Bacon tat als einziger so, als wäre er überrascht. Oder er war es tatsächlich – er ließ seine Accounts von Nean verwalten, denn er sagte, der Scheiß mache ihn depressiv. Dav aus der Deckcrew saß mit ihm an der Theke und versuchte, möglichst unbeteiligt dreinzublicken. An einem Tisch hinter Dav hockten noch die Mechas Wanda und Scream mit dem vierzehnjährige Gear, den Bacon vom Unterdeck der Asteroidenstation geholt hatte, wo Gear mit Sabotage an den Lebenserhaltungssystemen und damit zusammenhängender Erpressung an Drogen gekommen war. Da die Sabotageakte nicht schlecht gelungen waren, hatte Bacon den Kleinen für die Deckcrew rekrutiert. Er arbeitete immer noch für nicht viel mehr als seine tägliche Dosis.
»Passma auf, diese Smashwits, diese N00bs, diese Muddoballs von Firestarters, ich glaub, da müssen wir mal ein paar Ärsche aufreißen!«, brüllte Bacon und sprang auf. Von der Theke aus hatte er das Endspiel vom Lowgrav-Wrestling mit einer VR-Brille beobachtet und lautstark kommentiert. Die Brille riss er sich erst nach seinem Fluch vom Kopf.
»Ja, Bro, du sagst es, Bacon!«, stimmte Deardevil ein und hob ein gut gefülltes Woqqaglas. »Prophet hier findet raus, wo im Kobeni-Gürtel sich die Scheißer aufhalten, und dann will ich Blut sehen, Leute, Blut!«
Kian warf Danai einen Blick zu. Sie sah angespannt aus. Für Bandenkriege war Kian auch noch nicht lange genug dabei, aber er war schon Prospect gewesen, als sie den Wheelbreakers vor Enki IV aufgelauert hatten. Das hatten sie nicht gestreamt, und es war eine schmutzige Angelegenheit gewesen, die Kian bis auf seltene Gelegenheiten wie diese hier zu verdrängen pflegte. Ja, Danai hatte Grund, angespannt auszusehen.
Und er hatte einen Grund, zu verhindern, dass sie – und er – in Schlimmeres als in die Sache mit den Wheelbreakers reingezogen wurden. Kian hielt sich nicht für zimperlich, immerhin war er Mitglied einer Jockey-Gang (auch wenn sie meist mit Jugendfreigabe agierte), aber er glaubte an eine unbestimmte Art von Ehrenkodex, von der er sich nie die Mühe gemacht hatte, ihn irgendwo festzuhalten. Ein flexibler Ehrenkodex. Eher eine Art innerer Kompass, wie es sich für den Spross einer Navig-Familie gehörte.
»Ich hab einen anderen Vorschlag. Also, vorerst«, sagte er daher laut, diesem Kompass folgend. Deardevil klappte den Mund so wütend zu, dass ihre Zähne aufeinander krachten. Ihn durchfuhr die Erkenntnis, dass es nicht der günstigste Zeitpunkt war, um auf humanitäre Mission zu gehen. Dafür hatte Marlene gerade sicher am allerwenigsten übrig, sie wollte irgendetwas brennen sehen. Aber jetzt konnte er nicht mehr zurückrudern.
»Ich hab dir den Kontakt zu Neval Toprak geschickt. Langfristig ist das kein Sponsoring oder so was. Aber kurzfristig bringt es etwas Kohle.«
Alle starrten ihn an. Garuda lachte abgehackt, natürlich, als VP sägte sie an Marlenes Ast, und alles, was Marlene schwächte, trieb Garudas Säge voran.
»Prophet, setz dich wieder hin«, knurrte Deardevil.
Er bemerkte erst jetzt überhaupt, dass er aufgestanden war.
»Sie bezahlt uns, um zu fliegen. Was willst du mehr?«, erwiderte er.
»Sie kann den Preis nicht zahlen, den wir wert sind.« Marlene wirkte auf einmal recht nüchtern. »Du musst deine Schulden bei ihr wohl irgendwie anders begleichen, dear.«
»Ich hab keine Schulden bei ihr!«
»Aber offenbar kann sie dich kneten wie weiche Hundescheiße, und hältst du mich für Hundescheiße, Kian?«
»Ich halte dich nicht für Hundescheiße. Und mich auch nicht«, stieß Kian anspannt hervor.
»Warum lässt du dich dann wie welche kneten?«
»Bist du bald fertig? Es sind Credits , Leute, ich dachte, wir tun Dinge für Credits. Ein paar Gater abknallen, Credits einsacken, fertig. Danach kannst du immer noch den Firestarters den Arsch aufreißen.«
»Du und die Kleine, ihr hattet eine Fomo-Kiste, ich lasse mich doch nicht von dir verarschen! Denk nicht, wir helfen dir dabei, wieder in ihr Bett zu kommen.«
Kian spürte, dass er nervös wurde. Yokai musterte ihn von der Seite. Eyegle grinste zu breit. Selbst Purple gab ein boshaftes Kichern von sich.
