Aber nicht alle Kinder kommen im Herbst zur Welt. An einem dieser Weihnachtstage, während die Sciora ihren Kaffee trank, den die Marta nach alter Gewohnheit ihr am Morgen ans Bett brachte, begann diese ohne Umschweife: «Sciora, das Kind der Berta ist heute Nacht geboren worden. Der Doktor war dabei. Es ist ein Junge.»
Die Sciora war sich nicht sogleich im Klaren, wer die Berta sei. «Nun, die Berta vom oberen Haus, diese … nun eben … diese … Sie wissen schon, Sciora, die liederliche, die Berta, die mit den Männern am Abend spricht.»
Die Sciora meinte, die Berta werde wohl nicht nur mit den Männern gesprochen haben, aber sonst fand sie alles in Ordnung. Doch die Marta ließ nicht locker, die Sciora musste verstehen, was das heißt: Ein Mädchen bekommt ein Kind, dazu ein solches Mädchen. Das war durchaus nicht in Ordnung. Das musste jede rechte Frau aufregen. «Und das arme Kind, das keinen Vater hat», fuhr die Marta eifrig und in jammerndem Tone fort, «und die armen Eltern, die solche Schande an ihrer Tochter erfahren müssen!» Sie legte ihr Gesicht in Falten, richtete sich auf und meinte: «Nun, warum haben sie nicht besser auf die Tochter aufgepasst! Der Herr Pfarrer hat erst kürzlich allen zu Herzen geredet, sie sollen doch lieber heiraten, es freue weder Gott noch den Herrn Jesus, noch genau besehen, sonst jemanden, wenn immer wieder so viele uneheliche Kinder zur Welt kämen.» «Wie ist es eigentlich mit der Muttergottes gewesen?», fragte da die Sciora und schaute die Marta lächelnd an. Diese errötete ein wenig, lächelte wieder und sagte, wie sie es gelernt hatte: «Das ist ein Mysterium.» Nun schien es aber mit der liederlichen Berta auch ein Mysterium zu werden.
Als der Segretario, der das Neugeborene einzuschreiben hatte, ordnungsgemäß fragte, wer der Vater sei, ließ das Mädchen antworten, der Vater sei der verstorbene Sindaco. Der Segretario war bestürzt. Er beschloss, mit dem Einschreiben zu warten. Das Dorf war bestürzt. Niemand hatte das vorausgesehen. Da schien sich etwas Ungehöriges begeben zu wollen. Wie würde man die Wahrheit erfahren können? Den armen Sindaco konnte man nicht mehr fragen, ob das Mädchen lüge. Er schwieg. Umso lauter beschuldigte es die Familie des Verstorbenen, vor allem seine Brüder, das sei Verleumdung schlimmster Art. Niemals hätte ihr Bruder … niemals, und überhaupt, wie verworfen und zu allem fähig müsse man sein, um einem armen Toten einen solchen Tort anzutun, wo er sich doch nicht mehr verteidigen könne … doch sie, die Brüder und der Vater, sie würden die Ehre ihres lieben Verstorbenen schon zu schützen wissen, mit allen Mitteln und bis zum Schluss. Ob das Mädchen denn überhaupt irgendeinen Beweis für eine Behauptung aufbringen könne?
Das Mädchen lachte, es brauche da keinen Beweis, das Kind sei Beweis genug. Es sei vom Sindaco und sie verlange die üblichen Gelder. Sie habe den Arzt holen lassen müssen, das Kind wolle ernährt und erzogen sein, kurz, sie verlange Geld. Und dieses Geld habe der Vater und Erbe des Sindaco zu bezahlen.
Es entbrannte Streit, denn durch nichts wäre der Alte zu bewegen gewesen, freiwillig etwas von dem geerbten Geld herauszugeben. Und über dem Streit teilte sich das ganze Dorf in zwei Parteien. Die einen glaubten, es sei, wie das Mädchen behaupte, der Sindaco der Vater des Knaben, und wetterten gegen den Alten, der lieber sein einziges Großkind in Armut und Schande würde aufwachsen lassen, als mit einem Franken herauszurücken. Die nicht gegen den Alten waren, schimpften auf das Mädchen, dass es sich schlauerweise einen Toten, und dazu einen ledigen und so reichen als Vater des kleinen Kindes ausgesucht habe. Sie schlage nicht aus der Art. Schon ihre Großmutter, die Matratzenmacherin Julia, habe das Geschäft verstanden. Wisse man nicht etwa, wie sie zu ihrem Mann gekommen sei? So wurde der Geiz der einen Sippe gegen die Liederlichkeit der anderen Sippe abgewogen. Dieser Zank zog sich hin bis Ostern. Das Kindchen war jetzt schon ein hübsches, pausbackiges Wickelkind, und wenn sich die Mutter mit ihm im Dorf zeigte, oder sonntags in der Messe, drängten die Frauen hin, um es anzuschauen, denn sie dachten, es müsse sich doch auf seinem Gesichtchen verraten, wer der Vater sei. Viele fanden, es sehe wirklich ganz und gar den rothaarigen Burschen aus der Familie des Sindaco ähnlich, trotzdem es noch keine Haare habe. Es wurden allerdings auch andere Männer genannt, solche, von denen es bekannt war, dass sie abends gerne mit den Frauen und Mädchen scherzen, und manche Ehefrau tat schnell einen Blick unter das weiße Häubchen in der Angst, die Züge ihrer eigenen Kinder dort wiederzufinden. So wurde durch diese Unordnung das ganze Dorf von Misstrauen erfasst.
