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Kapitel 6
An diesem Nachmittag bin ich ziemlich geplättet. Der junge Arzt besucht mich auf meinem neuen Zimmer auf Station. Er überreicht mir eine erste Informationsbroschüre, erklärt mir nochmal mit etwas mehr Ruhe den Therapieplan und gibt noch einiges an weiteren Informationen. Meine spezielle Therapie wird an meinen körperlichen Zustand in Kombination von Größe, Gewicht und seelischer Stabilität angepasst. Die Station wirkt auf mich höchst beruhigend, zuvorkommend und sehr freundlich. Egal wen man hier antrifft, jeder ist sehr bedacht auf seine Äußerungen oder sein Handeln. Es ist zu spüren, dass das Personal exakt weiß, welche Art von Patienten, welche Art von Krankheiten mit eventuell negativem Ausgang hier gepflegt werden.
Noch während ich mir Sorgen mache, wie denn meine Frau meine neue Station an einem ganz anderen Platz im Klinikum finden wird, da kommt sie auch schon strahlend herein und sieht sich kurz um. „Na mein Schatz, du hast ja ein neues Zimmer. Schön.“
„Ja Wahnsinn. Und ich habe mir gerade noch Sorgen gemacht, wie du hierher finden solltest. Wer hat dir denn gesagt, dass ich hier bin?“
„Ja, da staunst du? Mich hat die Frau Dr. Stiegel angerufen. Die ist ja lieb. Ich war total überrascht, als mich jemand vom Krankenhaus anrief. ‚Ja Hallo. Hier spricht Frau Dr. Stiegel. Machen Sie sich keine Sorgen. Ihr Mann wurde soeben verlegt.‘ So in etwa war das Telefonat.“ „Echt? Du bist angerufen worden?“, hake ich fragend nach. „Ja. Und sie hat mir erklärt, dass wir jetzt endlich genau wissen, was für einen Krebs du hast und dass es ein Glück ist, dass du das alles so früh bemerken konntest. Jetzt steht dir zwar eine längere Krebstherapie bevor, aber das ist gegenüber den anderen Diagnosen die beste Variante. Sie sagte auch, dass du sehr gute Heilungschancen hättest. So ähnlich drückte sich Dr. Sarino auch aus oder? Aber nun erzähle mal, wie dein Tag heute war. Ich bin auf jeden Fall schon einmal beruhigter.“ Also erzähle ich meiner Frau vom Freitag, von den Torturen und dem wirklich nicht angenehmen Tag für mich. Sie staunt nicht schlecht. „Och mein armer Schatz. Das ist aber nicht toll.“ „Nein, wirklich nicht. Mir tut noch alles weh. Und jetzt liege ich auf diesem Zimmer.“ Dann gehen wir auf den Flur und setzen uns in die kleine Etagen-Küche. Es ist ein kleiner Raum mit einer Sitzgelegenheit für maximal 4 Personen. An einer Wand ist eine Küchenzeile von 2 m Länge aufgebaut. Hier steht ein Heißwassergerät bereit, falls man zwischendurch einen Tee trinken möchte. Auch stehen verschiedene Tüten von Anbietern für Fertigsuppen bereit, frisches Obst, ein Kühlschrank für Patienten. An der Seite ist ein Regal aufgebaut, das für 3 Kisten Platz bietet. Wasser, Saft und ja, sogar alkoholfreies Bier sind in diesem Regal enthalten. Wir staunen nicht schlecht. Das ist ja verrückt hier, wir wundern uns etwas über diesen Service. Doch es dauert nicht lange, da wird uns beiden klar: Wer hier ist, soll sich wohlfühlen. Nicht alle werden diese Abteilung lebend verlassen, auch das wird uns auf dieser Station bewusst. Dann erzähle ich Wendy, dass der eine Patient auf meinem neuen Zimmer ständig Schmerzen im Magen hat. Er klingelt ungefähr jede 5 Minuten nach der Schwester, es ist ein Wahnsinn für die Mitarbeiter. Deshalb wollte ich auch lieber in die Küche.
