»Einen Apfelschimmel? Eine schöne, aber etwas furchtsame Stute? Ja, die ist gefunden worden und wird in unserem Stall von Hilgert gut umsorgt«, beruhigte Durenald seine Gemahlin, »und auch das Gepäck deines Bruders ist in Sicherheit. Wenn du willst, lasse ich es gleich in seine Kammer bringen.«
»Ach nein, ich denke, das hat Zeit bis morgen. Heute wollen wir seinen Schlummer nicht mehr stören. Weißt du«, sagte Kusmine nach kurzem Sinnen, »ich bin sehr froh, daß Zordan endlich den Weg zu uns gefunden hat. Es zeigt doch, daß er uns zugetan ist – dir und mir und dem Kind wohl auch … Wer sollte unser Kleinod nicht lieben …« Sie nahm ihren Gatten beim Arm und führte ihn zur Kinderstube. »Früher hatte ich bisweilen den Eindruck, daß er einen Groll gegen mich hegt«, nahm sie ihren Gedanken wieder auf, »obwohl ich nie unfreundlich zu ihm war oder ihn mit Hochmut oder Herablassung behandelt hätte … Es wird der Neid des Bastards gewesen sein, denke ich, der Neid auf meine Geburt, auf meinen Stand, meine gute Ausbildung …«
»Deine Schönheit«, unterbrach sie Durenald und faßte sie um die Hüfte.
»Meine gute Partie«, fuhr Kusmine lächelnd fort und legte nun ihrerseits dem Gatten den Arm um die Schulter und zog ihn fest an sich. »Mein Glück …«
»Du hast nicht immer Glück gehabt im Leben und bist auch nicht immer glücklich gewesen«, widersprach Durenald. Doch sogleich bereute er seine Worte, als er spürte, wie Kusmine kaum merklich erstarrte.
»Nein, nicht immer«, sagte sie leise, »aber dennoch halte ich mich für einen von den Göttern verwöhnten und begünstigten Menschen.« Sie hielt inne und blickte ihren Gatten ernst und voller Liebe an. »Soll ich dir sagen, was ich glaube? Ich glaube, Boron hat uns den kleinen Tsafried genommen, um uns daran zu gemahnen, daß wir unser Glück nicht uns selbst verdanken, sondern jenen, die alle unsere Geschicke lenken. Und jeden Tag und jede Stunde müssen wir sie preisen für die Gaben, mit denen sie uns segnen … War es nicht Frau Rahja, die es so gefügt hat, daß wir uns in Neetha begegnet sind? Ist es nicht Frau Peraine, die deine Äcker und Gärten segnet Jahr für Jahr? Ist es nicht Frau Travia, die täglich über unserem Heime wacht? Ist es nicht Frau Rondra, die mir Mut und einen starken Körper verliehen hat? Und müssen wir Frau Tsa nicht innig danken für die schöne Tochter, die sie uns geschenkt hat?«
»Du hast recht, liebes Herz, so wie du immer recht hast«, sagte Durenald zärtlich, »und da du sie erwähnst, unsere schöne Tochter, so möchte ich sie gern sehen.«
»Ja, komm nur, Liebster, und schau sie dir an – sie wird mit jedem Tag schöner und kräftiger. Ich wollte ohnehin gerade zu ihr eilen, um sie zu nähren für die Nacht.«
In nachdenkliches Schweigen gehüllt, setzte das Paar den Weg zur Kinderstube fort. Plötzlich lachte Kusmine. »Und ist es nicht Herr Firun, der uns den schönen Braten geschenkt hat?« fragte sie. »Oder war Er dir etwa nicht gewogen? Du weißt, daß du mir für den Praiostag eine junge Bache versprochen hast, nicht wahr?«
»Und was ich verspreche, das halte ich auch, mein liebes Herz.« Durenald zog Kusmine an sich und küßte sie. »Am Praiostag wirst du dich am zartesten und saftigsten Wildbret laben können, das je deinen Gaumen verwöhnte.«
Lange standen die Gatten am Bettchen ihrer Tochter, lachten und scherzten mit dem Kind und konnten nicht genug davon bekommen, die Vollkommenheit der Gliedmaßen, das strahlende Blau der Augen und die Schönheit des blonden Lockenhaares zu bewundern, das in Anbetracht des zarten Alters schon recht üppig auf dem Köpfchen sproß.
»Und nun bitte ich dich, uns zu verlassen«, sagte Kusmine schließlich, »du weißt, daß wir zwei beim Stillen am liebsten ungestört unter uns sind.«
Mit gespieltem Schmollen wandte Durenald sich zum Gehen. »Darf ich heut nacht auf deinen Besuch hoffen?« fragte er.