»Das ist drei Jahre her!«, rechtfertigte er sich. Bei den Sternen von Matariki, er würde jetzt sein Liebesleben auf der Akademie nicht mit Marlene diskutieren. »Darum geht es doch jetzt überhaupt nicht! Ich hab einen Vorschlag gemacht, wie du Leuten aufs Maul geben und Kohle machen kannst!«
Sie rutschte vom Tresen, das hohe Woqqa-Glas in ihrer Hand ging zu Bruch. Die leicht ölige Flüssigkeit darin schwappte über den Boden, einen Hocker und Davs Schoß.
Marlene wankte an Dav und Bacon vorbei – der Boden des Glases und ein langer Splitter lagen noch in ihrer Hand. Kian wurde klar, dass sie auf ihn zu kam.
»Was soll das, hey, wir machen es, wie du es willst!«, sagte er sofort und hob die Hände.
Auch Danai sprang auf, er sah aus den Augenwinkeln, dass sie in eine Art Kampfgrundstellung ging, wie jemand, die bereit ist, bei Ärger dazwischen zu gehen und wusste, wie sie das anstellen konnte. Konzernselbstverteidigung oder so ein Scheiß. Er hatte so etwas nie gelernt, hatte sich immer einfach so geprügelt – aber noch nie mit seiner President. Und würde Danai sich etwa mit ihrer eigenen Mutter schlagen?
»Lass den Jungen in Ruhe«, sagte Garuda in die angespannte Stille, in die nun viel zu laut das Wrestling-Match aus Bacons abgelegter Brille dudelte. »Du bist nicht beieinander, Marlene, geh dich ausschlafen, und dann reden wir weiter.«
Das reichte immerhin, damit Marlene nicht weiter auf ihn zu kam. Sie fuhr zu Garuda herum und keifte: »Halt’s Maul! Ich lasse mir von euch nicht sagen, was ich tun und lassen soll! Von dir nicht, von Prophet erst recht nicht!«
»Er hat einen Vorschlag gemacht, du hast ihn abgelehnt. Fein. Dann denken wir uns was anderes aus. Überlass das Denken denen, die sich nicht gerade die Hirnzellen weggeswosht haben.«
»Wir hauen den Firestarters aufs Maul!«, beharrte Marlene und drohte mit ihrer Scherbe.
Garuda stieß sich von dem Tisch ab, auf dem sie breitbeinig gesessen hatte und kam mit all ihrer hemdsärmeligen, ledertragenden, tätowierten Imposanz auf sie zu, die Dreadlocks zu einem dicken Bündel wie Kabelstränge im Triebwerk eines Choppers zusammengebunden. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und wenn sie schlau war, versteckte sie dabei irgendeine Waffe, falls Deardevil doch ausrastete. Garuda warf Kian einen nachdrücklichen Blick zu.
Er konnte die Vice Prez eigentlich nicht besonders leiden, aber gerade war er froh, dass sie die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.
Danai kämpfte sich durch das Stottern: »Mama, nimm dir ein neues Glas und trink noch was.«
Marlene fuhr zusammen, als würde sie gerade erst bemerken, dass ihre Tochter im Raum war.
»Wir brauchen einen verfickten Sponsor!«, knurrte Marlene ein wenig besänftigt und nahm das Glas an, das Danai von ihrem eigenen Tisch nahm und ihr entgegenstreckte. Kian zog sich ein paar Schritte zurück. Er atmete heftiger, als er wollte. Kami beobachtete ihn, Eyegle ebenso. Hätten sie ihm geholfen, wenn es hart auf hart gekommen wäre?
»Den kriegen wir nicht so einfach. Wir brauchen einen Plan. Aber erst morgen«, sagte Danai mit einer so ausdruckslosen und flachen Stimme, dass er sie kaum wiedererkannte. Jetzt stotterte sie nicht einmal.
Sie kennt das , schoss es ihm durch den Kopf. Für Danai mochte all das hier neu sein – aber nicht der Zustand ihrer Mutter und wie sie sich verhalten musste. Die Erkenntnis drehte ihm den Magen um.
Marlene ließ sich auf einen Stuhl fallen und kippte den Inhalt des Glases in sich hinein. Das zerbrochene legte sie auf dem Tisch ab.
»Wir kriegen das hin«, sagte auch Garuda versöhnlich und bedachte Kian dabei mit einem Nicken und einem schmalen Lächeln, bei dem ein goldener Zahn aufblitzte. Er wusste, was das hieß – er schuldete ihr etwas.
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