1 ...8 9 10 12 13 14 ...51 Und trotzdem fiel sein Wort in aufnahmebereite Herzen. Giambattista VicoVico, G. hat gesagt, daß die einfachen Menschen sich am Großen und Einheitlichen ergötzen und daß mehr als alle noch so scharfsinnigen Worte des Verstandes die bildhaft einprägsame Tat und Haltung und das lebendige Gefühl sie fortreißen. Franz von AssisiFranz v. Assisi ist in VicosVico, G. Sinne ein poetischer Charakter gewesen, weil er ganz und gar bildhafter Ausdruck seiner selbst geworden ist. Den inneren Impuls trieb er mit einer überirdisch glühenden, mit einer seraphischen Entschlossenheit in die äußere Erscheinung; er wurde zum sinnlich-geistigen Erlebnis, unvergeßlich und unverwechselbar, ein sichtbares Zeichen geheimer Seelendinge.
Hier denke man einen Augenblick an die italienische oder überhaupt mittelländische Tradition der Sichtbarmachung alles häuslichen und seelischen Geschehens. So wie es noch heute ist, so muß es schon in der Antike gewesen sein: das Leben vollzieht sich in den Straßen und auf den Plätzen, und ohne Rückhalt ergießen sich die Affekte in eindrucksvolle Worte und Gesten. Die Helden des Volkes, in der Geschichte und auf der Bühne, müssen in jedem Augenblick ihren Charakter im Bilde darbieten, und keine noch so krasse Steigerung, sei es im Tragischen oder im Burlesken, ist diesem naturnahen Geschlecht zu viel. In dem heutigen öffentlichen Leben Italiens ist dies noch jeden Tag mit gleicher Eindringlichkeit zu beobachten wie etwa im antiken Lustspiel oder bei PetroniusPetronius.
In seinem Wesen und Auftreten hat der Heilige diesem Zuge des Volkscharakters vollkommen entsprochen – ja er hat ihn vielleicht erst wieder aufleben lassen und aus der Erstarrung von Jahrhunderten erweckt. Die Wandlungen und Zustände seiner Seele waren ein öffentliches Ereignis, und von dem Tage, an dem er dem scheltenden Vater vor dem Angesicht des Bischofs und des ganzen Volkes seine Kleider zurückgab, um sich ganz dem himmlischen Vater zu überliefern, bis zu jenem, an dem er sich, sterbend, nackt auf die nackte Erde legen ließ, ut hora illa extrema, in qua poterat adhuc hostis irasci, nudus luctaretur cum nudo 10 – war jede seiner Handlungen eine Geste von nie erlebter und weittragender Gewalt, die die Menschen unmittelbar zu stürmischen Tränen und begeisterter Demut bewegte. Die wenigen Worte, die von ihm genau so überliefert sind, wie er sie sprach oder schrieb, tragen noch seine drängende und bei vieler Einfalt leidenschaftlich bewegte Geste in sich: Dico tibi sicut possum de facto anime tue beginnt der Brief an den unbekannten Minister, und mit et und et steigern sich, beschwörend und bestätigend, die Ermahnungen. Der Brief Ita dico tibi, fili mi an Bruder Leo ist in seiner völlig ungeschickten und unklaren Ausdrucksweise eines der beredtesten Dokumente aller Zeiten – aus dem 12. und 13. Jahrhundert gibt es gewiß nicht seinesgleichen. Was soll man vollends zu seinem Testament, was zu den Laudes creaturarum , dem SonnengesangSonnengesang ( laudes creaturarum ), sagen, dieser ersten, unbeschreiblichsten Blüte des Volgare volgare , in der die einfachste, unschuldigste, vertrauteste Liebe zum Irdischen ausatmet in dem vertrauten Gruß an den Tod, als sei auch er Kreatur, ein irdisches Ding, von Gott geschaffen und würdig des Ruhmes? So viel von seinen Worten; eine überwältigende Fülle von Zeugnissen für seine ganz persönliche, immer bildhaft-konkrete Gestalt bietet seine Legende, in jeder der vielen Fassungen, in denen sie uns überliefert ist. Schon bei ihrer Entstehung rankt sich die Phantasie mitdichtend um sie herum, des Streites um Priorität und Glaubwürdigkeit ist kein Ende; vom ersten Tage an ist sie ein Volksbuch, die unkritischste Redaktion, nämlich die vulgärsprachlichen Fioretti Fioretti (des hl. Franz), haben bis zum heutigen Tage eine gewaltige Verbreitung, weit über die fromm katholischen Kreise hinaus, und ein großes Jahrhundert der Malerei scheint fast nur aus der Geschichte des Franz von AssisiFranz v. Assisi das göttliche Pneuma der Inspiration empfangen zu haben.
