Georg Dehio - Kunsthistorische Aufsätze

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Georg Dehio (1850 – 1932) war ein bedeutender und höchst einflussreicher deutscher Kunsthistoriker. Das «Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler», das auf seine Initiative zurückgeht und dessen erster Bearbeiter er (ab 1905) war, trägt bis heute seinen Namen. Nach dem Ersten Weltkrieg rundete er sein Lebenswerk mit einer umfangreichen «Geschichte der deutschen Kunst» (1919-25) ab. In den hier vorliegenden, 1914 erschienenen «Kunsthistorischen Aufsätzen» spiegelt sich die ganze Bandbreite seiner Forschungsinteressen. Ergänzt wurde der Buch durch eine historische und kunstgeschichtliche Erläuterung des Straßburger Münsters aus dem Jahr 1922. Als langjähriger Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte an der Universität Straßburg (1892 – 1919) war Dehio wie kaum ein Zweiter mit der Baugeschichte des Münsters vertraut.
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Georg Dehio

Kunsthistorische Aufsätze

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Gustav von Bezold und Friedrich von Bezold in alter Freundschaft

DIE KUNST DES MITTELALTERS

ÜBER DIE GRENZE DER RENAISSANCE GEGEN DIE GOTIK

DEUTSCHE KUNSTGESCHICHTE UND DEUTSCHE GESCHICHTE

HISTORISCHE BETRACHTUNG ÜBER DIE KUNST IM ELSASS

ZU DEN SKULPTUREN DES BAMBERGER DOMES

Nachwort 1892

DIE KUNST UNTERITALIENS IN DER ZEIT KAISER FRIEDRICHS II.

AnhangBurg Egisheim im Elsass (1908)

AUS DEM ÜBERGANG DES MITTELALTERS ZUR NEUZEIT

Konrad Witz

Der Ulmer Apostelmeister

DER MEISTER DES GEMMINGENDENKMALS IM MAINZER DOM

DIE KRISIS DER DEUTSCHEN KUNST IM XVI. JAHRHUNDERT

DIE BAUPROJEKTE VON NIKOLAUS V. UND L. B. ALBERTI

ZU DEN KOPIEN NACH LIONARDOS ABENDMAHL

ZUR GESCHICHTE DER BUCHSTABENREFORM IN DER RENAISSANCE

DIE RIVALITÄT ZWISCHEN RAPHAEL UND MICHELANGELO

ALT-ITALIENISCHE GEMÄLDE ALS QUELLE ZUM FAUST

DAS VERHÄLTNIS DER GESCHICHTLICHEN ZU DEN KUNSTGESCHICHTLICHEN STUDIEN

Nachwort 1914

WAS WIRD AUS DEM HEIDELBERGER SCHLOSS WERDEN?

Nachwort 1914

DENKMALSCHUTZ UND DENKMALPFLEGE IM NEUNZEHNTEN JAHRHUNDERT

DENKMALPFLEGE UND MUSEEN

ZUM GEDÄCHTNIS

Am Grab Heinrichs Freiherrn v. Geymüller

Viktor Hehn

DAS STRASSBURGER MÜNSTER

Impressum

Gustav von Bezold und Friedrich von Bezold

in alter Freundschaft

Vorwort

Die auf Anregung der Verlagsbuchhandlung hier vereinigten Aufsätze und Reden sind zum Teil vor langer Zeit und meistens auf bestimmte Anlässe hin konzipiert worden. Es schien deshalb nicht ratsam, viel an ihnen zu ändern.

Zum ersten Stück bemerke ich, dass es als Beitrag für die »Kultur der Gegenwart« schon 1904 niedergeschrieben war; der betreffende Band wurde aber zurückgestellt und das ganze Sammelwerk hat inzwischen einen anderen Charakter angenommen, insofern ursprünglich den einzelnen Teilen ein viel engerer Rahmen zugemessen war.

Ausgeschieden habe ich aus der vorliegenden Sammlung, was mir nur für einen engeren Kreis von Fachleuten Interesse zu haben schien: so fast alle meine architekturgeschichtlichen Arbeiten (erschienen im Jahrbuch der Kunstsammlungen des preußischen Staates, im Repertorium für Kunstwissenschaft und in der Zeitschrift für Architekturgeschichte), aber auch die Untersuchungen über die Glasgemälde des Straßburger Münsters (Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins n. F. XXII 1907), die kritischen Beiträge zur Künstlergeschichte des 15. Jahrhunderts (Repertorium für Kunstwissenschaft XXXIII 1910), sowie die Aufsätze vermischten Inhalts, die ich in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts hier und dort, hauptsächlich in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung und in den Preußischen Jahrbüchern, veröffentlichte.

Meine größeren Arbeiten haben mich lange Zeit bei der Architekturgeschichte festgehalten; aus den vorliegenden kleinen Schriften wird man erkennen, dass mein Interessenkreis doch eine größere Spannweite hatte, wenn es hier auch, wie immer, heißen musste: ars longa, vita brevis.

