Es sei ja wohl klar, dass ich nichts mit dem Anschlag zu tun hätte. Aus reiner Nächstenliebe der jungen Frau gegenüber sei ich hier, um ihr zu helfen. Es sei doch unglaublich, wie arrogant und falsch gerade die Ashramangestellten sich oft verhalten würden. Würde er mich aus dem Ashram werfen, weil ich jemandem helfe und dessen Wünsche respektiere, so würde ich sehr gerne gehen. Es gäbe noch viele Ashrams, die Nächstenliebe und Verständnis hoffentlich ehrlicher praktizieren als dieser. Nach dieser Ansprache herrschte betroffene Stille. Der Mann entschuldigte sich und ließ mich weiter übersetzen. Die Frau kam ins Gefängnis. Ich gab ihr etwas Geld, besorgte ihr einen Anwalt aus der nächsten Stadt und besuchte sie noch, bis sie abgeschoben wurde.
Ich erlebte viele schöne Momente in diesem Ashram, war aber auch sehr enttäuscht über das Verhalten vieler Menschen dort und sehr froh, als eine Argentinierin und ihre Familie mich fragten, ob ich mit ihnen den Ashram von Sri Aurobindo besuchen wolle.
Peter, ein Cousin meiner Mutter, wohnt in Pondicherry im Ashram von Aurobindo. Auch hatte ich viel über Aurobindo gelesen und wollte mehr über diesen Ort erfahren. Vielleicht, so dachte ich, ist ja dessen Ashram ein wirklich heiliger Ort.
Ich mietete mir dort eine Wohnung und meditierte viel jeden Tag. Täglich besuchte ich das Mandir oder Mausoleum, in dem Sri Aurobindo und die Mutter beerdigt sind. Während einer meiner Meditationen hörte ich eine Stimme, die mir sagte, ich solle meine Augen öffnen. Vor mir standen zwei Geister! Sri Aurobindo und die Mutter sahen auf mich herunter. Ich drehte meinen Kopf, ob andere Leute diese Erscheinung ebenfalls sahen. Aber niemand machte einen erstaunten Eindruck oder sah zu den zwei Geistwesen. Langsam bat mich eine Stimme in meinem Kopf, Papier und Stift aus meiner Tasche zu nehmen. Eine für mich sehr wichtige Nachricht wurde diktiert. Später erzählte mir Peter, dass die zwei sich manchmal zeigten, um an bestimmte Menschen Nachrichten weiterzugeben.
Während eines Gespräches mit Peter und seiner damaligen Frau unterhielten wir uns auch über den Ashram. Vielleicht, so dachte ich mir, wäre dies ein Ort für mich. Sobald wir aber über Sexualität und die Einstellung im Ashram dazu sprachen, wurde mir klar, dass auch dieser Ort nicht wirklich frei war. Also packte ich eines Tages meinen Rucksack und reiste weiter. Mein Ziel war ein Ashram der Hare Krishna. Auf dem Weg dorthin traf ich eine Hare-Krishna-Gruppe und erkannte, noch bevor ich den Ashram erreichte, dass auch das nur in einer weiteren Enttäuschung enden würde.
Da befand ich mich ganz allein im großen Indien auf der Suche nach einem perfekten spirituellen Leben an einem perfekten Ort und erlebte einen Tiefschlag nach dem anderen. Konnte es so schwierig sein, gute und wirklich ehrliche Menschen zu treffen? Menschen, die an einem vernünftigen Ort mit vernünftigen Regeln lebten? Oder hatte ich den Ort bis dahin einfach noch nicht gefunden?
Ich reiste weiter nach Varanasi. Mein Ziel war die Quelle des Ganges. Auch wollte ich den Ort besuchen, an dem Buddha erleuchtet wurde. Vielleicht, so dachte ich mir, finde ich unter Buddhisten den wahren Ort. In Varanasi angekommen, besuchte ich das Gangesufer, um eine der berühmten Totenverbrennungen zu erleben. Ich war fasziniert von dieser pulsierenden Stadt. In meinem Hotel lernte ich einen jungen Engländer kennen. Dieser erzählte mir von Dharamsala und McLeod Ganj. Er verbrachte dort einige Wochen, besuchte Meditationskurse und lernte mit den Mönchen. Der Dalai Lama wohnt dort und mit viel Glück kann man ihm sogar die Hand schütteln.
Ohne lange darüber nachzudenken, änderte ich meine Reisepläne. Ich wollte den Ort kennenlernen, an dem der Dalai Lama lebt. Vielleicht würde ich dort eine Stätte der Harmonie vorfinden.
