»Ich bin nicht froh über diese Gabe, die eher eine Strafe ist«, sagte er, »da ich weder weiß, was die Zukunft bringen wird, noch, wie ich das Unglück verhüten soll, das ich erahne. Auch du wirst meinen Rat nicht befolgen, dich fernzuhalten von dem jungen Herrn …«
»Er beachtet mich ja gar nicht«, fiel Damilla ihm ins Wort. »Er kennt bestimmt die feinsten Damen von Methumis und Kabash, wie soll ihm da eine wie ich gefallen? Ich bin ihm sicher zu dick und zu dumm …«
»Du bist frisch und jung, du gefällst ihm«, sagte Hilgert bestimmt, »doch nun muß ich mich wieder meiner Arbeit zuwenden, und auch du wirst gewiß schon im Haus oder in der Küche vermißt.« Brüsk wandte der Alte sich um und stapfte mit großen Schritten zum Stall.
»Und wann darf ich endlich das kleine Prinzeßchen sehen?« fragte Fuxfell und hob erwartungsvoll Braue und Lid des unverhüllten Auges. Er hatte sich soeben mit Durenald und Kusmine zur Mittagstafel begeben, der ersten gemeinsamen Mahlzeit.
»Sehen dürfen?« lachte Kusmine und schnitt sich ein großes Stück des saftigen Wildschweinbratens ab – ein Meisterwerk Titinas mit einer Sauce aus frischen Frühlingskräutern, tulamidischen Spezereien und getrockneten Waldpilzen. »Keiner hat sie dir bisher vorenthalten, und es ist das erste Mal, daß du nach ihr fragst. Aber ich freue mich ja, daß du es tust, und auch daß es dir ganz offensichtlich besser zu gehen scheint.« Sie legte eine Pause ein, um den Bissen in den Mund zu stecken, ihn mit Behagen zu kauen und zu schlucken. »Nun«, sagte sie mit einem kurzen Blick unter leicht gerunzelten Brauen zu dem fahlen Blauton, den die Arivorer Butzenscheiben vom Himmel übrigließen, »es dürfte jetzt etwa eine Stunde nach Mittag sein. Wenn es sich mit deinen Plänen deckt, dann werden die beiden Kriegerinnen dich um die dritte Stunde in der Kinderstube erwarten.«
Zordan Fuxfell deutete eine Verbeugung in Richtung seiner Halbschwester an. »Es wird mir ein Vergnügen und eine Ehre sein, den schönen Damen des Hauses meine Aufwartung zu machen.« Dann wandte er sich an Durenald, dem er, den suchenden Blick des Gastgebers bemerkend, mit verbindlichem Lächeln eine Schüssel voll duftender Hirseklöße reichte. »Aber wollt Ihr den Damen nicht auch die Ehre geben, teurer Schwager? Ein Familienidyll in der Kinderstube.« Das Lächeln wurde breiter. »Und wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, dann habe ich nicht nur für die liebreizenden Kriegerinnen Präsente in meinen Satteltaschen, sondern auch eine Kleinigkeit für Euch.«
Als Zordan Fuxfell zwei Stunden später die Kinderstube betrat, bot sich ihm ein Bild, wie es traviagefälliger nicht sein konnte: Kusmine thronte auf einem rotgepolsterten Sessel, das gutgelaunte Wickelkind auf dem Schoß. Ihr zur Seite saß ihr Gatte auf einem niedrigen Schemel und versuchte erfolgreich, durch das Ausstoßen seltsamer Laute, bei deren Erzeugung sich seine Züge aufs absonderlichste verzerrten, das Kind zum Lachen zu bringen. Kusmine beobachtete Durenalds Treiben mit lächelndem Kopfschütteln, konnte sich aber der allgemeinen Heiterkeit nicht entziehen; sie warf den Kopf in den Nacken und lachte hell auf, als es an der Tür klopfte.
Susa öffnete und ließ mit einem flüchtigen Knicks den Neuankömmling ins Zimmer treten. »Braucht Ihr mich noch, Euer Edelgeboren?« fragte sie.
»Nein, geh nur, Susa«, erwiderte die Angesprochene, »und laß dir von Titina eine Erfrischung bereiten. Und sag Damilla, sie soll Tee und Gebäck bringen.«
Fuxfell verharrte beim Anblick der Familie kurz in gespielter Anbetung und preßte die Linke an die Brust. »Welch ergreifendes Bild, man sollte es malen«, hauchte er. Dann näherte er sich mit federnden Schritten seiner Nichte und verneigte sich tief. »Schönstes Fräulein, nehmt mein Herz, das ich Euch zu Füßen lege.«
Das Kind hatte, als Fuxfell das Zimmer betrat, ihrem Vater, der, als es klopfte, rasch seine Züge geordnet und ihnen einen verbindlichen Ausdruck verliehen hatte, keinerlei Aufmerksamkeit mehr geschenkt, sondern beobachtete vielmehr jede Bewegung des Gastes mit großen wachsamen Augen. Nun richtete Fuxfell sich auf und lächelte seine Nichte an.
