Gleich zu Beginn der Erklärungen stand eine grössere Verwirrung: Der letzte Anruf von gestern Abend um 20.52 Uhr wurde von einem Prepaid-Handy aus getätigt, Fiona Decorvet hatte ihn aber weggedrückt, es gab keine Gesprächsdauer. Eingeloggt war der Anrufer in Herrliberg, an der «Goldküste», am rechten Zürichseeufer.
«Bringt uns wohl nicht gross weiter, Claudia …», bemerkte Ritter enttäuscht.
«Nur nicht so pessimistisch, J. R., Victorija Rudenko wohnt in Feldmeilen, wie ich herausgefunden habe, liegt gleich neben Herrliberg», konterte Claudia Lüthi.
«Immerhin ein Ansatz.»
«Da ist noch etwas, J. R. …»
«Nämlich? Claudia, mach es nicht so spannend!»
«Um 19.29, 21.09 und 21.13 Uhr hat man sie per SMS kontaktiert.»
«Genial, Claudia, genial! Wer denn?»
«Prepaid, leider, aber möglicherweise wurden die Kontakte, so die Swisscom, auf hoher See abgesetzt, eine genauere Ortung ist nicht möglich.»
«Das hingegen ist interessant, merkwürdig. Was sagen uns die übrigen Handydaten von Frau Decorvet?»
«Wir werten die Daten aus, mit einer Ruth Bär hat sie häufig telefoniert.»
«Ist eine Freundin von ihr, war auch auf dem Schiff, du kannst sie ruhig vernachlässigen, ebenso Prisca Antoniazzi, Luzia Cadei und Ruth Gnädinger, die zählen ebenso dazu. Ist dir sonst Verdächtiges aufgefallen?»
«Nein, nicht wirklich, aber bis du wieder in Bern bist, werden wir wohl mehr wissen. Weisst du schon, wann genau dein Flug geht?»
«Nein, noch nicht. Heute werde ich mit den italienischen und deutschen Kollegen zusammensitzen und das weitere Vorgehen absprechen. Ich melde mich, danke, Claudia.»
Inzwischen zeigten die Uhren auf der Alberta Imperator, dass die beiden ersten Stunden des Nachmittags an diesem 9. August bereits verstrichen waren. Ritter machte sich nach einem Telefongespräch mit seiner Partnerin Stephanie Imboden auf Spurensuche – zu den Spürhunden. Den ersten Vierbeiner fand er auf jenem Deck, auf welchem das Theater liegt. Der Hundeführer war im Gespräch mit Holger Herrlich, weshalb sich Ritter vorerst auf Distanz hielt, er wollte die beiden Herren in ihrer Diskussion nicht stören. Auch ohne Worte sah Ritter ihrer Gestik und Körperhaltung an, dass die Spurensuche kein Ergebnis gezeitigt hatte, eine Vermutung, die HH kurz danach bestätigte.
Der Spürhund hatte die Fährte auf der Suche nach Fiona Decorvet sofort aufgenommen, als er an den Sessel herangeführt wurde, auf dem die Vermisste Platz genommen hatte. Von dort aus begab sie sich offenbar direkt zu einem der insgesamt sechs Aufzüge, die allein im vorderen Bereich des Schiffes zur Verfügung standen. Auf Deck 5 gab es bei den Liften eine weitere Spur, die direkt zum Aussenbereich führte, dorthin, wo die Handtasche bei den Rettungsbooten lag. Ironie des Schicksals für die Ermittler: Kurz bevor man die Handtasche entdeckt hatte, wurde das Aussendeck gereinigt, die Handtasche offensichtlich übersehen, und mit diesen Arbeiten auch sämtliche mögliche Spuren beseitigt, also war man in dieser Beziehung so klug wie zuvor, weshalb sich Ritter auf tiefer gelegene Etagen begab, auf der Suche nach weiteren Vierbeinern mit ihren Haltern. Unterwegs verfolgte ihn kurz folgender Gedanke: Die Mitarbeitenden auf der Alberta Imperator wussten bestimmt, welche Zonen nicht unter Video-Überwachung standen. Was nun, wenn eine Reinigungskraft die Handtasche gefunden und Handy samt Bordkarte an sich genommen oder über Bord geworfen hätte? Aber weshalb dann nicht gleich die ganze Handtasche? Nein, diese Überlegung machte keinen Sinn, weshalb er sich wieder den Fakten widmete.
Ritter wurde im Bereich der Lagerräume fündig, wo inzwischen mehrere Hunde bellten und damit anzeigten, dass es jene Gerüche gab, die mit den Kleidungsstücken identisch waren. Weil die verschiedenen Kühlkammern und Lebensmittellager mit offener Ware für Tiere tabu waren, bemühten sich die Tierhalter darum, nach sichtbaren Spuren zu suchen, allerdings vergeblich, so sehr sie sich auch bemühten, Berge von Kisten und Kartons freizulegen. Capitano Enrico Tosso und einer der Offiziere standen ebenfalls vor Ort, nicht zuletzt, um einen Verstoss gegen die Lebensmittelvorschriften zu verhindern, denn Kisten mit offenen Früchten, in die die Hunde ihre Nasen gesteckt und an denen sie mit den Pfoten gescharrt hatten, hätten sofort entsorgt werden müssen. Das galt es zu verhindern, trotz allem Verständnis für die Sucharbeiten.
«Herr Ritter», Enrico Tosso wandte sich an den Schweizer, «die Tiere haben eine Spur gefunden, aber wir können uns keinen Reim darauf machen. Nirgends gibt es optische Hinweise darauf, dass Frau Decorvet sich tatsächlich hier aufgehalten hat. Es ergibt auch keinen Sinn. Meine Leute werden jedoch bis zur Abfahrt des Schiffs jede auch nur einigermassen zugängliche Fläche absuchen und sämtliche Kisten kontrollieren. Ich werde Ihnen in jedem Fall Bescheid geben, ungefähr um 19.00 Uhr. Wir werden auch neu einzuladende Ware für einige Stunden separat zwischenlagern, um mögliche Spuren nicht zu verwischen.»
«Danke, Capitano. Eine Frage hätte ich noch.»
«Prego.»
«Es gibt ja auch Ware, die das Schiff verlässt …»
«Ja, natürlich, Essensreste. Und Fäkalien, aber beides wird auf dem Schiff getrocknet und anschliessend verbrannt, um Energie zu gewinnen. Die Imperator ist diesbezüglich das vermutlich modernste und sauberste Schiff der Welt, mit eigener Kläranlage. Alles, was wir nicht verwerten können, wird maschinell zerkleinert und geht zum Rezyklieren von Bord. Sie denken aber hoffentlich nicht, dass …»
«Sagen wir es so: Ich hoffe es nicht.» Diese Hypothese bedeutete auch das Ende dieses Gesprächs.
Weil es an Bord keine weiteren Indizien zum Aufenthalt der Fiona Decorvet gab, einigte man sich mit Holger Herrlich, die Suche abzubrechen, was gleichzeitig auch bedeutete, dass die Herren Bevilaqua, Herrlich und Ritter sich vom Kapitän verabschiedeten, mit der Aussicht, weiter miteinander in Kontakt zu bleiben. HH schlug seinen beiden Kollegen vor, doch mit ihm zur nicht sehr weit entfernten Davidwache zu kommen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.