1 ...8 9 10 12 13 14 ...40 Rodrigo hatte keine Vorstellung, wovon der Admiral sprach. Ehrfürchtig hielt er still.
„Für dich mein Junge“, so fuhr Colón fort, „ist dies nur eine Fahrt über das Meer.“ Es schien, als spräche er mehr zu sich selbst als zu Rodrigo: „Aber dies ist mehr als eine gewöhnliche Reise. Dies ist eine Mission für das christliche, katholische Spanien. Wir finden den Seeweg nach Indien.“ Er hielte inne, als wolle er Anlauf nehmen für eine größere Ansprache. Gutierrez und Escobedo verdrehten die Augen. Scheinbar kannten sie derartige Ausbrüche bereits. Diego de Harana lächelte unverbindlich und ließ seine Kugeläuglein blitzen. Der Page Tereros blies sich wichtigtuerisch auf.
Was der Admiral nun salbungsvoll erläuterte, klang wie eine wohlsortierte Erklärung für die Nachwelt, so, als habe Colón nur auf die Gelegenheit und das Publikum zu einer solchen Ansprache gewartet: „Meine Herren, diese Fahrt wird man immer mit meinem Namen, mit dem Namen Christóbal Colón, in Verbindung bringen. Mein Ruhm und meine Ehre sind auch Ruhm und Ehre unserer allerchristlichsten, erlauchtesten und mächtigsten Fürsten, Seiner Majestät des König und Ihrer Majestät, der Königin. Sie haben diese Mission mit ihrer allerhöchsten Gnade ermöglicht.“ Colón richtete seinen Blick auf ein unbestimmtes Ziel irgendwo jenseits der Kajütenwand: „Ihr Herren, glaubt mir, ruhmreich wird unsere Fahrt enden, ebenso ruhmreich wie der Krieg gegen die Mauren, die noch in Europa herrschten, in der gewaltigen Stadt Granada, als ich mit meinen Plänen und Absichten vor die Augen der Herrscher trat.“ Er hielt erneut inne, als besinne er sich auf all die Mühsal, die er seitdem auf sich genommen hatte, seufzte kurz und fuhr dann fort: „Aufgrund der Berichte, die ich unseren Hoheiten über die Länder Indiens und über jenen dortigen Fürsten, genannt der „Große Kahn“, gegeben, erwogen die Hoheiten endlich als aufrichtige katholische Christen, als Freunde und Verbreiter des heiligen christlichen Glaubens und als Feinde der Sekte Mohameds und jedes anderen Götzendienstes, mich, Christóbal Colón, nach den Indien genannten Gegenden zu entsenden, um dort jene Fürsten, Völker und Orte aufzusuchen und nun zu prüfen, wie man sie zu unserem heiligen Glauben bekehren könnte. Das ist die Mission. Meine Mission!“
Escobedo klatschte spöttisch in die Hände und murmelte süffisant: „Bravo!“
Der Admiral schien den Spott nicht zu bemerken oder er ignorierte ihn. Erneut hielt er einen Moment inne, hieb die rechte Faust in die linke offene Hand und blickte von Escobedo zu Harana, zu Gutierrez, um dann konzentriert in seinem Monolog fortzufahren: „So wurde mir der Auftrag zuteil, mich nicht auf dem Landwege, wie bisher üblich gewesen, nach dem Fernen Osten aufzumachen, sondern in westlicher Richtung aufzubrechen, also auf einen Weg, den nach unserem Wissen bis auf den heutigen Tag noch niemand befahren hat.“
Escobedo machte ein Handzeichen Richtung Gutierrez, das wohl besagte: „Jetzt spinnt er wieder“.
Rodrigo verstand nur einen Bruchteil. Er konzentrierte sich weiterhin darauf, unbemerktr zu bleiben. Tatsächlich schenkten der Admiral und die anderen in der Kajüte dem Jungen keine Beachtung.
Colón atmete tief durch, dann faltete er die Hände wie zum Gebet und wandte sich wieder an Gutierrez und Escobedo: „Und dass ihr es wisst, ihr Herren, ihr Ungläubigen: Gold, viel Gold möge mir in diesen fernen Ländern beschieden sein. Die Elfenbeintürme des großen Khan, die Smaragde und Geschmeide, die goldenen Dächer von Zipangu ...“ Den Rest seiner Träume behielt er für sich.
Rodrigo hatte nicht allzu viel verstanden. „Der „Große Khan“, „goldene Dächer von Zipangu“, „Gold, viel Gold“, das waren die Stichworte, die bei ihm haften blieben. Insgesamt gewann er jedoch den Eindruck, es eher mit einem Verrückten als mit einem tüchtigen Kapitän zu tun zu haben.
Diego de Harana schob Rodrigo o-beinig vor sich her hinaus aufs Deck: „Du hast es gehört, Spitzbube, ein paar Tage bist du unser Gast, dann werfen wir dich wieder von Bord.“ Er kicherte zufrieden.
