Für die ersten Nächte hatte ich mir in einem Hotel im Zentrum von Kabul ein Zimmer reserviert. Das Gästehaus meiner Kundin war in einem Außenquartier der Stadt und ich wollte die Möglichkeit haben, die Stadt aus verschiedenen Perspektiven kennenzulernen. Außerdem versprach ich mir im Hotel die Bekanntschaft anderer Ausländer, die mir bei meinen Recherchen sicher behilflich sein konnten.
Ich sehe einen Teil meiner Aufgabe darin, immer wieder geistige Grenzen zu sprengen. Durch meine vielen Reisen treffe ich Leute aus unterschiedlichen Kulturen, mit unterschiedlichen Religionen und gänzlich gegensätzlichen Denkmustern. Einer meiner Geistführer ist von Sirius und heißt »The Embassador«, der Botschafter. Für mich ist er einer der Botschafter zur geistigen Welt. Gleichzeitig regt er mich dazu an, als Botschafter zwischen Kulturen und spirituellen Ideen zu agieren.
Mein Fahrer sprach etwas englisch und beantwortete mir in gebrochenen Sätzen, so gut er konnte, meine Fragen zu Land, Kultur und Kabul. Ich war fasziniert! Über der Stadt lag eine Aura, die so angespannt war wie die Seite einer Gitarre. Man sah überall Menschen, die ihren Alltag lebten und man hatte fast das Gefühl, an einem »normalen« Ort zu sein. Dass dem nicht so war, zeigten die an jeder Straßenecke oder Kreuzung stehenden Soldaten. Kabul, so war mir schnell klar, ist eine Festung.
Ich war beruhigt, als mein Fahrer mir zu verstehen gab, dass wir beim Hotel angekommen seien. Erstaunt sah ich mich um, ich entdeckte kein Schild oder Schriftzug am Gebäude, das mein Hotel sein sollte. Später wurde mir erklärt, dass Hotels, in denen ausschließlich Ausländer absteigen, aus Sicherheitsgründen keine Schilder oder Schriftzüge mit dem Hotelnamen tragen.
Am Eingang war ein Schlagbaum, drei schwer bewaffnete Wachen standen daneben. Wir mussten uns identifizieren und wurden durch die Eingangsschleuse gebracht. Ein Tor öffnete sich vor uns, wir fuhren hinein und mussten warten. Das Tor schloss sich und erst als dieses ganz zu war, öffnete sich das zweite Tor. Weitere, schwer bewaffnete Wachen grüßten uns. Welcome to Kabul!
Ich checkte ein und ging in mein Zimmer. Langsam setzte ich mich auf mein Bett. Erst jetzt merkte ich, wie nervös ich war. Ich wollte mich entspannen und schloss meine Augen. Tief ein- und ausatmend beruhigte ich mich und fing an zu meditieren. Das Rattern eines Helikopters durchbrach die Stille meiner Meditation. Ich öffnete die Augen und sah aus dem Fenster. Tief über den Dächern flog ein Militärhelikopter seine Kreise. Der Krieg, so lernte ich in den nächsten drei Wochen immer wieder, lässt einen nie in Ruhe. Ich rief zwei meiner Kontaktpersonen an, um mitzuteilen, dass ich gut angekommen sei. Am Nachmittag setzte ich mich in den Hotelgarten und überlegte mir einen Vorgehensplan für die kommenden Tage.
* Martin Zoller: Hellsichtig . GigerVerlag, 2010
Enttäuscht!
Soweit ich mich erinnern kann, war ich immer an Geschichte, Kulturen und religiösen oder spirituellen Ideen interessiert. Als kleiner Junge faszinierte mich die griechische und römische Götterwelt. In meiner Fantasie reiste ich zum Olymp, um Zeus und dessen Gefolge zu besuchen. Ich liebte es, durch alte Klöster und Schlösser zu streichen und stellte mir vor, wie damals gelebt und gewaltet wurde.
Kurz nach meiner Pubertät fing ich an, mich bewusst für Spiritualität zu interessieren. Ich las Bücher über verschiedenste Philosophien, Religionen und Lebenseinstellungen. Ich spürte in mir sehr stark den Drang, mehr über diese für mich so faszinierenden Themen lernen zu wollen.
Kurz nach meinem zwanzigsten Lebensjahr folgte ich dem Ruf meines Schutzengels nach Indien, um mehr über Meditation und Medialität zu lernen. Für mich war damals klar, dass ich den Rest meines Lebens in einem Ashram oder einer spirituellen Kommune verbringen wollte. Als ich meinen Rucksack packte, um nach Indien zu reisen, zogen unendliche Filme über das, was mich wohl erwarten würde, durch meinen Kopf. Ich war sehr gespannt!
Wie schön muss es sein, so dachte ich, von spirituellen Menschen umgeben zu sein, die nur das Beste füreinander wollen. Kein Streit, keine Auseinandersetzung oder andere, den menschlichen Makel widerspiegelnde Ausdrucksformen.