Da brachten die Eltern der Berta, im Geheimen von irgendeinem der vielen Anwälte beraten, die ihren Verdienst aus der Händelsucht der kleinen Leute ziehen, die Sache vor Gericht. Jetzt wurde sie ernst. Jeder im Dorf begriff es: Jetzt konnte es geschehen, dass die Berta Recht – und Geld – bekäme. Und jetzt, jetzt erst fand das Mädchen gute Zeugen, die bereit waren, auszusagen, ja, der arme Sindaco sei etwa abends mit ihr zu sehen gewesen, am Waldrand, wo die Wiesen des Sindaco münden und das Gras früh schon so hoch stehe, nirgends so hoch. Und welch guter Mäder der Sindaco gewesen sei, keiner wie er. Schade, dass er sein Gras nicht mehr mähen könne. Oder am Brunnen, wo man eigentlich am Abend nichts mehr zu suchen hat, auch etwa beim verfallenen Ställchen, in welches die Berta nachts ihre Hühner einschließt, damit der Fuchs sie nicht hole. Ja, man habe sie zusammen gesehen. Warum auch nicht? Ein flotter Mann, ein hübsches Mädchen … eben …
Nun musste der Vater des Sindaco schauen, wie er sich aus der Schlinge rette, die drohte, sich um ihn zusammenzuziehen. Er tat es auf die einfachste Art, indem er auf die Suche ging nach Männern, die um die bestimmte Zeit die Berta näher betrachtet hatten. Und er fand viele. Denn die meisten Leute werden sich gesagt haben, bis jetzt habe noch immer derjenige recht bekommen, der das Geld hat, und darum sei es klüger, dem Alten zu helfen gegen die Berta, es schaue für sie sicherer etwas dabei heraus.
An einem regnerischen Spätsommertag sah die Sciora von ihrem Balkon aus ein Auto auf der Piazza ankommen und dort halten. Sie kannte es nicht. Ihm entstiegen Herren, darunter der Richter aus dem nahen Städtchen, ihr Sommernachbar. Die Herren begaben sich in das Gemeindehaus, ohne sich umzuschauen. Etwas später, es regnete nun stark, sah sie einen langen Zug dunkler Männer unter Regenschirmen gebückt die Straße heraufkommen und auch im Gemeindehaus verschwinden. Bald kamen von der anderen Seite schwarz gekleidete Frauen rasch und scheu über den Platz und huschten die Kirchentreppe herunter in die Kirche.
Das alles kam der Sciora ungewöhnlich vor. Sie rief nach der Marta, ob sie wisse, was das zu bedeuten habe.
Nun eben, es sei heute der Tag wegen der Berta. «Immer noch diese Berta, das Kind kann doch schon bald sprechen und selbst den Namen …» «Oh, Sciora», ruft die Marta dazwischen, «es ist nicht zum Scherzen.» Und mit tiefbekümmertem Gesicht: «Heute sind alle die Zeugen geladen, die sagen, sie hätten es auch mit der Berta gehalten. Es sind vierzehn Männer … einer ist sogar aus dem Nebental, drei Stunden weit zu Fuß, mit der Post drei Franken fünfzig … Sie können sich denken, welche Schande das ist für alle diese Ehefrauen! Sie weinen zu Hause oder sind zur Kirche gegangen, um sich im Gebet zu stärken. Das ist kein Spaß! Die Filomena sagt, sie wolle nicht mehr leben, nachdem sie dieses habe durchmachen müssen.» … Nachdenklicher fügte die Marta bei: «Wer hätte gedacht, dass diese Berta ein solches Luder ist? Und wann, Sciora, aber wann denn auch sind alle die Männer zu ihr gegangen? Man sieht doch jeden Menschen, der droben ein und aus geht. Halt wohl in der Nacht. Oh, diese Schlechtigkeit. Und so sind eben die Männer, wie die Hunde. Meilenweit kommen sie gelaufen, wenn sie von einem Mädchen wissen, es sage nicht nein. Genau wie die Hunde.»
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