Thalionmel erwiderte den Blick des einen schwarzen Auges ernst und unerschrocken. »Fürwahr, ein schönes Kind, liebe Schwester«, wandte sich Fuxfell an Kusmine. »Wie heißt sie noch gleich?«
»Thalionmel.«
»Ein ungewöhnlicher Name, aber man wird sich daran gewöhnen – man wird sich daran gewöhnen müssen, nicht wahr, kleine Thalionmel? Denn in ein paar Jahren wirst du nicht nur sämtliche Männerherzen brechen, du wirst auch deine Widersacher das Fürchten lehren, so grimmig, wie du schaust. Ja, eine glänzende Karriere liegt vor dir, meine Teure, um die ich dich beneiden könnte, wäre ich nicht dein Onkel und getreuer Beschützer. Darf ich dir nun zum Zeichen meiner onkelhaften Zuneigung einen Kuß auf die Stirn drücken?«
Als Fuxfell sich mit gespitzten Lippen dem kleinen Blondschopf näherte, wich das Kind zurück und versuchte den Kopf am Busen der Mutter zu verbergen.
»Oh, man ziert sich?« Fuxfell konnte einen winzigen Anflug von Ärger in Stimme und Miene nicht unterdrücken.
»Es wird die Augenbinde sein, die ihr Angst macht, lieber Schwager«, sagte Durenald lachend. »Einäugige sind ihr bisher noch nicht begegnet.«
»Nun, wenn ich ihr nicht gefalle, so finden doch vielleicht meine Gaben Gnade vor ihren Augen.« Fuxfell holte ein Bündel aus seiner Tasche, in dem es leise klapperte und das er nun behutsam öffnete. Es enthielt buntbemalte Holzfigürchen – Pferde, Reiter und Soldaten.
Thalionmel hatte beim Klappern der Holzpüppchen den Kopf gewandt und beobachtete gebannt, wie Fuxfell eine winzige Soldatin (nach dem verschwenderischen Gebrauch von Silber- und Goldlack auf Helm und Panzer zu urteilen, wohl eine Rittfrau oder Obristin) aus dem Bündel klaubte und ihr zögernd reichte. Mit hellem Jauchzen griff sie danach. Fest schlossen sich die kleinen Finger um das blinkende Ding, und dann begann sie wie wild zu fuchteln und zu hopsen.
»Ja, das ist ein Spielzeug nach deinem Geschmack, kleine Kriegerin!« lachte Kusmine. »Und wenn du erst etwas größer bist, wirst du auch richtig damit spielen können. Danke, Zordan«, wandte sie sich an ihren Bruder, »du siehst ja selbst, welche Freude du ihr gemacht hast.« Wie, um die mütterlichen Worte zu bekräftigen, streckte der Säugling fordernd die leere Linke aus, und die Fingerchen griffen und streckten sich nach etwas Unsichtbarem.
»Nun, dann laß mich einmal schauen, was ich für das andere Händchen habe«, sagte Fuxfell, während er in dem linnenen Beutel kramte. »Wie wäre es mit diesem verwegenen Söldner?« Er reichte Thalionmel das bunte Figürchen. Gierig griff sie danach, doch plötzlich schleuderte sie mit einer gleichzeitigen heftigen Bewegung beider Arme Obristin und Söldner weit von sich, wobei sie ihren Onkel nur um Spannbreite verfehlte. »Wie kann man nur so ungezogen und undankbar sein?« fragte Fuxfell leise. Einen Wimpernschlag lang funkelte Zorn in seinem Auge. Dann bückte er sich, um die Figürchen aufzuheben. »Für heute ist es wohl genug«, meinte er, während er sie zurück in den Beutel legte.
»Ach, Schwager, nehmt es ihr nicht krumm, sie weiß doch gar nicht, was sie tut.« Durenald lächelte freundlich. »Aber zeigt mir einmal die Püppchen – sie scheinen ja ganz allerliebst zu sein.« Vorsichtig leerte er den Beutel auf den Wickeltisch und stellte den Inhalt auf. Er enthielt eine winzige Streitmacht, bestehend aus Rittern und Rittfrauen samt ihren Streitrössern, Knappen, Pikenieren und Bogenschützen. Aber auch die Gegenspieler der tapferen Soldaten kamen nun zum Vorschein: ein Oger, zwei Trolle, eine Handvoll Orks und eine Schar abenteuerlich bewaffneter Räuber, zu denen auch der Söldner gehörte.
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