Ich mietete mir etwas außerhalb von Dharamsala ein Zimmer. Menschen aus der ganzen Welt fanden hier zusammen und wollten erleuchtet werden. Sooft ich konnte, besuchte ich das Hauptkloster, um zu meditieren. Eines Tages, als ich gerade meditierte, kam ein Mönch auf mich zu und gab mir durch Zeichensprache zu verstehen, dass ich ihm folgen solle. Noch bevor ich überhaupt wusste, was passierte, musste ich mich gegen eine Vergewaltigung wehren. Nur mit Mühe konnte ich den Mönch von mir stoßen und rannte davon. Ich wollte eine Anzeige machen, musste aber von meinem Vorhaben ablassen. Der zuständige Beamte gab mir zu verstehen, dass eine Identifikation des Täters unmöglich sei. Klein und glatzköpfig waren sie alle. Überflüssig zu erwähnen, dass auch diese Erfahrung mir zeigte, wie normal menschlich es hier zuging.
Ich fing an zu zweifeln, dass es überhaupt einen perfekten Ort mit wirklich guten Menschen geben könnte. Auf jeden Fall gab ich nach dieser Erfahrung mein Vorhaben auf, menschliche Perfektion in einer Religion oder spirituellen Gruppe zu finden.
Daher brach ich mein sieben Monate anhaltendes Leben im Zölibat ab und fing wieder an, auch Fleisch zu essen. Keine Menschengruppe, die ich in irgendeinem Ashram oder Kloster fand, machte auf mich einen wirklich gesunden und ehrlichen Eindruck. Im Gegenteil, die meisten waren genauso falsch und verlogen wie ein Politiker vor den Wahlen. Missbrauch, Vetternwirtschaft und Korruption waren genauso vorhanden wie in einer kommunistischen Diktatur.
In meiner noch verbleibenden Zeit in Indien lebte ich mit einem zusammengewürfelten Haufen interessanter Menschen. Wir reisten zusammen, mieteten Häuser oder besuchten spannende und schöne Orte. Wir malten, meditierten und kochten zusammen. Kein Guru und keine Regeln, die uns kontrollieren wollten.
In einer telepathischen Durchsage Sai Babas wurde mir vorgeschlagen, doch wieder in die westliche Gesellschaft einzutauchen. Damals hatte ich meine Medialität bereits stark entwickelt. Ich las die Auren vieler Leute und verdiente mir so das Geld für meine Ausgaben. In Channelings gab ich Nachrichten für Menschen weiter oder machte Jenseitskontakte. In der Durchsage gab man mir zu verstehen, dass ich Menschen vor Ort viel besser helfen könne als hinter Kloster- oder Ashrammauern.
Meine Enttäuschungen machten mich zu guter Letzt stark. Sie zeigten mir das wahre Gesicht des Menschen. Egal wo und wie er lebt, er bleibt sich selber treu. Mit all seinen Vor- und Nachteilen.
Meine Geistführer haben etwas gemeinsam, sie sind Einzelgänger. Jeder lebt seine Wirklichkeit und gibt mir sein Wissen weiter. Das spiegelt sich in meiner Lebensweise wider. Ich arbeite am liebsten und besten allein. Mich einer Gruppe anzuschließen, war nach meinen Erfahrungen in Indien nie wieder ein Thema.
Religiöse und spirituelle Gruppierungen sind zu vergleichen mit einer Universität. Es ist wichtig, die Grundkenntnisse zum Leben über universelle und menschliche Gesetze zu lernen. Es ist aber nicht gut, das ganze Leben Student zu bleiben. Jeder sollte früher oder später den Universitätsabschluss erreichen und sich selbstständig machen.
Kabul
Ich brauchte mehrere Tage, um mich an die Stimmung in Kabul zu gewöhnen. Das Hotel zu Fuß zu verlassen, wurde aus Angst vor Entführungen nicht empfohlen. Für Ausländer gab es spezielle Taxis. Diese waren sehr viel teurer, dafür aber auch sicherer, und die Chance, dass man am Zielort ankam, war um einiges höher als mit einem normalen Taxi.
Der Krieg war allgegenwärtig. Obwohl ich in den drei Wochen in Kabul keinen einzigen Schuss hörte, konnte man die politische Situation nicht einfach vergessen. Im Hotel trafen wir Ausländer uns und therapierten uns gegenseitig, um das Erlebte zu verarbeiten. Ich organisierte so viele Besprechungen wie möglich, um mich abzulenken. Einfach so die Stadt genießen und flanieren war nicht möglich. Dass Kabul ausgezeichnet geeignet ist, um einzukaufen, erfuhr ich erst in der letzten Woche meines Afghanistanbesuches.
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