Zitternd klettert Res Sprosse um Sprosse hinunter. Als er unten ankommt, ist er dankbar und wütend zugleich. Er hat noch nicht einmal feststellen können, wo das Dach beschädigt ist. Und wenn er sich in diesem Wyssler getäuscht hat? Er hat ihm Geld gegeben. Und nun seit damals keine Nachricht.
Die Schwestern Schlatter erschienen auf Citation im Untersuchungsrichteramt. Sie deponierten auf Befragen, was sie zum Schafberg wussten. Von Untersuchungsrichter Ingold zu Wyssler einvernommen, sagte Schlatter Maria, was ihr an diesem nicht gefiel: Man habe den Wyssler früher nämlich nicht gekannt. Im Frühling sei derselbe, welcher der Schwiegersohn einer Schwester ihres Vaters sei, erstmals zu ihnen gekommen und wollte zum Bruder auf den Schafberg. Beim Zurückgehen habe er gesagt, es gefalle ihm auf dem Schafberg sehr – zumal seien dort auch viele Sachen, habe er gemeint. Kurz, er habe nicht genug zu rühmen gehabt. Es sei ihr aufgefallen, dass Wyssler viel von Schlatters Sachen sprach.
Schlatter Maria betrachtete die Sache von Anfang an mit Argwohn: Dem Res sei nicht zu trauen und von dem Wyssler wisse man zu wenig. Als Schlatter später kam, er habe Akkord geschlossen und Wyssler Geld gegeben für den Kauf von Geissen, sei nicht nur sie überaus verwundert gewesen. Was brachte er just Wyssler, einem Hungerleider, so viel Vertrauen entgegen?
Einige Zeit später, an einem Morgen im späten März, kommt die Schlatter Anna auf den Schafberg. Als Res die Schwester über die Wiese auf das Haus zukommen sieht, rechnet er fest damit, endlich Nachricht von Wyssler zu erhalten. Die Übersiedelung, geplant auf Anfang April, ist fällig, und noch immer ist ihm kein Datum genannt worden. Aber die Anna kommt nur, um nach ihrem Pflanzland zu sehen. Als sie verneint, Nachricht von Wyssler zu haben, schwellen die Adern an Res’ Schläfe zornig an, sein Kopf verfärbt sich rot. Die Anna kennt das und macht sich schnell davon.
Res bebt, als er ihre Gestalt davoneilen sieht. Er hat diesem dahergelaufenen Wyssler, dem doch von Weitem der Hungerleider und Vagant anzusehen ist, vertraut. Hat ihm blindgläubig alles überlassen, was er diesen Winter mit Holzen verdient hat. Was nützt da ein Akkord, den er auf Wysslers Hausrat abgeschlossen hat, wenn dieser sich nicht zeigt? Was nützt ihm ein Bürge im fernen Ursenbach?
Ein fauler Baum kann unmöglich gute Früchte tragen. Mit mehr Kraft, als es die steifen Glieder vermuten lassen, tritt Schlatter nach einem Brett. Ein Huhn, das dahintersass, fliegt erschrocken auf. Das Geld wird er nicht wieder sehen, den Wyssler auch nicht.
Die Anna ist längst zurück im Tal, als Res, noch immer zitternd vor Zorn, in den zugigen Keller geht. Er hebt ein paar Kartoffeln auf und dreht sie nach allen Seiten um. An ein Aussetzen ist vorläufig nicht zu denken, die Erde ist viel zu nass dazu. Und nun drohen die Kartoffeln ein zweites Mal zu keimen, Res flucht vor sich hin. Kaum ein paar Wochen ist es her, dass er Stunden damit zugebracht hat, die Keime abzubrechen.
Auch für das Kartoffelsetzen hat Res auf Wysslers Hilfe gehofft. Den Mist hat er bereits alleine ausgetan, eine elende Arbeit ohne Ross. Ein solches besitzt er nicht, und sowieso liegt der Acker heuer an einer steilen Stelle.
Res’ Zorn ist so gross, dass er Mühe hat zu atmen. Seine Wut gilt dem Wyssler, von dem er sich Hilfe versprach. Ein jeder Baum an seiner Frucht erkannt, laut verflucht Res den Wyssler mit harten Worten.
Es wird Abend, bis Res sich beruhigt. Er setzt sich an den Tisch und hält Gott um Gnade an. Man soll sich dem Herrn treu überlassen. Meine Schwäche hält die Sache nicht auf. Endlich findet Res zu trostreichen Gedanken und zur Ruhe, nach der er sich sehnt. Schliesslich dankt er dem gütigen Gott, dass er ihn bis dahin an Seele und Leib bewahrt hat, und bittet um Erkenntnis und Reue über die begangenen Sünden. Manchmal lässt er sich ablenken in seinen Gedanken an Gott. Wenn ihn die Wut packt, ist es am schlimmsten. Res betet mehrmals am Tag, nur nicht immer innig genug, wie heute Nachmittag, als er zornig war. Es kann ihm auch passieren, dass er während des Gebets an seiner Wirtschaft herumstudiert oder am Geld. Und manchmal überfällt ihn die Masslosigkeit. Er hätte Anken verkaufen können, statt ihn selbst zu brauchen. Sei mir um Jesu Willen gnädig und verzeihe.
