Der Mann der Marta saß schon seit zehn Jahren im Irrenhaus. Es war ihr großes Unglück, an dem sie immer noch würgte. Aber heute war sie fast froh, dass er im Irrenhaus saß. Man kann ja nie wissen, was so einem Mann einfallen mag. Am Ende wäre er heute der Fünfzehnte gewesen.
Spätabends war erst die Sitzung aus. Die Sciora sah die Männer aus dem Gemeindehaus treten, einzeln, und sich im nebligen Abend verlieren. Dann stand der Richter in der Türe und schaute müde um sich, bevor er seinen Schirm aufspannte und über den Platz ging. Die Sciora winkte ihm mit der Hand und rief: «Nun, wie steht es mit der Berta?» Der Richter zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf: «Nichts … nichts … es konnte ihr nichts nachgewiesen werden. Die Männer haben sich in ihre Aussagen verwickelt, einigen wurde die Sache bedenklich und sie traten zurück, andere wiederum schien die Eifersucht zu plagen, sie begannen sich zu zanken, und so bleibt nach all dem Aufwand nichts übrig als der Schwur der Berta, der Sindaco sei ihr Geliebter gewesen und das Kind sei sein Kind.» «Aber wir sind noch nicht am Ende der Geschichte», meinte er nachdenklich, grüßte und ging zu den anderen, die am Wagen auf ihn warteten. Dann hörte die Sciora das Auto zu Tal fahren.
Was kann nun kommen?, dachte sie.
Es kam lange nichts. Im Tal hat man Zeit. Jeder würde es bedauern, wenn eine so schöne Geschichte ein frühzeitiges Ende fände. Es gibt in der ganzen Gegend kein Kinotheater. Die Bewohner müssen selbst für Theater und Unterhaltung sorgen.
Der Vater des Sindaco sah, seine Sache stand schlecht. Er verlor an Anhängerschaft, denn für den Fall, dass die Berta gewinnen sollte, war es höchste Zeit, sich mit ihr gut zu stellen. Sonntags, nach der Messe, auf dem Dorfplatz, hörte man recht freundliche Reden über das Mädchen. Sie habe das Unglück nicht verdient, sie sei doch ein ordentliches Mädchen, und hübsch, keine sei so hübsch wie die Berta. Dann: sie lese Bücher. Das stimmte. Die Sciora hatte sie einst am Waldrand getroffen. Die Berta saß auf einem Stein, das eine Bein über das andere gelegt. In der Hand, die über das Knie hing, hielt sie ein Buch. Die Sciora fragte, was sie lese. Das Mädchen sah nach dem Buchdeckel, sie vergesse immer, wie das Buch heiße: L’amore della colomba. Ein schöner Titel, ein gutes Buch. Das Mädchen war eben etwas Besonderes. Je freundlicher über die Berta gesprochen wurde, desto unwirscher wurden die Brüder des Verstorbenen. Sie schimpften mit ihrem Vater, Geld und Achtung der Menschen gehen in diesem Geschäft nutzlos zum Teufel. Der Vater mache seine Sache schlecht. Es war oft Lärm zu hören im Hause des Alten, Männerstimmen schrien durcheinander, schwere Schritte polterten auf der morschen Treppe, Türen schlugen. Doch es geschah nichts Neues. Der Alte brütete.
Dann aber raffte er sich auf und holte zum entscheidenden Schlag aus, der sowohl das Mädchen und seine Sippe wie seine ungeduldigen Söhne treffen sollte. Eines Morgens setzte er seine alte, zerfressene Pelzmütze auf, nahm seinen Stock und bestieg auf der Piazza die Post, die zu Tal fuhr, ohne den Neugierigen Auskunft zu geben, wohin und wozu. Er fuhr in die kleine Stadt und ging dort dem erstaunten Gericht melden, er selbst, der Vater, ja er, und warum denn nicht, so alt sei er gar nicht, er habe in jener Zeit Beziehungen zu dem Mädchen unterhalten. Das könne er beschwören.
Trotzdem sein Bericht unwahrscheinlich klang, vermochte der Alte Einzelheiten zu berichten und gute Zeugen für die Echtheit seiner Angaben zu nennen, die das Gericht annehmen ließen, er sage die Wahrheit.
Wie war das nun? Es wurde angenommen, auch die Berta habe die Wahrheit gesagt, sie hatte ja geschworen. Also war sie wohl mit dem Sindaco, wie mit seinem Vater … das ist schlimm, sehr schlimm … Arme Berta!