Es ist nicht leicht, aus solcher Überfülle das Eindringlichste auszuwählen – und dabei nicht das zu übersehen oder zu verschweigen, was einem heutigen Gefühl fremdartig erscheint. Als er schon ein berühmter Heiliger war und sehr krank – von Natur war er zart und eines gepflegten Lebens bedürftig11 – da aß er einmal Hühnerfleisch, das man ihm verordnet hatte. Kaum hatte er sich erholt, befahl er einem Bruder, ihn mit einem Strick um den Hals durch AssisiFranz v. Assisi zu führen und dabei fortwährend zu rufen: Hier seht den Vielfraß, der sich ohne euer Wissen mit Hühnerbraten vollgestopft hat!12 Das scheint uns fast zu viel und ist doch ein Ausfluß seiner innersten Art, eines traditionell italischen Wesens, das in seiner naiven Drastik zuerst Spott, dann bestürzte Einkehr – aber niemals Überdruß erregte. Bei aller Einfachheit scheut er sich durchaus nicht, ein auffallendes Schauspiel zu geben – oder besser gesagt, dies Szenenhafte ist seine Natur, sein Ausdruck, den er nie verleugnet. Seine Gebärden im Sprechen überstiegen durchaus das uns gewohnte Maß; selbst als er zum ersten Male vor dem Papste sprach, ergriff ihn der fervor spiritus , so daß er, «sich nicht fassend vor Freude, die Füße wie im Tanze bewegte».13 De toto corpore fecerat linguam , sagt Thomas an einer anderen Stelle, womit er freilich in einem weiteren Sinne meint, daß sein Körper durch Haltung und Art des Lebens unausgesetzt seiner Predigt diente; und er überschreibt den folgenden Absatz: Concordia utriusque hominis .14 Aber auch in jenem engeren Sinne behält es Gültigkeit, und es ist völlig das Freiheitsgefühl eines großen und meisterhaften Schauspielers, das an einer dritten Stelle beschrieben wird: wenn er vor vielen Tausenden predigte, war er so sicher wie im Gespräch mit dem vertrautesten Genossen; der riesigste Völkerhaufe erschien ihm wie ein einziger Mann.15
Er ist stets ein gespannter und bewegter Mensch gewesen, den es unausgesetzt trieb, die jeweils ergriffene Lebensform ins äußerste zu steigern; non modicum audax war er in seiner frühen Jugend,16 ein überschäumendes Gefäß der Gnade später. Was für ein verblüffender Auftritt ist schon sein erstes Erscheinen nach seiner Bekehrung in dem kleinen Assisi, das in ihm eben noch den Führer der leichtsinnigen Jugend der Stadt gesehen hatte!17 Und die Fülle erstaunlicher Taten, die er später vollbrachte, ist unerschöpflich. Er gab den Armen seinen Mantel oder das einzige Evangelienbuch, das die Brüder besaßen, er küßte die Aussätzigen, er warf sich, als eine Regung niederer Sinnlichkeit ihn befiel, nackt in den Schnee,18 er sprach zu Tieren und Blumen, er nannte alle Kreaturen seine Brüder – et modo praecellenti atque caeteris inexperto creaturarum occulta cordis acie decernebat, utpote qui iam evaserat in libertatem gloriae filiorum Dei .19 Das Krippenspiel am Tage der Geburt des Herrn, das praesepium Praesepium, praesepe , feiert er mit Ochs und Esel im Stall zu Greccio, und das herbeigeeilte Volk hört in frommer Freude, wie er predigend Jesus das Lamm von Bethlehem nennt und in diesem Worte das Blöken eines Lammes nachzuahmen versucht.20 Er weinte über ein junges Lamm, das er auf dem Felde sah, nahm es mit sich, zog damit zum Erstaunen aller durch die Stadt Auximum (Osimo), um es den Nonnen zur Pflege zu übergeben – es hatte ihn an Christi Leiden erinnert.21
In der Ekstase begann er zu singen, und zwar oft französisch, oder auch mit einem Stück Holz die Bewegung des Geigenspielers (der viella ) nachzuahmen;22 das Französische war seine Lieblingssprache, und im Anfang seiner Laufbahn überwand er die eigene Scham vor dem Betteln, indem er plötzlich begann, französisch zu reden.23 Nicht minder erstaunliche und impulsive Dinge vollbrachte er, um seiner Gesinnung bei den Brüdern oder auch bei Fremden Geltung zu verschaffen. Als er ein Haus sah, das ohne sein Wissen für die Brüder gebaut worden war, stieg er sofort auf das Dach und begann die Ziegel hinunterzuwerfen;24 die gewohnte Zelle verließ er, als sie ein Bruder unbedacht cella fratris Francisci genannt hatte;25 einem anderen, der einen Beutel Geldes berührt hatte, gab er in erschreckender Symbolik als Buße auf, den Beutel mit den Zähnen in einen Haufen Eselsmist zu legen.26 Als er die Brüder in Greccio an einem geschmückten Tische speisen sieht, geht er nicht etwa hinein, es ihnen zu verweisen; er nimmt Hut und Stab eines Armen, geht laut bettelnd an die Tür, erbittet als armer Pilger, im Namen Gottes, Einlaß und Speise: und wie die fassungslos erstaunten Brüder ihm den verlangten Teller geben, setzt er sich damit in die Asche: modo sedeo ut frater minor! 27
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