Straßburg im März 1914

Der Verfasser

Inhalt

DIE KUNST DES MITTELALTERS

(1904)

Das Mittelalter beginnt kunstgeschichtlich dort, wo die griechisch-römische Kunst, auf ihrem eigenen Boden abgestorben, im Schoße fremden Volkstums in neue, abartende Entwicklungen eintritt. In diesem allgemeinsten Sinn hat die abendländische Kunst denselben Ausgangspunkt wie die byzantinisch-orientalische. Verschieden ist aber hier und dort nicht nur das aufnehmende Medium, sondern auch formal die Art der Verbindung. Im Osten trifft die griechisch-römische Kunst mit einer anderen, die ihre eigenen, sehr alten und sehr bestimmt gerichteten Überlieferungen hat, zusammen. Die jungen Völker des Westens dagegen, Kelten und Romanen, haben ihr nichts Eigenes und Fertiges entgegenzustellen. Ihre Götter wohnten nicht in Tempeln, ihre Könige nicht in Palästen. Sie waren ohne Kunst. Von einer Vermischung zweier Systeme, wie sie im Osten sich vollzog, ist bei ihnen nicht die Rede.

Gewiss, alles, was nachher die mittleren und neueren Zeiten künstlerisch geleistet haben, bliebe unverständlich ohne die Annahme, dass irgendwo in einem sehr verborgenen Winkel der germanischen Volksseele auch ein Keim zu künstlerischer Anlage bereitlag. Nur bleibt er für uns unsichtbar. Er besteht lediglich als potentielle Energie und musste lange schlummern, bis er in aktuelle sich umwandeln konnte. Phantasiebegabung zwar war das Letzte, was der germanischen Volksseele gefehlt hätte. Die ihr natürlichste Form, sich auszudrücken, war aber die Dichtung; übergreifend selbst auf Gebiete, die ihrem Wesen nach dem Verstand gehören, wie Recht und Staat; nicht vorhanden war jene feinere sinnliche Reizbarkeit, die zur bildenden Kunst führt. Es will etwas sagen, dass der dreihundertjährige Zeitraum römischer Herrschaft in Germanien für die Erziehung der Unterworfenen nach der künstlerischen Seite völlig unfruchtbar blieb: über ein bescheidenes Begehren nach Schmückung ihres Leibes, ihrer Behausungen, Geräte und Waffen kamen sie nicht hinaus, und die Formen, die sie in Gebrauch hatten, waren von früh auf aus dem Kunstkreis der Mittelmeervölker geborgt. Alles Suchen nach einem ureigenen germanischen Formenschatz ist umsonst; was man zuweilen dafür gehalten hat, besonders im Bereich der Nordgermanen, ist doch nichts anderes als barbarisiertes Lehngut, wenn auch mit bestimmt gerichtetem eigenen Willen in der Art der Auswahl und Abwandlung der Originale. Das Wesentliche ist das Absehen von der Naturwirklichkeit, eine absolute Musik der Linie. Auch die als Eroberer in die römischen Grenzen eindringenden Stämme sind zur Kunst in kein aktiveres Verhältnis gekommen; sie waren weitaus nicht die Zerstörer, die »Vandalen«, zu denen die spätere Legende sie gestempelt hat; sie gründeten ein Geschlecht von Herren, nicht von Handwerkern; sie nahmen die Kunst hin als einen untrennbaren Bestandteil der vorgefundenen Kultur, aber kraft eigenen Geschmacks ihr Vorschriften zu machen, lag ihnen fern. Genug, auch nach der germanischen Eroberung wandelte sich die Kunst der lateinischen Länder genau so ab, wie sie es ohne sie getan hätte.

Erst die um Jahrhunderte jüngere zweite Aussaat im Norden, die von der christlichen Kirche unternommene, ging auf. Erst jetzt kam die Zeit, wo der nordische Mensch auf die an ihn herangebrachten Kunsteindrücke seelisch antwortete, wo er sie nach seinem Sinn sich deutete, nach seinem Sinne umgewandelt etwas Ähnliches und doch schon anderes hervorzubringen sich gereizt fühlte. Zum ersten Mal in greifbarer Gestalt tritt uns dies neue Verhalten im Reich Karls des Großen entgegen: hier ist schon Mittelalter.

Zweierlei Veränderungen hatten sich inzwischen vollzogen: die eine in der inneren Disposition des empfangenden Teils, der Forschung verschlossen, aber notwendig vorauszusetzen; die andere im überlieferten Stoff selbst. Es handelte sich nicht mehr um die echte Antike, sondern um die schon innerlichst verwandelte, durch das Eindringen des wiedererwachten alten Orients einer ersten Zerlegung und neuen Zielsetzung unterworfenen Spätantike. Einen zweiten Zersetzungsprozess leitete jetzt der nordische Geist ein. War dies Geschäft vollbracht, so konnte der Aufbau eines neuen Kunstkörpers folgen. Für das Verständnis des Vorganges wesentlich ist, dass in der antiken Überlieferung immer noch ein Rest von Leben geblieben war. Die Kunst des karolingischen Zeitalters ist nicht Wieder belebung, nicht Renaissance, wofür man sie öfters ausgegeben hat. Es ist nur in sehr untergeordnetem Sinn wahr, dass sie nach rückwärts schaute; in ihr wirkte noch ohne Unterbrechung der von der Antike kommende Stoß fort, mit dem sich dann die neuen, bald als die stärkeren sich erweisenden Kräfte verbanden.

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