»Gegenbeweise«
Nun lassen sich zu jedem dieser sogenannten »Beweise« leicht »Gegenbeweise« führen: Warum muss es denn eigentlich einen ersten Beweger oder eine erste Ursache geben? Ist die Welt wirklich so wohlgeordnet und bewundernswert und nicht oft auch sehr grausam und unbarmherzig? Kann es sich bei den Gottesvorstellungen der Völker nicht um bloße Projektionen, um naive, heute überholte Deutungen der Wirklichkeit handeln? Darf man von etwas Gedachtem tatsächlich auf seine Existenz schließen? Muss ein Atheist, nur weil er nicht an Gott glaubt, mit Notwendigkeit ein unmoralischer und unsittlicher Mensch sein?
»Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!« Joh 20,29
Gott lässt sich nicht beweisen!
Noch schwerwiegender sind aber theologische Einwände grundsätzlicher Art: Können Menschen mit ihrem endlichen Verstand ein unendliches, alles umfassendes und allem zugrunde liegendes Wesen überhaupt beweisen? Hieße Gott »beweisen« nicht auch immer, sich Gott verfügbar und kalkulierbar machen? Und liefe das nicht zumindest dem biblischen Gottesglauben völlig zuwider? Heutige Theologen lehnen die sogenannten Gottesbeweise aus diesen Gründen in aller Regel ab. Trotzdem handelt es sich bei diesen Argumentationen nicht einfach um Unsinn. Diese »Beweise« können uns – von alltäglichen, z.T. kindlichen Erfahrungen ausgehend – anregen und dazu bringen, über »Gott und die Welt«, über Ursprung, Sinn und Ziel unseres Lebens nachzudenken. Wer sich auf die Gedankengänge der Gottesbeweise einlässt und versucht, sie zu widerlegen, hat schon begonnen, Philosophie und Theologie zu betreiben. Er hat die Scheuklappen eines gedankenlosen Materialismus abgelegt.
Ludwig Feuerbach: Gott – eine Projektion des Menschen
Als Begründer des modernen, philosophisch durchdachten Atheismus gilt der Philosoph Ludwig Feuerbach (1804–1872). Etwas spöttisch hat man ihn, der zunächst selbst Theologie studiert hatte, auch den »Kirchenvater des modernen Atheismus« genannt.
Gott ist ein Wunschgebilde menschlicher Sehnsüchte und Hoffnungen.
Feuerbach vertritt in seinem Hauptwerk »Das Wesen des Christentums« von 1841 die These, Gott sei eine bloße Projektion des Menschen, ein Wunschgebilde seiner eigenen Hoffnungen und Sehnsüchte. Weil der Mensch es nicht aushält, unvollkommen und endlich zu sein, erfindet er sich ein vollkommenes und allmächtiges Wesen; weil er selbst nicht sterben will, erfindet er die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele; weil er die Ungerechtigkeit auf Erden nicht erträgt, kommt er auf den Gedanken einer himmlischen Gerechtigkeit. In Umkehrung eines Satzes aus dem ersten Kapitel der Bibel kommt Feuerbach zu dem Schluss: »Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.« Problematisch an diesen Projektionsvorgängen ist für Feuerbach, dass der Mensch durch sie von sich selbst entfremdet wird, dass er sich innerlich entzweit, zwiespältig wird. Religion ist die Negation des Menschen, weil sie den Menschen dazu verleitet, seine Energien an ein illusionäres Konstrukt zu verlieren, anstatt sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und die Welt nach seinen Bedürfnissen zu gestalten.
»Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn …« 1. Mose 1,27
→ Gottebenbildlichkeit
Aus »Candidaten des Jenseits« sollen »Studenten des Diesseits« werden.
Die Konsequenzen, die Feuerbach aus seinen Überlegungen ziehen muss, liegen auf der Hand. Die Vorstellungen von Gott und einer jenseitigen Welt müssen überwunden werden. Damit kommt es aber zur Negation der Negation des Menschen. Die Einheit des Menschen mit sich selbst wird wiederhergestellt. Auf diese Weise wird Theologie (Lehre von Gott) zu Anthropologie (Lehre vom Menschen), Religion wird durch Politik, das Warten auf ein besseres Jenseits durch das Engagement für ein besseres Diesseits ersetzt. Feuerbach will, wie er es selbst formuliert, die Menschen »aus Gottesfreunden zu Menschenfreunden, aus Gläubigen zu Denkern, aus Betern zu Arbeitern, aus Candidaten des Jenseits zu Studenten des Diesseits« 14machen.