Dr. Witzel, ein gebürtiger Thüringer, kommt zu mir in die Küche. „So Herr Peter, da sind Sie ja. Ah und Sie sind dann wohl Frau Peter?“ „Ja“, antwortet meine Frau wahrheitsgetreu. Er fragt kurz nach dem Geburtsdatum bevor ich meine erste Infusion bekommen soll. Doch er sucht noch etwas. „Haben Sie denn noch keinen Port?“, möchte er noch wissen. „Nein, so weit waren wir noch nicht. Ist das denn schlimm?“
„Nein, jetzt geht das noch. Diese ersten Infusionen sind noch eine nicht so aggressive Vor-Chemotherapie. Aber sie benötigen auf jeden Fall einen Zugang. Allerdings, wie ich sehe, ist bei Ihnen die Narbe ja noch so frisch und groß. Hoffentlich geht das überhaupt im Brustbereich. Aber wenn ich mir Ihre Venen am Arm anschaue, das sollte auch funktionieren.“ Prüfend schaute er beim Anbringen der ersten Infusion durch meinen Zugang am Arm sich die Venen an. „Wozu brauche ich denn überhaupt einen Port? Ist das nicht zu aufwendig?“ „Oh nein. Sie müssen wissen, dass die Chemotherapien, die Sie bekommen werden, sehr aggressiv sind. Die Venen würden das nicht auf Dauer aushalten und kaputtgehen. Beim Port haben Sie einen sicheren Zugang. Deshalb ist ein Portzugang medizinisch unabdingbar. Ich kümmere mich darum.“ Er erklärt das sehr anschaulich und ich bin doch froh, auch einen Portzugang zu bekommen. Die Infusion beginnt zu laufen. Unbewusst höre ich in meinen Körper hinein. Ich möchte wissen, wie sich das anfühlt. Viel habe ich über Chemotherapien gehört. Meine Schwester war an Krebs erkrankt und hatte eine lange Leidenszeit hinter sich bringen müssen. In 1991 erhielt sie ihre letzten Gaben. Leider hatte sie es nicht geschafft und ist viel zu früh verstorben. Ich denke viel und gern an sie zurück, aktuell noch mehr. Sie fehlt mir sehr.
Dann ist auch schon Essenszeit. Das Abendbrot wird ausgeteilt und ein Pfleger kommt in die Küche und bringt mir das Tablett mit einer guten Auswahl an Brot, Salat und Beilagen. Der nette Dr. Witzel hat ihm die Information gegeben, dass ich mit meiner Frau in der Küche sitze, und ließ mir das Essen hierherbringen. Mit auf dem Tablett liegen Karten für das Essen des nächsten Tages. Der Pfleger heißt Mario, kommt aus der Gegend von Erfurt. „Noch einer aus Thüringen wie du. Schatz, hier sind wir richtig“, frotzele ich meiner Frau zu. Sie ist ja auch eine echte Thüringerin. Und gleich darauf kommt eine Schwester in die Küche. Eine große, kräftige Schwester, die kurz angebunden direkt auf den Punkt kommt. Aber das ist nur der äußere Schein, das erfahre ich später. Sie arbeitet schon sehr viele Jahre in dieser Abteilung. „Aha, hier sind Sie also Herr Peter.“ Das hörte sich beinahe an, als wäre es etwas unanständig. Wir können uns kaum einen Blick zuwerfen, als sie bereits weiterspricht. Sie fragt meine Frau, ob sie nicht auch ein wenig Hunger hätte. „Sie müssen doch auch etwas essen. Uns ist wichtig, dass auch der Besuch der Patienten sich wohl fühlt. Wollen Sie etwas? Wir haben noch Brot und Beilagen übrig.“ „Ja, wenn es nichts ausmacht? Dann würde ich eine Scheibe mit meinem Mann essen. Danke, das ist aber lieb.“ Mehr kann meine Wendy in diesem Moment auch nicht sagen. Zu verwundert sind wir nach wie vor. Die Schwester bringt 5 Minuten später unter einem leichten, ihrem Auftritt geschuldeten Vibrieren des Bodens einen Teller voll mit Brot, Beilagen, einem Salat. Sie lächelt dabei in sich hinein: „Bitte“, sagt sie nur noch, sowie: „Und Handtücher oder solche Dinge lassen Sie gleich zu Hause. Sie kümmern sich um Ihren Mann und nicht um die Wäsche!“ Die resolute, aber im Kern liebevolle Schwester geht ohne einen Dank oder eine andere Antwort abzuwarten wieder ihrer Arbeit nach.