Thomas Bornhauser
FEHLSCHUSS
IMPRESSUM
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© 2015 Werd & Weber Verlag AG, CH-3645 Thun/Gwatt
FOTOS UND TEXT
Thomas Bornhauser
GESTALTUNG/SATZ
Stefan Schwab, Werd & Weber Verlag AG
Manuela Krebs, Werd & Weber Verlag AG
UMSCHLAGGESTALTUNG
Monica Schulthess, Werd & Weber Verlag AG
LEKTORAT
Madeleine Hadorn, Werd & Weber Verlag AG
KORREKTORAT
Heinz Zürcher, CH-3612 Steffisburg
E-BOOK-HERSTELLUNG UND AUSLIEFERUNGBrockhaus Commission, Kornwestheim www.brocom.de
E-Book ISBN 978-3-03818-274-0
www.werdverlag.ch
www.weberverlag.ch
Inhalt
Prolog
Kein Tag wie jeder andere
Der Schuss
Bern, die USA und Korea
Ein intelligentes Gewehr
Der Fall Martin Bigler
Von den Pfadi ins Bundeshaus
Von Skulpturen und Satelliten
Mary-Ann, Murielle oder Marianne?
Ein emotionaler Wasserfall
Im Hirschen zu Ortschwaben
Murielle Devanthéry und Arthur Aufdermauer
Aneta Gomulka
Thomas Kowalski
«Erstunken und erlogen!»
Die engere Beziehung
Liste Polterabend
Zu schnell unterwegs
Der Eclat
Zwei Schweizer in Polen
Einsatz in Lodz
High Frequency Trading
Der Fall Arthur Aufdermauer
Einige Wochen später
Mögliche Verdächtige im Multipack
Der Brief
Eine nächste Dienstreise nach Polen
Epilog
Einige Intermezzi zu «Fehlschuss»
Thomas Bornhauser
Oberhalb des Glasbrunnens im Bremgartenwald Bern brannte der Ferrari aus.
Prolog
«BERN. Wie die Kantonspolizei Bern mitteilt, wurde in der Nacht auf heute im Bremgartenwald bei Bern ein ausgebrannter Sportwagen mit zwei noch nicht identifizierten Toten entdeckt. Wer sachdienliche Mitteilungen oder Beobachtungen zum Vorfall machen kann, wird gebeten, sich bei der Kantonspolizei Bern oder bei jeder anderen Polizeidienststelle zu melden.»
Medienmitteilung der Kantonspolizei Bern
am 2. Mai um 10:03 Uhr.
Kein Tag wie jeder andere
Montag, 5. Mai. Ein schöner Tag, wie gestern Sonntagabend von Sandra Boner auf dem Dach der Fernsehstudios in Zürich bereits vorausgesagt. Die Pendlerzeitung hatte in ihrer heutigen Ausgabe den Bericht aus einer Sonntagzeitung vom Vortag aufgenommen, wonach in den letzten Jahren die Zahl der Vollzeitstellen in der zentralen Verwaltung der SBB von 737 auf 1500 gestiegen ist.
«Und womöglich sitzen diese Spezialisten, denen Kostenoptimierung und Prozesse über alles gehen, in diesem Regionalzug und belegen die Sitzplätze», ging es ihm durch den Kopf.
Es konnte denn auch nicht erstaunen, dass diese Umstände im RE 3154 entsprechend lautstark gewürdigt wurden. Pech hatte nämlich, wer an Werktagen um 07:08 Uhr in Münsingen die von Thun herkommende doppelstöckige Zugskomposition nach Bern-Hauptbahnhof nehmen musste, war doch meistens Stehen angesagt, auch heute.
Also geduldete er sich auf der Plattform zwischen den Türen ausserhalb der Abteile, mit vielen anderen Pendlern – unter anderem war da eine junge Frau mit ihrem Velo und einem schätzungsweise zweijährigen Meitli im Sitzli auf dem Gepäckträger – wie Sardinen in der Büchse. Zwei Jungverliebte indes liessen trotz der Menschenmenge nichts anbrennen und schmusten bis Bern-Hauptbahnhof hemmungslos miteinander, sehr zum Entsetzen (oder Neid?) der Reisenden.