Schliesslich denkt Res, dass er, wenn Gott das so will, den Wyssler doch noch dem Herrn zuführen kann. Res weiss, dass es immer Gnade braucht, damit ein Sünder Einkehr hält. Wenn nur der Wyssler endlich käme, er hat das Logis doch so dringend gewollt? Warum bloss erhält er seit Wochen keinen Bescheid? Res glaubt wieder daran, bei Wyssler gute Anlagen erkannt zu haben. Ganz bestimmt spürt Wyssler die Sehnsucht nach Erlösung, die jeder Mensch in sich trägt, der auf sein Herz hört.
Behüte mich diese bevorstehende Nacht vor allem Übel. Amen. Res steht auf, um Stall und Tenn zu verschliessen.
Die Abreise Wysslers verzögert sich um etliches. Zuerst sind dringende Schulden zu begleichen, sodass das von Schlatter vorgeschossene Geld bald nicht einmal mehr für den Umzug reicht. Jakob muss neues Geld auftreiben. Mehr als einmal kommt Notiz von Schlatter, es solle Bescheid gegeben werden, wann man übersiedle. Jakob antwortet nicht. Den ganzen Frühling über bangt er, ob der Umzug gelingt.
Als er gegen Ende Mai das Geld für die Reise beisammenhat, ist an eine Geiss nicht mehr zu denken. Es ist ein armseliges Zeug, was er auf dem Fuhrwerk zusammenzurrt, damit möchte keine Braut durchs Dorf fahren. Und trotzdem sieht Jakob nicht unzufrieden auf seine Ware, die doch immerhin ein Hausrat ist. Ein Tisch, das Bett, die Wäschetruhe, Körbe und Säcke ragen hoch über den Wagen hinaus. Verena und Jakob Wyssler und auch die zehnjährige Annelies laufen neben dem Fuhrwerk her. Die beiden Jüngsten sitzen hinten auf dem Karren und halten sich fest. Die Wege sind schlecht.
Es ist der 24. Mai, der Donnerstag vor Pfingsten. Sie übersiedeln viel später als erhofft.
Verena hat ihren Vetter Res zum letzten Mal gesehen, als sie ein Kind war, und sie hat ihn nicht gemocht. Dann aber ist Wyssler mit seinen Berichten gekommen, und er hat nur Gutes erzählt. Egal, was die Leute sagten, er könne nichts Ungerades finden am Schlatter. Ihr Mann ist ein Fantast und viel zu arglos, aber froh ist Verena doch, das elende Leben in Ursenbach hinter sich zu lassen. Sie freut sich auf eine eigene Stube und dass sie sogar einen Obergaden haben werden.
Inzwischen ist der Sommer im Anzug. Viel zu lange hat Schnee gelegen. Man begann, sich vor Überschwemmungen zu fürchten und auch, dass die Saat Schaden nehme. Jetzt aber steht alles prächtig, und die Bäume sind in voller Blüte. Das Maiwetter ist sonnig und warm.
Die Gegend um den Schafberg wirkt freundlich in der Frühlingssonne, wie die Verheissung von einem friedvollen Leben. Rund um die verstreut liegenden Höfe blühen unzählige Apfelbäume. Jakob sagt, sie werden fünf Obstbäume nutzen können und Pflanzland sowieso. Sogar die Jüngste, die immer wieder weint wegen des groben Gerüttels auf dem Wagen, spürt die Vorfreude, als das Fuhrwerk beim Altschloss die Höhe erreicht und in Richtung Schafberg wendet.
Nur eines bleibt, der Wyssler muss Arbeit finden, denkt Verena. Am Willen fehlt es ihm nicht, und auch als Schuster taugt er durchaus. Er ist nicht faul, nur verschafft sich Jakob keine Geltung. Ein anderer hätte längst etwas gefunden, auch wenn es viele sind, die Arbeit suchen. Es mangelt ihm an Entschlossenheit, und mehr als einer hat für erhaltenes Schuhwerk nie bezahlt. Aber wenn Verena sieht, wie gut der Jakob die Annelies mag, die doch nur seine Stieftochter ist, ist sie versöhnt. Es gibt nicht viele, die ein fremdes Kind bei sich behalten würden. Selbst wenn sie kaum über die Runden kommen und öfter hungrig bleiben, noch nie ist ihr Jakob damit gekommen, die Annelies zu verdingen.
Читать дальше