Mein erster Bestimmungsort war der Ashram von Sai Baba. Ich wählte diesen Ort, weil ich Visionen über Sai Baba hatte. Im Ashram angekommen, hatte ich gleich das Gefühl, endlich den Ort gefunden zu haben, an dem ich den Rest meines Lebens verbringen wollte. Ich traf Menschen aus der ganzen Welt, konnte mich in verschiedensten Sprachen ausdrücken und lernte viel über Meditation und Medialität. Alles schien perfekt. Es dauerte aber nicht lange und meine Illusion, den heilen Ort gefunden zu haben, bröckelte ab wie die Farbe an den Wänden eines vor sich hin modernden Hauses. Es fing damit an, dass die Helfer im Ashram, auch Ashram-Gestapo genannt, mir immer wieder verbieten wollten, mit Mädchen im Ashram zu sprechen. Das, so wurde uns erzählt, sei zu unserem Wohle, da wir uns vom anderen Geschlecht nur ablenken ließen.
Mein Einwand, dass wir doch von Gott geschaffen wurden, um miteinander umzugehen und voneinander zu lernen, wurde forsch abgewiesen. Wie so oft bei religiösen Fanatikern oder Machtmenschen, wurde keine logische Erklärung für deren Handeln gegeben. Es war einfach so und damit musste man sich abfinden.
Um mich vom Ego Einzelner nicht beeinflussen zu lassen, konzentrierte ich mich auf die Lehren Sai Babas. Ohne Zweifel sind diese eine sehr gute Brücke, um das Ufer der Selbsterfahrung zu erreichen.
Dort lernte ich den Führer einer südamerikanischen Sai Baba-Gruppe kennen. Sein Wissen und sein Charisma faszinierten mich sofort. Eines Tages erzählte er mir, wie in seinem Land die einzelnen Führer der Sai Baba-Meditationszentren junge Anhängerinnen zum Sex austauschten. Diese seien, wie er mir erzählte, einfach zu begeistern und immer sehr willig. Ganze Farbstreifen rissen von meiner Wand herunter …
Ich lernte auch eine junge deutsche Frau kennen. Obwohl es ja nicht wirklich erlaubt war, sprachen wir miteinander. Wir waren beide dem Ashram gegenüber sehr kritisch eingestellt und daher froh, mit jemandem darüber reden zu können.
Nie zweifelte ich an Sai Baba selber und seinen Lehren. Diese waren und sind für mich sehr wertvolle Schriften. Dennoch war meine Enttäuschung damals sehr groß. Im Ashram roch es nicht nur menschlich, es moderte und stank bis in die höchsten Gefilde.
Schon sehr bald merkte ich, dass mit der jungen Frau etwas nicht in Ordnung war. Ihre Pupillen flatterten stark und ihre Bewegungen waren nervös. Auch erzählte sie mir von einer Stimme in ihrem Kopf, die ihr immer wieder sagte, dass Sai Baba der Teufel sei. Sie gestand mir, dass sie ihren Pass und sämtliches Geld verbrannt hatte. Gott, so war sie überzeugt, kümmert sich jetzt um sie.
Eines Tages, ich meditierte bei Sai Babas täglichem Vortrag, spürte ich plötzlich den Drang, meine Augen zu öffnen. Ich sah mich um und konnte gerade noch erkennen, wie meine deutsche Bekannte von Sai Babas Leibwächter davongetragen wurde. Verwirrt sah ich mich um und fragte den Mann neben mir, was passiert sei. Es herrschte eine große Unruhe auf der Frauenseite, Köpfe bewegten sich hin und her wie die Blätter an einem Baum.
Diese Verrückte, so stotterte mein Sitznachbar nervös, habe eben versucht, Sai Baba anzugreifen. Die anwesenden Leibwächter erkannten die Gefahr und schnappten sich die Attentäterin, noch bevor sie wirklich gefährlich werden konnte. Ich wollte sehen, ob ich der Frau helfen könnte. Ich kannte ihre Situation und konnte mir vorstellen, dass sie Unterstützung gebrauchen könnte.
Außerhalb des Tempels fand ich eine Traube von Menschen. In deren Zentrum einen Tisch und am Tisch die Frau, zwei Polizisten und einige Personen, die im Ashram arbeiteten. Mich durch die Menschenmenge kämpfend, näherte ich mich dem Grüppchen und setzte mich neben die Frau. Sie sah mich erschrocken an und flüsterte mir auf Deutsch ins Ohr, dass ich nichts über sie sagen dürfte. Ich verhandelte mit der Polizei und den Angestellten des Ashrams. Natürlich gab ich keine Informationen über die arme Person preis. Plötzlich drohte mir einer der Ashramleute, dass ich aus dem Ashram geschmissen würde, sollte ich nicht kooperieren. Ich wurde wütend, sogar sehr.
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