn. 48). Die Begründung stellt klar, dass die Beteiligung von Ärzten an derartigen Studien prinzipiell wünschenswert ist und als solche nicht den Tatbestand des § 299a StGB erfüllt. Zugleich wird jedoch darauf hingewiesen, dass Anhaltspunkte für eine Verletzung des in § 67 Abs. 6 S. 3 AMG normierten Gebotes eines angemessenen Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung[440] den Anfangsverdacht der Bestechlichkeit im Gesundheitswesen zu begründen vermögen.[441] Angesichts der Trennungsschärfe dieser Abgrenzungsformel können auch letztlich zulässige Kooperationen zum Gegenstand von Ermittlungen werden.[442] Im Schrifttum wird den Vertragsparteien daher zu Recht zu einem vorausschauenden Indizienmanagementgeraten, das im Bedarfsfalle eine transparente und inhaltlich überzeugende Erläuterung der getroffenen Vereinbarungen ermöglichen sollte.[443]
Vor allem die Fortschritte im Bereich der biomedizinischen Forschung werfen immer wieder intrikate medizinethische Fragenauf und erzeugen einen rechtspolitischen Handlungsbedarf, dem der Gesetzgeber häufig nur zögerlich nachkommt.[444] Exemplarisch ist in diesem Zusammenhang auf die fortbestehenden Unklarheiten bei der Auslegung des Embryonenbegriffes bei § 8 Abs. 1 ESchG hinzuweisen, die das gesamte gesetzgeberische Schutzkonzept zu unterminieren drohen (vgl. Rn. 114).[445] Ein weiteres Beispiel bilden die rapide anwachsenden und zunehmend (auch international) vernetzten Sammlungen von Proben und Daten zu Forschungszwecken (sog. Biobanken), für die es bislang an einem einheitlichen spezifischen Rechtsrahmen fehlt.[446] Auch wenn die Suche nach politisch mehrheitsfähigen Lösungen hier mühsam und kräftezehrend sein mag, erscheinen gesetzgeberische Aktivitäten, die sich um einen angemessenen Ausgleich der konfligierenden individuellen und kollektiven Interessen bemühen, unbedingt wünschenswert.
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