„Hast du seit deinem Bewerbungsgespräch schon etwas Neues gehört?“
„Noch nicht so wirklich.“
Er war von einem Headhunter kontaktiert worden. Es ging um den Posten des Sicherheitsbeauftragten bei einem internationalen Konzern mit Hauptsitz in Stockholm. Sicherheitsfragen wurden immer wichtiger, und er konnte damit rechnen, auf Dauer Teil der Führungsgruppe zu werden, auch wenn er zu Beginn dem Leiter der IT zuarbeiten sollte. Hans hatte sein Interesse unmöglich verleugnen können. Eigentlich hatte er es tief im Inneren schon geahnt, aber bei seinem Bewerbungsgespräch hatte sich irgendwie die Erkenntnis herauskristallisiert, dass er bei der Säpo auf der Stelle trat. Er konnte sich nicht mehr weiterentwickeln. Er steckte fest.
„Und was denkst du jetzt darüber?“
Sie schenkte ihm noch mehr Wein ein.
„Ich hänge immer noch am Haken, und das weißt du. Was glaubst du, wie oft sich einem eine solche Chance bietet?“
„Aber wirst du die Firma nicht vermissen? Den Nachrichtendienst?“
„Ich weiß nicht. Na ja, wahrscheinlich schon. Aber darum geht es nicht. Vielleicht brauche ich einfach mal eine neue Herausforderung.“
„Hast du denn schon ein konkretes Angebot?“
„Nein, ich glaube, dass einschließlich meiner Person noch zwei Leute im Rennen sind. In ein paar Wochen weiß ich mehr, aber ich habe das Gefühl, als hätte ich gute Chancen.“
Der Kellner trat an ihren Tisch und fragte, ob sie noch ein Dessert wünschten. In der Pause, die dadurch entstand, wanderten Hans’ Gedanken wieder zu den jüngsten Ereignissen. Natürlich war er an dem neuen Projekt interessiert. Natürlich kam er karrieretechnisch momentan nicht voran. Vermutlich sollte er auf diesen Zug aufspringen. Das war eine unerwartete Begebenheit. Aber genauso unerwartet war ein anderes Ereignis: das Gespräch mit Ido Zakai, dieser Schatten aus der Vergangenheit. Der war entfesselt worden und saß nun bereits in seinem Nacken. Sie bestellten zwei Portionen Tiramisu und zwei Cappuccini. Auf dem Weg nach draußen legte Hans den Arm um Stinas Schultern.
„Entschuldige, dass ich so gedankenversunken bin. Ich bin einfach nur so unsicher, ob ich dabei bin, die richtige Entscheidung zu treffen, aber leider glaube ich, dass mir das niemand abnehmen kann.“
Sie lächelte ihn an, und sie spazierten durch die Dunkelheit nach Hause. Aber selbst während sie sich unterhielten, konnte Hans seine Gedanken nicht loslassen. Er erzählte Stina von seinem Squashtraining, dass er die Zahl seiner Trainerstunden erhöht hatte und dass er sein Vorhaben nicht aufgeben wollte, richtig gut zu werden. Aber immer noch hatte er keine SMS bekommen, und das störte ihn. Konnte er diesem Analytiker wirklich trauen? In diesem Moment vibrierte das Telefon in seiner Tasche. Er zog es heraus und las die eingegangene Nachricht.
„ Alles da. Aber ist das Datum korrekt? Bis morgen um 9. “
Hans bestätigte die Uhrzeit, während eine neue Welle an Fragen durch seinen Kopf schwappte. Was sollte das denn nun wieder heißen? Aber ist das Datum korrekt? Mit großer Willensanstrengung unterdrückte Hans die Gedankenflut und konzentrierte sich auf Stina, ihr gemeinsames Gespräch und das, was von ihrem gemeinsamen Freitagabend noch übrig geblieben war.
Am nächsten Morgen verschwand er unter dem Vorwand, ins Fitnessstudio zu gehen, zur verabredeten Zeit zu seinem Treffen mit dem Analytiker. Hans suchte den Kollegen direkt in dessen Abteilung auf, die neuerdings unter der Bezeichnung Medientechnisches Labor fungierte. Hans schnaubte. Der Raum war bis auf den Analytiker leer, der mit Mütze und Kopfhörern an einem Schreibtisch saß. Als Hans eintrat, blickte er auf und erhob sich von seinem Stuhl.
