Wegen angeblicher Schummeleien seines Geschäftspartners ging es Theodors Handel mit Futtermittel nach drei Jahren finanziell so schlecht, dass Friedas Familie eine grosse Geldmenge einschiessen musste. Da zog die Familie Luterbacher in Solothurn einen Schlussstrich unter das «Experiment Wallis». Die kleine Familie zog in das zentrumsnahe Elternhaus in Solothurn, unter die Obhut des Luterbacher-Clans, welcher auch dafür sorgte, dass Theodor innerhalb der Ebauches SA, wo Friedas Bruder als Direktor tätig war, auf eine Stelle platziert wurde. Zuvor absolvierte Theodor aber noch eine zweijährige Ausbildung zum Uhreninstrumentenentwickler in einer Schule in Frankreich. Während über 20 Jahren arbeitete er danach bei der an der Ebauches SA beteiligten Firma Technica AG in Grenchen und baute dort eine Forschungsabteilung auf. Gerne an Problemen tüftelnd, konnte er sich aber nur schlecht für seine Ideen einsetzen und verlor die Rechte der von ihm entwickelten Bestandteile mangels Patentierung an andere. Lieber erklärte er seiner Tochter und ihren Klassenkameradinnen und -kameraden Mathematik und half einem in Solothurn wohnhaften Gymnasiallehrer beim Erstellen von Mathematikprüfungen. Obwohl er mit seinem Schwager Max Luterbacher gut auskam, wurde wegen der unterschiedlichen politischen Gesinnungen bei Luterbachers nie politisiert. Während Theodor katholisch-konservativ war, gehörten sowohl Theodors Schwiegervater Josef als auch sein Schwager Max als Unternehmer den Freisinnigen an. Freisinnige und Katholisch-Konservative lebten in getrennten Welten, was sich auch darin äusserte, dass sie bei Wahlen in unterschiedlichen Schulhäusern ihre Wahlcouverts einwarfen. So begleitete Steffi an Wahlsonntagen zuerst ihren Onkel zur Wahlurne, um kurz darauf nochmals mit ihrem Vater mitzugehen. Als Freisinnige blieben Friedas Vater und ihr Bruder der Kirche eher fern. Umso katholischer waren die Frauen, die sehr oft beteten und alles versuchten, um ihre Männer zum katholischen Glauben zu bekehren. Theodor litt unter der dominanten und machtbewussten Schwiegermutter, mit der er unter einem Dach lebte. Auch gegenüber seiner ebenfalls gebieterischen Frau, die viel Wert auf standesgemässes Auftreten und den familiären Ruf legte, musste er sich gefügig zeigen. Als Heimweh-Walliser erzählte er seiner Tochter, die ihn als sehr herzlichen Vater in Erinnerung hat, oft von seiner Jugend im Wallis. Seine Reisen nach Varen unternahm er allerdings immer ohne seine Familie, sodass Steffi ihre Walliser Verwandten gar nicht kannte. Dabei wohnte er bei Leo Roten in Varen oder ferienhalber in einem Hotel im Turtmanntal, wo Jeremias ihn jeweils besuchte. So lernten auch die Kinder in Varen ihren Onkel nicht kennen.
Theodor mit Tochter Steffi (1934).
Mit den vier kleinen Kindern wurde die Wohnung am Kegelplatz langsam zu klein. Im Herbst 1933 begann die Familie am westlichen Ende des Dorfes, wo Jeremias eine Landparzelle geerbt hatte, mit dem Bau eines allein stehenden, etwas von der Dorfstrasse zurückversetzten Hauses. Die Bauarbeiten wurden von Jeremias mithilfe seines Schwagers Theodul und weiteren Arbeitern und Handlangern ausgeführt. Oktavia hielt alle Arbeiten und Ausgaben in ihrem Haushaltsbüchlein fest, fein säuberlich getrennt nach Material- und Personalkosten, wobei sich der Tagessatz für einen Arbeiter auf 5.50 Franken belief. Im Sommer 1934 war der damals noch von Bäumen und Büschen umgebene Bau fertiggestellt. Als die Familie am Ende des Sommers mit Kuh und Wagen von Bodmen zurückkam, wollte Hedy zum alten Haus am Kegelplatz einbiegen. Vater Jeremias wies sie jedoch an, weiter geradeaus zum neuen Haus zu laufen. Die damals sechsjährige Tochter Hedy hatte vom Hausbau somit nichts mitbekommen.
Varen mit dem sich im Bau befindenden Haus in der Mitte des unteren Bildrands (1933).
