Zu Hause angekommen, fragte ich meine Mutter: »Hast du kurz Zeit für mich? Sandra meint, ich spinne.« Meine Mutter lachte: »Da hat sie recht, du spinnst schon manchmal.«
»Mama, ernsthaft, hör mir zu. Sandra findet es eigenartig, dass ich Freunde in der geistigen Welt habe und Dinge sehe und weiß, die ich scheinbar nicht sehen und vor allem nicht wissen sollte.«
»Siehst du sie immer noch? Du hast nie mehr etwas darüber erzählt.«
»Ja, ich sehe es immer noch und ihr doch auch, oder?«
»Nein, so wie du es siehst, ist es nicht mehr normal. Machst du wirklich keinen Scherz?«
»Nein, Mama, du weißt doch, dass ich schon immer Freunde in der geistigen Welt hatte!«
»Ja, aber ich dachte immer, das sind kindliche Phantasien, die mit der Zeit aufhören.«
»Nein, es ist keine Phantasie, es macht mir langsam Angst, vielleicht spinne ich wirklich und es stimmt etwas mit meinem Gehirn nicht.«
»Das glaube ich nicht, schau, Pascal, deine Oma hat Ähnliches erzählt und scheinbar Verstorbene gesehen, auch ein Onkel von dir. Ich kenne diese Geschichten, aber bei dir ist es anders, falls du wirklich die Wahrheit erzählst.«
»Ja, ich erzähle die Wahrheit.« Meine Mutter bat mich dann, ihr etwas Zeit zu lassen und dass wir später noch einmal darüber reden würden. An diesem Tag veränderte sich für mich alles, ich fühlte mich plötzlich so anders, eigenartig und war überzeugt, dass irgendetwas nicht mit mir stimmt. Ich muss an dieser Stelle sagen, dass meine Mutter sich bereits sehr früh mit »Esoterik« auseinandergesetzt hat, obwohl sie Religionslehrerin war und dadurch natürlich sehr christlich geprägt. Ein paar Stunden später kam meine Mutter und sagte, ich solle mich setzen: »Kannst du dich noch an deinen Unfall mit zehn Jahren erinnern?«
»Ja klar, du meinst, als ich unter den Traktorwagen kam, viele Brüche hatte und auch das Nahtoderlebnis bei meiner Notoperation?«
»Ja genau, weißt du, Pascal, ich denke, da ist zusätzlich noch etwas passiert, was dich verändert hat. Du hattest schon als kleines Kind deine unsichtbaren Freunde, das war so. Aber nach der Operation hast du mir, als du aufgewacht bist, erzählt, dass du die gesamte Operation von außen gesehen hast. Du hast mitbekommen, dass es Probleme gab, und hast Engel wahrgenommen, die dich wieder in deinen Körper zurückbrachten. Weißt du das noch?«
»Ja, so halb, aber die Erinnerungen sind sehr verschwommen.«
»Ich denke wirklich, dass du damals die Wahrheit gesagt hast, weil die Ärzte mir hinterher sagten, dass es Probleme gab. Außerdem habe ich nie von Engeln erzählt, auch konnte ich damals mit Engeln und Gott nichts anfangen. Das war nicht meine Welt. Im Krankenhaus, nach der Operation, besuchte dich damals der Pfarrer, und da ich kein Auto hatte, hat er mich vom Krankenhaus nach Hause gefahren. Auf dem Weg fragte er mich, ob ich nicht Religionslehrerin werden möchte. Anfangs dachte ich, er will mich veräppeln, weil ich nicht viel mit Religion anfangen konnte. Doch deinen Bericht, dass du alles gesehen hast, und deine Aussage über die Engel sah ich als Zeichen, daher bin ich Religionslehrerin geworden. Dein Erlebnis gab mir den Glauben, dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde und dass Engel existieren.«
»Das wusste ich nicht, für mich warst du schon immer Religionslehrerin.«
»Nein. Aber kannst du dich noch erinnern, wie du nach dem Unfall monatelang Schmerzen hattest, jeden Tag sehr starke Schmerzmittel nehmen musstest, manchmal sogar Morphium-Spritzen und wie kein Arzt dir helfen konnte?«
»Ja, daran erinnere ich mich noch sehr gut, das werde ich wohl nie vergessen. Ich weiß noch, wie wir Monate später die Haushälterin des Pfarrers kennengelernt haben, die Heilerin war und mich fragte, ob ich Schmerzen habe und ob sie mir mal die Hände auflegen darf. Danach waren die Schmerzen weg, weißt du noch?«