»Natürlich, Liebster.«
»Nun, ich kann es kaum erwarten, Geliebte.« Und mit einem galanten Kratzfuß verabschiedete Durenald sich von seiner Gemahlin.
Zwei Tage später war Zordan Fuxfell fast völlig wiederhergestellt. Das immer noch ein wenig geschwollene und verfärbte Auge verbarg er unter einem bunten Seidentuch, was ihm nach Damillas Ansicht ein ungeheuer verwegenes, fast freibeuterhaftes Aussehen verlieh und seine männlichen Reize noch erhöhte. Die junge Magd war sehr beeindruckt von dem Gast des Hauses, und ein Funke glomm in ihrem Herzen auf, obwohl sie ihn seit seiner Ankunft in Brelak erst dreimal gesehen hatte – das erste Mal, als man ihn, blaß und leidend zwar, doch wunderschön und elegant, vor zwei Tagen in der offenen Kutsche zum Gutshaus gebracht hatte, das zweite Mal gestern, als sie seine Kammer ausfegen mußte, und das dritte Mal am heutigen Morgen, als es ihr vergönnt war, ihm das Frühstück aufs Zimmer zu bringen.
»Halt dich fern von dem jungen Herrn«, ermahnte Hilgert sie, als sie ihm mit geröteten Wangen von dem seelenvollen Ausdruck des einen sichtbaren Auges, von der vornehmen Bildung der männlich-schlanken Hände, dem warmen Klang der Stimme und der über alle Maßen zierlichen Ausdrucksweise des neuen Gastes berichtete.
»Warum?« fragte das Mädchen überrascht. Der düstere Blick des Stallmeisters bohrte sich so tief in die braunen Augen der Magd, daß es ihr nach einer kurzen Weile schien, als schaue er sie nicht an, sondern durch sie hindurch, und ein Gefühl von Beklommenheit bemächtigte sich ihrer und vertrieb ihre Freude und gute Laune. »Warum?« wiederholte sie, trotzig diesmal.
»Er wird Kummer und Unglück über dich bringen, wenn du ihm zu nahe kommst.«
»Immer redet Ihr so, alter Mann.« Damilla senkte den Blick und wand gedankenverloren das Ende ihres dicken braunen Zopfes um den Finger. »So daß man ernst wird, wenn man vorher lustig war, und traurig, wenn man vorher froh war. Gönnt Ihr denn keinem eine Freude, oder könnt Ihr in die Zukunft schauen und seht dort nur Schlimmes und Böses?« Der letzte Satz war wohl nicht als Frage gemeint, denn schon plapperte sie weiter, das Zopfende immer verbissener zwirbelnd. »Als das junge Fräulein zur Welt gekommen ist, da habt Ihr auch von schlechten Vorzeichen geredet, aber das Kind ist ganz gesund und schön und hat alle Finger und Zehen, und die Frau hat sich schon nach drei Tagen vom Wochenbett erhoben, und die Saat ist gut aufgegangen, und der Herr und die Herrin leben in traviagefälliger Eintracht. Und jetzt … und nun, da ich Euch nur erzählt habe, welch vornehmer und freundlicher Mann der Halbbruder unserer Herrin ist und wie wohlgesetzt er zu reden versteht, da sagt Ihr, daß er mich ins Unglück stürzen wird. Warum? Wollt Ihr mich ärgern? Ich habe doch nichts Schlechtes gesagt oder getan.«
»Ich will dich nicht ärgern, Kind«, erwiderte Hilgert sanft, schaute das Mädchen jedoch so ernst, ja fast grimmig an, daß sie unwillkürlich einen Schritt zurückwich, »und ich kann auch nicht in die Zukunft blicken, aber oft fühle ich es, wenn ein Unglück sich naht – das muß nicht morgen oder übermorgen sein oder in einem Mond …«
»In einem Mond ist der Herr Fuxfell längst abgereist; ich hab’s mit eigenen Ohren gehört, wie er gesagt hat, daß ihn dringende Geschäfte nach Kabash rufen.« Damilla nestelte weiter an ihrem Zopf und schob trotzig die Unterlippe vor.
»Und warum ist er nicht von Methumis gleich dorthin gereist? Es liegt ja fast am Wege.«
»Ich weiß nicht, wo Methumis und Kabash liegen, aber wahrscheinlich wollte er zuerst sein neues Nichtchen besuchen. Seht Ihr, das ist es, was ich meine: Immer seid Ihr mißtrauisch und macht ein Firunsgesicht, so lang und finster, daß man selbst eins kriegt …« Damilla hielt verlegen inne, aber der Alte schien ihre Worte nicht gehört zu haben.
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