Als man dies im Dorf erfuhr, war ein paar Tage lang die Aufregung groß. Diesen Streich hatte niemand erwartet. Doch fühlte bald jeder, dass die schöne Geschichte, die solange das ganze Dorf unterhalten hatte, nun zu Ende sei. Man spottete noch eine Zeitlang über den Alten. Der machte sich aber nichts daraus. Er hatte sein Geld gerettet. Die Schande tat ihm nicht weh. Er ging, als ob nichts geschehen wäre, seinen kleinen Geschäften nach: die Haselbüsche von falschen Zweigen reinigen, Schwämme suchen für den Winter, die er auf seinem halbzerfallenen Balkon trocknete, oder seinen verwilderten Garten jäten. Auch über die Berta wurde gelacht, und da sie zum Spott den Schaden trug, hätte man denken können, sie gräme sich. Die Marta, von der Sciora danach gefragt, sagte verwundert: «Die Berta? Oh, die lacht. Sie freut sich über ihr hübsches, kluges Kind. Alle Frauen beneiden sie ja um das süße Jesulein.»
Als der Gerichtsspruch bekannt gegeben wurde, interessierte man sich im Dorf schon für eine neue Geschichte. Kaum, dass man ihn sich anhörte. Da das Mädchen es mit zwei Männern gleichzeitig getrieben habe, lautete der Spruch, sei es kein anständiges Mädchen und seine Klage sei abzuweisen.
So behielt der Vater des Sindaco recht und Geld. Die Leute aber, die gehofft hatten, von ihm etwas für treue Dienste zu erhalten, haben sich geirrt. Niemand sah einen Rappen, nicht einmal ein Schöpplein Wein. Dadurch verlor der Alte seine letzten Freunde. Obschon er recht behielt, ist es doch eher die Berta, die gewonnen hat. Denn heute ist jeder im Dorf davon überzeugt, dass der Sindaco der Vater des Kindes ist. Schon um den Alten zu ärgern, diesen Geizhals.
Das Kind ist jetzt vier Jahre alt. Die Sciora traf kürzlich mit der Berta und dem kleinen Jungen zusammen. Sie sprach ein paar Worte mit dem Mädchen, das stolz ist auf seinen Sohn. Und während sie sprach, forschte sie in dem runden Kindergesicht. Es kam ihr sehr bekannt vor. Dieses braune, krause Haar, der Blick unter dem Hütchen hervor? Wem sah das Kind denn ähnlich, wem?
Von ihrem Spaziergang zurückgekehrt, trat sie in den Garten, wo Herr Martino, auf den Knien liegend, sich eben bemühte, mit einem langen Draht, sorgfältig und eifrig grübelnd, eine Ablaufrinne zu putzen. Die Sciora blieb vor ihm stehen. Er schaute auf, unter seinem Hut hervor …
Da kam der Sciora das Lachen an. Also darum hatte Herr Martino damals vor fünf Jahren die Reise unternommen … und war solange bei seinem Vetter in Paris geblieben, ohne je zu schreiben, so dass man zweifelte, ob er noch am Leben sei! … Darum! … Man musste oft lange warten, aber einmal würde man verstehen! Sie verbiss das Lachen, doch gelang es ihr nicht ganz. Herr Martino hatte es bemerkt. Er wunderte sich sehr: Was gibt es da zu lachen? Er wandte sich, immer noch kniend und den Draht in der erhobenen Hand, ein wenig geärgert nach der Marta um, die am Waschtrog stand und der Sciora nachschaute, wie sie ins Haus ging. Beide sahen sich an und schüttelten den Kopf. Sie hatten sich verstanden. Stadtleute sind alle ein wenig verdreht, auch ihre Sciora.
Ein schöner Tag sagte sich an. Die Sonne war noch nicht zu sehen, sie stand hinter den östlichen Bergen und färbte den Himmel darüber gelb und rot. Doch das Morgenlicht füllte schon das Tal, das schattenlos in tiefster Stille dalag, als ob es mit offenen Augen schlafe. Alle Vögel schwiegen. Es war jener verzauberte Moment, wo der Tag zwar Tag, aber auch noch Nacht ist und so den Vorgeschmack des Himmels gibt, der ja ewiger Tag und ewige Nacht zugleich sein soll.
Die alte Teresa war schon auf dem Wege zur Arbeit. Jetzt, wo es so viel zu mähen gab, wartete sie nicht die Frühglocken ab, um aufzustehen. Ihre Wiesen hingen steil unter der Straße gegen den wilden Bach herunter und gaben hartes Gras, das die Alte sorgfältig mit der Sichel, Fleckchen für Fleckchen, oft Büschel für Büschel, abmähte. In ihren vielen Röcken bewegte sie sich gegen die Halde zu und maß in Gedanken im Voraus die große Hitze, die der Tag bringen werde. Gutes Heuwetter! Alles andere interessierte sie nicht.
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