Rückfragen an Feuerbach
»Da riss alles Volk sich die goldenen Ohrringe von den Ohren und brachte sie zu Aaron. Und er nahm sie von ihren Händen und formte das Gold und machte ein gegossenes Kalb. Und sie sprachen: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt haben!« 2. Mose 32,3f .
Wer sich nun kritisch mit Feuerbachs Projektionstheorie auseinandersetzt, wird zunächst zugestehen müssen, dass Religion in der Tat mit Projektionen zu tun hat. Menschen machen sich Vorstellungen und Bilder von den Göttern, die sie verehren, und in diesen Vorstellungen und Bildern kommen biographisch, kulturell und gesellschaftlich bedingte Bedürfnisse und Sehnsüchte zum Ausdruck. Dass dem so ist, wird durch die Religionsgeschichte vielfältig belegt und durch die Erkenntnisse der modernen Psychologie, insbesondere die Untersuchungen Sigmund Freuds (1856–1939), auch weitgehend plausibel erklärt. Die Frage ist nur, ob Religion deshalb nichts anderes als , ob sie nur Projektion sein muss. Schon sehr bald wurde Feuerbach von seinen Kritikern entgegengehalten, ob denn Brot eine Projektion des Hungers sein müsse, nur weil es dem menschlichen Wunsch nach Sättigung entspricht. Aus der richtigen Einsicht, die Gottesbilder der Menschen enthielten Projektionen, lässt sich in der Tat kein logischer Schluss auf die Nicht-Existenz eines göttlichen Wesens ziehen. Ein Wesen, das menschlichen Wunschvorstellungen entspricht, kann sehr wohl auch existieren.
Muss Brot eine Projektion des Hungers sein?
Projiziert Feuerbach selbst?
Feuerbach geht bei seiner Argumentation also selbst von unbewiesenen und auch nicht beweisbaren Annahmen aus. Wenn er das Bild eines mündigeren, tatkräftigeren Menschen der Zukunft malt, projiziert er außerdem selbst; er »hängt sein Herz an« einen Fortschrittsglauben, der im 19. Jahrhundert auf viele Menschen faszinierend wirken musste, dessen negative Auswirkungen heute aber niemand mehr übersehen kann.
Die Bibel kennt das Problem der Projektion.
→ Hebräischer Gottesname
Speziell von der christlichen Religion her wäre vor allem darauf hinzuweisen, dass schon im Alten Testament immer wieder betont wird, dass der Gott Israels der ganz Andere, der nicht Verfügbare und Kalkulierbare sei (vgl. z.B. 2. Mose 3,14), von dem der Mensch sich kein Bild machen dürfe (2. Mose 20,4). Das Alte Testament rechnet selbst mit Projektionen und unterstreicht in den verschiedenen Phasen der Geschichte Israels immer wieder, dass der Gott, um den es geht, alle menschlichen Vorstellungen übersteigt und sprengt (vgl. dazu insbesondere auch die Religionskritik der Propheten).
Dass der biblische Gott sich nicht den menschlichen Vorstellungen fügt, zeigt sich dann auch im Neuen Testament, wenn der von den Menschen sehnsüchtig erwartete Messias als Obdachlosenkind im Stall geboren und als politischer Aufrührer am Kreuz unschuldig hingerichtet wird. Dass ein solches Gottesbild – zumindest auf den ersten Blick – nicht gerade menschlichen Wünschen und Sehnsüchten entspricht, sieht schon Paulus; er schreibt, der gekreuzigte Christus sei für den gesunden Menschenverstand der Menschen eigentlich »ein Ärgernis« und »eine Torheit« (1. Kor 1,18ff.).
Feuerbach hat dem christlichen Glauben einen Dienst erwiesen.
Zugespitzt könnte man behaupten, dass Feuerbach dem christlichen Glauben geradezu einen Dienst erwiesen hat. Er hat die Bilder und Vorstellungen, die sich auch Christen immer wieder von ihrem Gott machen, als solche entlarvt und somit Raum geschaffen für den Gott, der sich von seinem Selbstverständnis her nicht in menschliche Muster und Kategorien zwängen lassen will.
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