„Tag, Chef. Bereit, ein bisschen Material zu sichten?“
„Absolut. Was hast du denn für mich?“
„Das erzähle ich dir gleich. Du solltest allerdings wissen, dass auf der Speicherkarte nicht viel schwedisches Material war, deswegen werden wir viel englischen Text haben.“
„Kein Problem.“
Zu Hans’ Verwunderung hatte sein Kollege eine kleine Präsentation vorbereitet, deren Seiten er jetzt auf seinem iPad durchblätterte, während er Hans die Bilder erklärte.
„FADEIN – sagt dir das etwas?“
„Jein. Meinst du vielleicht INTIFADA? Den palästinensischen Guerillakrieg?“
„FADEIN ist die Abkürzung für Facial Deblurring Interference – die Methode, die ich für die Bildanalyse angewendet habe. Im Grunde ist das eine japanische Erfindung, die ihren Ursprung im OKAO hat, was Gesicht auf Japanisch bedeutet.“
Hans ließ das sacken.
„Keine schlechten Bilder, die dein Kumpel da geschossen hat, vor allem unter diesen Umständen, aber ich denke, du hast Verständnis dafür, dass der Identifizierungsprozess lange dauert, trotz der technischen Möglichkeiten heutzutage. Bei der reinen Analyse sprechen wir da von zwei Schritten. Der erste Schritt ist das Deblurring , man könnte auch sagen, die Enttrübung. Einige sagen dazu auch Facial Denoising. Der zweite Schritt ist dann die Suche nach Übereinstimmungen und Merkmalen, die eine Identifizierung ermöglichen.“
Langsam kam er mit seinen technischen Ausführungen in Fahrt.
„Das Problem beim ersten Schritt liegt in der Varianz, die durch die Unschärfe entsteht. Das heißt, dass jedes verschwommene Gesicht zu einer großen Anzahl unterschiedlicher Gesichter werden kann, je nachdem, wie das Deblurring durchgeführt wird. Kannst du mir folgen?“
Hans nickte.
„Die Herausforderung liegt darin, den richtigen Algorithmus für genau dieses Gesicht zu finden, die PSF, also die genaue Point Squad Function . Im Grunde genommen muss man herausfinden, welche Punkte man vergrößert oder hinsichtlich ihrer Frequenz verändert. Da gibt es verschiedene Herangehensweisen, aber die besten Methoden basieren einfach auf Empirie – Algorithmen zu erstellen, die verschwommene Gesichter erkennbar machen. Wenn man das dann mit LPQ kombiniert, mit der Local Phase Quantization , kommt ein statistisch brauchbares Ergebnis heraus. Das Ganze kann man vielleicht mit den heutigen hoch entwickelten Schachcomputern vergleichen. Wenn man den Computer mit vielen Schachpartien füttert, lernt er selbst, richtig gut zu spielen, er sieht, was in früheren Partien funktioniert hat und was nicht, und er lernt, diese Erkenntnisse selbst in neuen Situationen anzuwenden. Aber diese Computer werden immer noch von Schachweltmeistern besiegt, und genauso hat FADEIN nicht für alle Probleme die perfekte Lösung parat. Leider.“
Langsam kam er dem Kern seiner Ausführungen näher.
„Seit gestern habe ich die Aufnahmen durch verschiedene Algorithmen gejagt und die Resultate verglichen. Die Bilder waren verschwommener, als ich gehofft hatte, aber zunächst scheinen wir es mit einer lebenden Person zu tun haben, mit neunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit mit einem Mann. Das ist gar nicht schlecht für den Anfang …“
„Ist er Schwede?“, fragte Hans.
„Hallo, hallo, immer mit der Ruhe, Chef. Eins nach dem anderen. Zunächst haben wir hier mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Mann. Woher ich das weiß? Weil ich die Algorithmen aktiv verändern musste, um das Bild einer Frau zu bekommen. Die Algorithmen deuten eindeutig auf einen Mann hin.“
„Verstehe. Wie zuverlässig sind diese Algorithmen?“
„Wir haben sie gerade erst gekauft, selbstverständlich in erster Linie aus den USA. Nichts selbst entwickelt, das wäre zu teuer gewesen. Aber wie ich sagte, jeder etablierte Spin basiert auf einer großen Anzahl von aggregierten Gesichtern.“
„Gleich sagst du noch, das wäre das Beste, was wir hier in der Firma haben …“
„Es ist das Beste, was wir hier in der Firma haben“, antwortete der Analytiker lächelnd. „Spaß beiseite, Chef, du kannst schon drauf vertrauen. Die Dinger funktionieren wirklich gut.“
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