Nirgendwo ist bei Paulus davon die Rede, dass das Kerygma »nur im Vollzuge des Verkündigens wirkliches Kerygma ist«, als wäre es Ausfluss einer ekstatischen Rede oder einer kunstvollen Rhetorik, vergleichbar einem hermetischen Gedicht, dessen Sinn sich seinem Interpreten ein fürs andere Mal aufs Neue erschließt. Davon kann bei Paulus nicht im Entferntesten die Rede sein, der gerade im Kapitel zuvor (vgl. 1 Kor 14) seine Vorbehalte gegenüber der Zungenrede anmeldet. Nicht nur hier verweist er darauf hin, was er selbst empfangen habe. Vielmehr ziemlich zu Beginn seines Briefes stellt er klar, worauf seine Verkündigung beruht: »Meine Botschaft und Verkündigung [griech.: kerygma ] war nicht Überredung durch gewandte und kluge Worte, sondern war mit dem Erweis von Geist und Kraft verbunden, damit sich euer Glaube nicht auf Menschenweisheit stützte, sondern auf die Kraft Gottes« (1 Kor 2,4 f.). Nicht um Esprit, um eine geistvolle Rede im menschlichen Sinne, ist es Paulus zu tun als vielmehr um eine Rede »von Geist und Kraft«, von Pneuma und Dynamis , also getragen vom Geiste Gottes. Geht es doch, wie Paulus zuvor ausführt, um nicht weniger als um die Verkündigung des Mysteriums Gottes (vgl. 1 Kor 2,1): »Denn ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten« (1 Kor 2,2). In Ihm liegt das Kerygma des Apostels beschlossen, das sehr wohl auf Weisheit beruht, wie er anschließend bekräftigt: »Und doch verkündigen wir Weisheit unter den Vollkommenen, aber nicht Weisheit dieser Welt oder der Machthaber dieser Welt, die einst entmachtet werden. Vielmehr verkünden wir das Geheimnis [griech.: mysterion ] der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung. Keiner der Machthaber dieser Welt hat sie erkannt; denn hätten sie die Weisheit Gottes erkannt, dann hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt« (1 Kor 2,6–8).
Man muss sich mal in aller Deutlichkeit die Folgerung des Apostels Paulus vor Augen führen: die Unvereinbarkeit der Weisheit der Machthaber dieses Äons, dieser Weltzeit, also der historischen Sphäre, mit dem Kerygma, mit der apostolischen Verkündigung des Mysteriums der verborgenen Weisheit Gottes. »Nein, wir verkündigen, wie es in der Schrift heißt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben« (1 Kor 2,9).
Nur wer das buchstäblich Unvorstellbare und Unerhörte im Mysterium unserer Erlösung und Vollendung gewahrt: »das Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor [!] allen Zeiten vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung«, vermag die völlige Unangemessenheit, ja Vermessenheit einer historischen Bestimmung des apostolischen Kerygmas zu begreifen. Denn alles Historische, erst recht alles historisch Große bleibt auf den geschichtlichen Zeitraum dieses Äons, dieser Weltzeit beschränkt; verblasst vor dem »Große(n), das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben«. Daher ist seine Enthüllung [griech.: apokalypsis ] nicht menschlicher Weisheit, sondern dem Geist [griech.: pneuma ] Gottes vorbehalten. »Denn uns hat es Gott enthüllt durch den Geist. Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes. Wer von den Menschen kennt den Menschen, wenn nicht der Geist des Menschen, der in ihm ist? So erkennt auch keiner Gott – nur der Geist Gottes. Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott stammt, damit wir erkennen, was uns von Gott geschenkt worden ist. Davon reden wir auch, nicht mit Worten, wie menschliche Weisheit sie lehrt, sondern wie der Geist sie lehrt, indem wir den Geisterfüllten das Wirken des Geistes deuten« (1 Kor 2,10–13).
Damit will Paulus keiner religiösen Esoterik das Wort reden, wie ja auch Kerygma gemäß Walter Bauers »Wörterbuch zum Neuen Testament« dem Wortsinn nach »die vom Herold ausgerufene Bekanntmachung« bedeutet, also ein öffentliches Geschehen, ganz so wie die apostolische Verkündigung ein öffentliches Geschehen darstellt. Nur anders als eine historische Bibelexegese, deren Vertreter weitgehend ihren Frieden mit der Welt, mit den Mächten ihrer Zeit geschlossen haben, bekennt der Apostel, nicht den Geist der Welt empfangen zu haben. Ja nicht zuletzt in der Geisteswelt des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts hat seine Einschätzung ein ums andere mal seine Bestätigung erfahren: »Der irdisch gesinnte Mensch lässt sich nicht auf das ein, was vom Geist Gottes kommt. Torheit ist es für ihn, und er kann es auch nicht verstehen, weil es nur mit Hilfe des Geistes beurteilt werden kann« (1 Kor 2,14). Insofern die theologischen Überlieferungen nicht als Altweiberfabeln oder Rauschmittel abgetan werden, suchen ihre zeitbewussten Interpreten im Einvernehmen mit den Weltweisen sich des vermeintlich mythologischen Ballasts zu entledigen, der ihnen anhafte. Doch so selbstbewusst sie sich auch gegenüber einer bis in die Vorkriegszeit noch weitgehend volkskirchlich geprägten Kultur geben mögen – nichts reicht an das Selbstbewusstsein des Apostels Paulus heran, der kraft des Geistes Gottes gleichsam aus dem Nichts Kirchen zu gründen, genauer: in der heidnischen Welt die Kirche Christi zu begründen vermochte: »Der geisterfüllte Mensch urteilt über alles, ihn aber vermag niemand zu beurteilen. Denn wer begreift den Geist des Herrn? Wer kann ihn belehren? Wir aber haben den Geist Christi« (1 Kor 2,15–16). Und durch diesen Geist, durch die pneumatische Fundierung seines Kerygmas, unterscheidet sich der Apostel grundlegend von seinen modernen Adepten, die aus der Philologie seiner überlieferten Texte vergeblich mit historischen Mitteln jenes Kerygma herauszufiltern suchen, das allein der apostolischen Verkündigung vorbehalten ist. Nicht die Geschichte, nicht der geschichtliche Wandel bestimmt ihr Kerygma, sondern Gottes Geist. Daher die lapidare Feststellung des Apostels: »Wer den Geist Christi nicht hat, der gehört nicht zu ihm« (Röm 8,9b).
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