Die gesamten Kosten des Hausbaus beliefen sich gemäss Haushaltsbüchlein auf 15 150 Franken. Das Haus war durch Oktavias Ersparnisse finanziert worden und bestand aus einem Erdgeschoss mit Keller, wo Hammu [Rohschinken] und Käse aufgereiht gelagert wurden, einem Weinkeller und einer Waschküche. Der an der Hangseite gelegene Hauseingang führte in das ausgebaute erste Stockwerk. Darüber befanden sich zwei im Rohbau belassene Stockwerke. Der grosse Raum unmittelbar oberhalb der Wohnung wurde als Massenlager für die Kinder genutzt. Das unter der Dachschräge gelegene oberste Stockwerk diente nicht nur als Trocknungsraum für die Wäsche, sondern auch als Lagerraum für die bis zu 50 Kilogramm schweren Polenta-, Mehl- oder Zuckersäcke. Auch Früchte, selbst gemachte Hauswürste oder Hammu wurden dort getrocknet.
Das Haus bot nicht nur in Bezug auf die zur Verfügung stehenden Flächen und Räumlichkeiten auf verschiedenen Stockwerken einen ziemlichen Kontrast zur Wohnung am Kegelplatz. Für die damaligen Walliser Wohnverhältnisse, insbesondere in den Bergregionen, war das Haus mit modernen Neuerungen ausgestattet. Es verfügte über fliessendes Wasser, ein Badezimmer mit Toilette und Badewanne und eine Art Zentralheizung mit Radiatoren in den drei Zimmern des ersten Stockwerks. Ein Standard, der bis 1950 im Oberwallis eine Seltenheit war. 48Als Tochter Hedy Anfang der 1940er-Jahre bei einer Familie in Sitten arbeitete und einer anderen Oberwalliser Angestellten erzählte, sie wohne in einem Haus mit Badezimmer, wurde sie prompt als Lügnerin bezeichnet.
Einzug in das neue Haus (1934).
Mit dem in der Küche stehenden Holzofen konnte nicht nur gekocht, sondern auch das Badewasser gewärmt und die Radiatoren geheizt werden. Dazu entfachte man im oberen Teil des Ofens ein Feuer, das mittels Erhitzung der Heizplatte zum Kochen diente. Zog man an einem Haken in der Mitte des Ofens, so öffnete sich der Zwischenboden und das Feuer fiel in den unteren Teil des Ofens, wo es die dort durchlaufende Wasserspirale erhitzte, welche mit dem Badezimmer und den Räumen im ersten Stockwerk verbunden war. Damit konnten entweder das Badewasser gewärmt oder die Heizkörper in den Zimmern temperiert werden.
Der Schlafort der Kinder variierte in Abhängigkeit ihres Alters. In den ersten drei Lebensjahren schliefen sie in einem grossen Bett im Elternschlafzimmer. Danach wechselten sie in das kleine Zimmerchen neben dem Elternschlafzimmer, in dem sich nebeneinander zwei Betten befanden. In jedem dieser Betten schliefen je zwei Kinder, zu Beginn Hedy und Marie beziehungsweise Franz und René, später dann die jüngeren Kinder. Silvie war im Sommer 1934 in Bodmen zur Welt gekommen, kurz vor dem Umzug ins neue Haus. Als erstes Kind wurde Anny im Jahr 1936 im neuen Haus geboren. Von den vier Kindern in den beiden Betten lagen jeweils zwei in die eine und zwei in die andere Richtung. Diese Nähe verlockte die Kinder dazu, den Nächstliegenden zu necken und in den Hintern zu zwicken, sodass Oktavia abends vielfach Einhalt gebieten musste.
Familienbild vor dem Hauseingang (um 1935).
Als die Kinder älter wurden, wechselten sie in das obere Stockwerk. Dort hielten sie sich gerne auf, denn sie fühlten sich freier. Mit Ausnahme eines kleinen abgetrennten Zimmers war der Raum offen und bestand aus rohen Hausmauern ohne elektrisches Licht. Das Mobiliar setzte sich aus acht in Reih und Glied angeordneten Betten zusammen. Da den Kindern kein fixes Bett zugeteilt war, schliefen sie einmal im einen, dann im anderen Bett. Im Winter war es dort sehr kalt und es bildeten sich Eiszapfen an den Fenstern. Sie schliefen deshalb in Schafspelzen, die der Vater eingesalzen hatte. Ein Fell legten sie direkt auf die Matratze, ein weiteres Fell und eine Decke sorgten für angenehme Wärme. Im Sommer legten sie die Pelze beiseite.
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