Erstaunlicherweise war nichts darüber zu lesen, ob die Berner Polizei Neues zu ihren Ermittlungen im Fall des am letzten Freitag ausgebrannten Sportwagens im Berner Bremgartenwald mit zwei Toten zu vermelden hatte. Abgesehen davon: Es war in diesem Gschtungg 1schier unmöglich, Zeitung zu lesen, was sich ohnehin erübrigte, da die wichtigsten Themen sowieso mündlich besprochen wurden, vor allem die wieder einmal unnötige Heimniederlage der Berner Young Boys vom Vortag.
Komisch: Der ausgebrannte Sportwagen kam auch bei den Mitstehenden nicht zur Sprache, obwohl der Fall das ganze letzte Wochenende ein echtes Medienthema. Sogar «schweiz aktuell» berichtete am Freitagabend live vom Fundort im Bremgartenwald bei Bern.
Joseph Ritter, Chef Dezernat «Leib und Leben» – so hiess in Bern das Mordkommissariat der Kriminalabteilung der Kantonspolizei –, fragte sich insgeheim, weshalb er nicht einen früheren Zug mit weniger Pendlern genommen hatte. Und obwohl sich eigentlich der Rufname «Sepp» aufgedrängt hatte, war er seit seinem Eintritt bei der Kapo nur als «J.R.» bekannt, benannt nach John Ross Ewing aus der US-amerikanischen TV-Serie «Dallas» der Achtzigerjahre.
07:20 Uhr. Pünktlich traf der Zug im Hauptbahnhof Bern auf Gleis 4 ein. Auf der Rampe zur Unterführung im Bahnhof die übliche Menschenmasse. «Man könnte sich direkt auf den Stufen des Grand Station Terminals in Richtung Park Avenue oder der 42nd Street wähnen», erinnerte sich Ritter an seine Zeit in Manhattan zurück. Joseph Ritter arbeitete seit 2003 im sogenannten Ringhof, im Lorrainequartier, am Nordring, musste heute aber husch noch ein bestimmtes Dokument in Zusammenhang mit dem Sportwagen-Vorfall beim Kommando der Kantonspolizei am unteren Waisenhausplatz abholen.
Im Volksmund hiess das Gebäude noch immer «Polizeikaserne», zurückzuführen auf die Zeit, als Stadt- und Kantonspolizei bis vor wenigen Jahren getrennte Bereiche waren. Auf dem Weg dorthin kaufte sich Ritter wie üblich bei einem Take-away linkerhand seinen Becher mit einem heissen Kakaogetränk, lief am Restaurant Sous-Sol und der Bäckerei Eichenberger vorbei, anschliessend stieg er die Treppe zur Neuengasse hinauf, jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend, die Rolltreppe rechts von ihm unbeachtet lassend. Der Bahnhofplatz, am Ende der Treppen liegend, teilte die Welt in zwei Zonen: Links Burger King, rechts Gübelin mit einer Schmuck- und Uhrenauslage, die sich auch an der Park Avenue in New York gut machen würde.
Er lief die mit Berner und Schweizer Fahnen beflaggte Neuengasse entlang, wo ein grosser Coop-Sattelschlepper auf der linken Strassenseite das Warenhaus Ryfflihof mit neuer Ware belieferte. Auf halbem Weg bog Ritter nach links ins Ryffligässli ab, angeblich der kürzere Weg zur ehemaligen Polizeikaserne, da die Neuengasse auf ihrer zweiten Hälfte einen ganz leichten Rechtsknick zum Bärenplatz aufweist. Am Ende des Ryffligässlis zweigte er rechts in die Aarbergergasse ein, wo rechterhand unzählige 110-Liter-Abfallsäcke lagen, einige davon aufgeschlitzt, der Inhalt den Boden bedeckend.
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