»Ja, Pascal, so war es. Ehrlich gesagt war ich damals sehr kritisch und dachte, als sie mich fragte, dass man nichts mehr kaputt machen kann, und hoffte einfach, dass es hilft. Dich täglich leiden zu sehen, dass du deinen geliebten Kampfsport nicht mehr machen konntest, weil dein Rücken dir so starke Schmerzen verursachte, das war für mich als Mutter die absolute Hölle. Obschon ich dankbar war, dass du noch lebtest. Doch nach der Behandlung war alles in Ordnung, auch deine Beine, die nach dem Unfall unterschiedlich lang waren, wuchsen sich raus. Du musstest in der Zeit immer Spezialschuhe tragen, um diese Differenz auszugleichen. Eine Schuhsohle war 1,5 Zentimeter dicker als die andere. Für mich war die Heilbehandlung der Haushälterin ein Wunder und es weckte mein Interesse. Du durftest jeden Mittwochnachmittag zu dieser Frau gehen, sie hat dir Pendeln gezeigt und wie man Hände auflegt. Du durftest viele spirituelle Bücher von ihr ausleihen. Weißt du das nicht mehr?«
»Doch natürlich, für mich war das einfach spielen. Erst jetzt, wo du es mir erzählst, wird mir vieles wieder bewusst und klarer. Ich war fast zwei Jahre dort, doch dann verlor ich das Interesse und widmete mich wieder voll und ganz dem Kampfsport.«
»Diese Erfahrungen weckten mein Interesse für Meditation, ich begann zu meditieren, fuhr dann ab und an zu Zen-Meditationswochenenden und habe dich und deine Schwester dahin mitgenommen. Deine Schwester blieb auf dem Zimmer und zeigte kein Interesse. Aber du wolltest immer mit den alten Frauen, so deine Aussage, die Meditation machen. Damals warst du ungefähr zwölf Jahre alt, ich weiß es nicht mehr so genau. Ich denke, all das hat dazu beigetragen, dass du deine Wahrnehmungen immer noch hast. Auch beim Kampfsport war für dich die Meditation immer sehr wichtig. Ich überlege gerade, in Basel finden die Esoterik-Tage statt, lass uns dieses Wochenende hinfahren. Dort sind viele Menschen, die genauso sind wie du, die auch Dinge wahrnehmen, die für die meisten nicht normal sind. Lass uns hinfahren.«
»Klar, ich bin dabei.« Ich war damals der Überzeugung, als meine Mutter sagte, dort sind alle so wie ich, dass sie damit meinte, alle sind jung, cool und stehen genauso auf Hip-Hop wie ich. Als wir dann dort ankamen, war ich geschockt, es war wie eine andere Welt und – ich gebe es zu – ich wollte auf keinen Fall so sein wie die. Das Ganze ist bereits 21 Jahre her und damals war die Esoterik-Szene wirklich noch eine Szene für sich. Inzwischen hat sich viel geändert, heute sind bei meinen Events junge Leute und ältere. Der größte Unterschied jedoch ist die Kleidung, die sich meistens nicht mehr von »normalen« nicht spirituell interessierten Menschen unterscheidet. Damals war das anders, die Jüngsten waren so um die 45 Jahre, viele hatten farbige Wollpullover in Regenbogenfarben, Jesus-Sandalen und Alufolie auf dem Kopf für einen besseren Zugang ins Jenseits, zu Außerirdischen oder Engeln. Ich war wirklich entsetzt. Als wir ins Zelt traten, wurden meine Mutter und ich zuerst mit weißem Salbei ausgeräuchert, damit keine negative Energie auf die Messe kommt. Es war einfach nur komisch, eigenartig! Trotzdem war es ein wichtiger Schritt für mich, ich wusste danach, was ich nicht wollte und wie ich nie sein möchte! Dennoch fand ich dort Menschen, die mir meine Hellsichtigkeit bestätigten und es sahen. Das hat mir wenigstens die Kraft gegeben und mir geholfen, mich nicht mehr als »krank« anzusehen.
Nach diesem Wochenende kaufte ich Unmengen spiritueller Literatur und begann mich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Anfangs war ich ängstlich darauf bedacht, mich nicht in der komischen Szene zu verlieren, obwohl ich dort Menschen fand, die mich verstanden. Meine Wahrnehmung wurde jedoch total unnatürlich und ich fragte mich immer, ob ich dies oder jenes jetzt sehen darf als Normaler oder nicht. Im Grunde wollte ich diese Fähigkeit einfach weghaben. Damals war ich TV-Moderator bei Tele Basel, stark in der Hip-Hop-Szene aktiv und stellte fest, dass ich mit meiner Wahrnehmung dort ein Außenseiter war. Ein paar Monate später traf ich Rahel wieder, wir waren während der Schulzeit eng befreundet, sie war die Partnerin meines besten Freundes. Wir trafen uns zufällig und kamen irgendwie auf das Thema Spiritualität. Sie interessierte sich sehr dafür, war gerade bei einem Medium gewesen und total begeistert, deshalb öffnete ich mich. Wir verbrachten ab da jede freie Minute miteinander und übten uns in Tarotkarten lesen, probierten, Verstorbene wahrzunehmen und suchten auch Spukorte auf. Darauf gehe ich später noch ein.
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