Rodrigo sagte nichts dazu. Dieser Offizier Harana kam ihm vor wie ein Zirkuszwerg. Das sollte ein Alguacil sein? – Immerhin, Rodrigo konnte zunächst mit der Entwicklung mehr als zufrieden sein; man peitschte ihn nicht aus, man legte ihn nicht in Ketten, man warf ihn nicht über Bord. Einer wie er dachte nur an den nächsten Tag, vielleicht noch den übernächsten. Alles war gut gelaufen.
Rodrigo schloss sich dem großspurigen Pablo an, dem einzigen Menschen an Bord, den er kannte. Auf der Gallega fuhren noch weitere Schiffsjungen mit. Der unsympathische Admiralspage Pedro de Tereros, den Rodrigo schon kennengelernt hatte, war einer davon, ein aufgeblasener Wichtigtuer, der Rodrigo bei jeder Begegnung mit feindseligen Blicken fixierte. Außerdem waren da noch ein Kajütpagen für alle übrigen Offiziere, Pedro de Salcedo, sowie der Schiffsjunge Martin de Urtubia. Er war das jüngste Besatzungsmitglied, höchstens elf Jahre alt, und er wirkte sehr eingeschüchtert. Nicht einmal mit Rodrigo mochte er sprechen, immer hielt er sich versteckt.
Zu seiner eigenen Überraschung spannte man Rodrigo nicht für die schikanösesten Arbeiten an Bord ein. Niemand fühlte sich so recht zuständig für ihn. Trotzdem genoss er keinen Müßiggang. Die Wachhabenden scheuchten und trietzten ihn: Deck schrubben, Taue entwirren, Takelage flicken. Mach dies, Kerl! Komm her, Nichtsnutz! Schneller, hopp, nicht einschlafen. Es ging Schlag auf Schlag.
Am ersten Abend brannten Rodrigo die wunden Hände vom Salzwasser und von den reibenden und zerrenden Tauen. Der Schiffsarzt verabreichte ihm eine Salbe aus Ringelblumen, die Linderung verschaffte.
Rodrigo muckte kein einziges Mal auf. In die regelmäßigen Tag- und Nachtschichten teilte man ihn nicht ein. Das hing wohl damit zusammen, dass alle davon ausgingen, dass er ohnehin nur ein paar Tage an Bord bleiben würde.
Die einfachen Matrosen arbeiteten in drei sich überschneidenden Schichten: vier Stunden Wache, acht Stunden frei. In den Dienststunden gab es bei gutem Wetter und stetigen Winden nicht allzu viel zu tun. Einige Männer arbeiteten mit Garn und Marlspieker an der Takelage – diese bedurfte ständiger Wartung und Kontrolle. Andere übergossen die von der Sonne gedörrten Decks, damit die Planken nicht in der Hitze schrumpften. Das innen und außen verpechte Schiff glich einer schwarzen Landschaft aus Teer, der in der Sonne weich und klebrig wurde. Manche taten Dienst als Navigator, Rudergänger oder Ausguck. Die Wachhabenden standen zu zweit auf vorgeschobenem Posten am Bug, zwei saßen im Mastkorb, die anderen bedienten die Segel, machten die Schotten und die Brassen zurecht und zogen alle zwei Tage die Taue an, die sich schnell lockerten. Auf dem erhöhten Heck, unter den Augen des Kapitäns, lehnte Steuermann Peralonso Niño an der Ruderpinne, um die Karavelle auf Kurs zu halten. Peralonso gehörte zum Clan der Niños. Diese waren neben den Pinzons die angesehenste Familie in Palos. Peralonso war ein noch junger, verwegen aussehender Haudegen. Er hatte noch einen älteren Bruder, den mächtigen Juan Niño, dem das zweite Schiff der Flotte gehörte, die Niña, wie Rodrigo bei Gelegenheit erfuhr.
Peralonso Niño war der erste Mann an Bord der Gallega, der Rodrigo in seiner Erscheinung wirklich imponierte. Wie der junge Steuermann aufrecht und kühn an der Ruderpinne stand, den Blick aufs Meer gerichtet, die hellbraunen Haare vom Wind zerzaust, wirkte er so wie Rodrigo sich kühne Seefahrer schon immer vorgestellt hatte. Das Hemd flatterte um Peralonsos breite Brust, und bei seinen lässigen Handgriffen am Ruder spielten starke Muskeln unter dem dünnen Stoff. Neben ihm stand ein weiterer wichtiger Mann, Juan de La Cosa, der baskische Eigner der Gallega. Er beobachtete den jungen Steuermann misstrauisch, fand aber an dessen Art, das Schiff zu steuern, offenbar nichts auszusetzen. De La Cosa war nicht mehr allzu jung, wettergegerbt und kantig, mit klugen braunen Augen. Oft standen die beiden Seefahrer zusammen, fachsimpelten über Winde und Strömungen, über das Schiff und die Mannschaft – und natürlich über die unbekannten Reiseziele.
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