1 ...6 7 8 10 11 12 ...40 Isabella zuckte zusammen, als Alonso Medel ihr im Vorübergehen mit seiner knochigen Hand über das Haar strich. „Meine süße Schwester“, raspelte er und wählte dabei einen Tonfall, der für ein Kind noch angemessen war, gleichzeitig aber auch einer jungen Frau gelten konnte. Er lächelte honigsüß und deutete eine galante Verbeugung an: „Ich freue mich, Euer Kavalier zu werden.“
Sie wandte sich trotzig ab und vermied es, ihm in die Augen zu blicken. Er sollte sie nicht mehr so anfassen. Sie hasste es. Sie hasste ihn. Aber anstatt das auszusprechen, beherrschte sie sich wie sie es gelernt hatte. „Welche Ehre“, sagte sie geziert, ohne aufzublicken. „Das ist sehr großzügig von Euch.“ Dann entfernte sie sich.
Beim Gartenfest, das am Abend in und um die Casa Pinzon folgte, bemühte sich Isabella, dem künftigen Schwager aus dem Weg zu gehen. Er war genügend ausgelastet. Nicht nur, dass er Catalina den Hof zu machen hatte, auch Mama Maria heischte um seine ständige Aufmerksamkeit und erlaubte es nicht, dass der künftige Schwiegersohn sich weiter als zwei Meter von ihr entfernte. Die Vermählung mochte von den Vätern besiegelt worden sein, doch solange Mama Pinzon nicht das Gefühl hatte, der Auserwählte bemühe sich angemessen auch um sie als künftige Schwiegermutter, war noch gar nichts abgemacht. Durch dieses Feuer der Bewährung musste Alonso noch hindurch. Aber es sollte sich für ihn ja lohnen. Ganz sicher winkte ihm mit Catalina eine der besten Partien zwischen Huelva und Cadiz. Für ihn würde das ein Aufstieg werden. Und die Braut war nicht unansehnlich. Zwar neigte sie, ähnlich ihrem Bruder Martin Arias, zu einer leichten Fülligkeit infolge des Wohllebens im Hause Pinzon. Wahrscheinlich könnte sie nach einigen Jahren und den ersten Kindern ihrer Mutter nachschlagen. Wohin das führen würde, war jetzt schon zu besichtigen. Aber, so tröstete sich Alonso Medel, sie hatte ein freundliches Wesen und ein hübsches Gesicht. Und außerdem war da noch ihre kleine Schwester, diese süße Augenweide Isabella. Auf die wollte er ein Auge haben. Instinktiv ahnte Isabella das. Sie spürte Medels Blicke auf sich ruhen, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Es entging ihr nicht, wie er sie mit lüsternen Hintergedanken beobachtete, wenn sie über den Hof tänzelte, durch ein Zimmer ging oder über die Gänge huschte. Er suchte jede Gelegenheiten, sie anzufassen. Er nahm sie in den Arm, drückte sie und tarnte diese Annäherungen als brüderliche Zuneigung des künftigen Schwagers.
Jedesmal entwandt sie sich, sperrte sich, machte sich steif. Nein, sie mochte ihn nicht. Und es graute ihr bei seiner Ankündigung, nach der Hochzeit mit Catalina werde er umziehen nach Palos und mit seiner Frau einen Flügel in der Casa Pinzon beziehen.
Auf diese Hochzeit konnte Isabella sich nicht freuen. Aber sie sprach mit niemandem darüber.
III. Blinder Passagier
So stank es vielleicht in der Hölle: Ein säuerlich-schwefeliger Brodem aus Fäulnis und Verwesung schlug Rodrigo entgegen. Knietief stand das Brackwasser im Kielraum des Flaggschiffs. Es herrschte vollkommene Finsternis. Rodrigo musste sich auf sein Gehör, seinen Tastsinn und auf seine Nase verlassen. Aber weder die Geräusche noch die Gerüche waren vertrauenserweckend. Der Wellenschlag des Meeres an der Außenseite des Schiffsbauches verursachte ein bedrohliches Klopfen – mit jedem Heben und Senken des Schiffsrumpfes ein neuer Schlag. Vom Deck herunter drangen dumpf die fremden Geräusche des Schiffes: Klappern, Knarren und Flattern der Segel, Taue und Masten, das dumpfe Rauschen des Meeres, dazwischen die aufgeregten Stimmen der Matrosen, die lauten Kommandos, das Schimpfen, das Fluchen.
Zitternd tastete Rodrigo sich an der feucht-kalten Innenwand im Bauch der Gallega vorwärts. Schwere Bohlen, vertikale Stützen, horizontale Träger; ein verwirrendes System von Balken und Planken, an denen er sich entlanghangelte wie eine blinde Raupe an der Unterseite eines Blattes.
Am übelsten in der schaukelnden Finsternis plagte ihn der Gestank. Selbst für die abgebrühte Nase eines Schweinehirten bot die Bilge, der unterste Kielraum des Schiffes, unerträgliche Ausdünstungen. Die Suppe, die hier unten schwappte, roch übler als das Gedärm einer toten Ziege. Das Schiff hatte lange im Hafen von Palos gelegen. In diesen Wochen und Monaten hatte sich das ölige Brackwasser im Schiffsrumpf kaum bewegt, war abgestanden und faulig geworden. Ein schwimmendes Holzfass wie die Gallega trug immer einen gewissen Bodensatz an Schwitzwasser im Bauch. Von oben tropfte oft Regenwasser hinzu, vielleicht lief auch mal ein Weinfass aus und schließlich taten die Ratten das Ihre dazu, indem sie fleißig ihren Unrat verrichteten
Rodrigo wünschte sich zurück in die Schweinekuhle. Wie sauber und verlässlich war es dort gewesen. Die ärmliche, kleine Welt zuhause in Palos erschien ihm mit einem Male wie ein Hort glückseliger Geborgenheit. Eine Welt, in der ein dreizehnjähriger Junge sich zurechtfinden und behaglich einrichten konnte. Er zitterte. Auf was hatte er sich bloß eingelassen?
Rodrigo stand splitternackt im stinkenden Schiffsbauch, in einer Hand sein zusammengerolltes Kleiderbündel, mit der anderen tastete er sich vorwärts. Endlich ertastete er mittschiffs den Mastfuß des Großmasts und einen Querbalken unter den Planken, wo er sich bäuchlings dazwischenquetschen konnte. So fand er einen Halt, brachte die Füße aus dem Wasser und bekam endlich Zeit, sich zu besinnen.
Hatte er den Alten wirklich umgebracht? Und wenn er den Messerstich überlebt hatte? Was wurde dann aus Miguel? Was war mit der kleinen Consuela? Er beschloss, solange wie möglich in der Bilge auszuharren. Je später man ihn entdeckte, desto größer schien ihm die Chance, dass er auf der Gallega bleiben durfte und nicht an Land zurückgebracht wurde. Hungrig und durstig schlief er auf seinem sperrigen Balkenlager ein.
Er erwachte, weil irgendwo über ihm ein Hahn krähte. Wie jedes Schiff führte auch die Gallega lebende Vorräte mit sich, darunter auch Hühner, Hähne, Gänse, Schweine. Auf dem Schiff herrschte reges, lärmendes Leben. Rodrigo lauschte den gedämpften Stimmen der Besatzung, dem Tapsen nackter Füße auf den Decksplanken, dem rhythmischen Wellenschlag, der unaufhörlich gegen die Schiffswand pochte. In diesem Moment klappte die Luke auf. Im trübe hereinschimmernden Licht tauchten die Umrisse eines Kopfes auf. Jemand schwang sich durch die Öffnung nach unten.
Rodrigo wollte nicht lange Verstecken spielen. „Ay, Señor!“, sagte er deshalb tapfer und gab sich zu erkennen.
Der Matrose kam eigentlich nur heruntergeklettert um nachzusehen, ob man schon bald das Schwitz- und Leckwasser abpumpen musste oder ob man damit noch ein paar Tage warten konnte. Er packte Rodrigo wie eine junge Katze im Genick und zog ihn durch die Luke nach oben in den Laderaum. Endlich wieder Licht und Konturen. Ehe Rodrigo sich so recht daran freuen konnte, fing er ein paar Ohrfeigen ein. Der Matrose, ein schlacksiger Kerl mit schütterem Haar, brüllte in den Schiffsbauch hinein: „Kielratte an Bord! Señor Escobedo, kommt schnell, seht Euch mal den blinden Passagier an, den ich gefunden habe.“
Es dauerte nicht lange, da näherten sich zwei Männer. Beide waren nicht gekleidet wie einfache Matrosen. Der eine, ein stämmiger Kerl mit breitem, rotweinimprägniertem Gesicht, ging voraus. Er trug eine Offiziersuniform, oder jedenfalls das, was Rodrigo dafür hielt. Der andere Mann war hager, trug feingeschnittene Beinkleider und ein gestepptes Wams, eine Aufmachung, die ihn als wichtigen Mann an Bord auswies. Er fragte schroff: „Was bist du für ein Lump?“ Seine Stimme klang herrisch und auf Anhieb unsympathisch. Rodrigo blickte in zwei kalte Augen in einem kantigen Schädel.
Rodrigo hatte sich einiges zurechtgelegt für diesen Moment. Doch nun lähmte ihn die Angst, stammelte er trotzig und unbeholfen: „Ich will mitfahren, als Schiffsjunge.“ Dann: „Ich habe mich hier versteckt, als das Schiff im Hafen lag.“
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