»Kein Krieg«, sagte Neval in die Runde, als könnte das die Gemüter beruhigen. »Wir schmeißen diese Eiterhirne nur aus unserem Dorf. Wenn wir es gut planen, geht es schnell und sauber.«
»Sie werden nicht freiwillig gehen. Dann kann es langsam und schmutzig werden«, wandte Deen ein.
»Dann wird es das!«, stieß Leron hervor. »Ich übergebe denen ganz sicher nicht mein Leben und versauere hier oben in den Bergen!«
»Und ich übergebe ihnen nicht unser Mink-Vorkommen, damit sie sich damit ihr Hirn wegbrennen.« Fervin hatte sich entschieden.
»Informieren wir das Gremium über unseren Angriff?«, fragte Neval. »Vielleicht unterstützen sie uns.«
»Nein.« Leron schüttelte den Kopf. »Wenn doch ein Corp mit den Gatern zusammenarbeitet und ihnen die Jäger gestellt hat, dann sitzen wir tief in der Scheiße.«
»SisX hat gesagt, dass kein Corp mit Gatern zusammenarbeiten würde! Und sie hat sie immerhin abgehört.«
»SisX kann sich auch irren. Wer weiß, wer da wen für seine Zwecke nutzt? Wir machen eine effiziente, schnelle Aktion draus. Und lassen die Gater nicht am Leben. Diese Freaks sind wie die Schmeißfliegen, wenn wir sie nur vertreiben, kommen sie wieder. Für sie riecht Minkowskium unwiderstehlich, wie Scheiße für Fliegen.«
Neval starrte Leron an. Der Mittfünfziger erwiderte den Blick gelassen, bis sie es nicht mehr aushielt und beiseite sah. Er tätschelte herausfordernd das Gewehr an seinem Schulterriemen.
Das Problem war, dass er recht hatte.
Vor wenigen Wochen hatten sie endlich ein großes Reservoir entdeckt, und ersten Schätzungen nach war es nicht das einzige in dieser Gegend. Ein gewaltiges Vorkommen, größer als alle bisherigen Reserven des Planeten zusammengenommen, konzentriert in geologischen Sattelstrukturen unterhalb ihrer Heimatdörfer. Das war bei weitem genug, um ihr karges Dasein auf dieser Welt dauerhaft zu verändern. Aber diese Mengen weckten natürlich Begehrlichkeiten – seitens der Konzerne und seitens religiöser Spinner, die glaubten, dass ihnen eine übernatürliche Macht die alleinige Verfügungsgewalt über den begehrten Rohstoff der Sternenreisenden zugesprochen hatte. Wenn die Gater nun dort waren, wussten sie bereits von diesem Vorkommen. Und würden ihren neuen Besitz bis aufs Blut verteidigen.
Aber selbst, wenn wir ihn zurückerlangen, wie lange können wir etwas behaupten, das so sehr Segen und Fluch gleichzeitig ist?
Neval wusste es nicht. Sie sah noch einmal auf ihr Tablet. Keine Nachricht. Ihr Kiefer schmerzte, so angespannt war sie.
Dann wurde das hier also ein Bodengefecht.
Marlene hatte schon einiges intus, und nicht nur Alkohol, das merkte Kian sofort. Für eine Frau, die der Kampf gegen einen Haufen Rückschläge dahin gebracht hatte, wo sie jetzt war, steckte sie Rückschläge ganz schön schlecht weg.
Bevor sie sich entschied, etwas dagegen zu unternehmen, beschloss sie meistens erst einmal, sich die Situation einige Tage lang schönzusaufen und -vögeln. Swosh war sicherlich auch im Spiel, zumindest sahen Marlenes Nasenlöcher entzündeter aus als ihre Augen, sodass davon auszugehen war, dass sie die Finger von Lokkers Skywards gelassen hatte.
Ob sie den Cyberköter aus Versehen oder absichtlich mit dem Fuß erwischte, wusste Kian nicht. Der Hund zog sich jedenfalls winselnd hinter die Theke zurück.
Kian setzte sich im Loco Hana an den Tisch, an dem Princess mit Kami saß. Die beiden wirkten nicht so, als wären sie einander bewusst, beide starrten auf ihre Tablets; Kami auf ihre in sich versunkene Art und Weise, Danai so, als wolle sie sich vor allen Dingen vom Anblick ihrer Mutter ablenken, die sich gerade im sehr kurzen Kunstlederrock auf die von Woqqa-Pfützen übersäte Theke gesetzt hatte.
Kian war in einer Großfamilie aufgewachsen, dreiundfünfzig Leute auf einem kleinen Navig-Boot, auf der Suche nach neuen Wurmlöchern. Seine Familie folgte schon seit Generationen als Teil einer kleinen, chaotischen Flotte den Sternbildern. Sie waren Herumziehende, die sich selbst als Pioniere und Forscherinnen betrachteten, aber für den Rest der bewohnten Galaxis Freaks und Smashwits waren. Er wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte, wenn sich jemand, mit dem man verwandt war, vor anderen lächerlich machte. Dann sah man genau so aus, wie Danai gerade aussah. Er setzte sich zu ihr, das löste Danais Blick vom Tablet, und auch Kami regte zwei Finger in einer faulen Grußgeste.
»Hey«, sagte Kian. »Deine Accounts laufen gut, oder?«
»Hab die Mitteilungen ausgeschaltet. Es nervt.«
»Siebenhundert Kommentare seit gestern Abend.«
»Und du antwortest drauf«, knurrte sie.
»Wingpals.« Er lächelte. »Ich halte sie nur bei der Stange. Deine Follower sind Gold wert. Oder können es zumindest sein. Ich dachte, du hättest die Notifs ausgeschaltet?«
»Hab ich auch. Hab aber trotzdem nachgeguckt.« Sie grinste schief, ein schmaler Streifen auf ihren dunklen Lippen war golden geschminkt, als hätte sie sie mit einer in Gold getunkten Fingerspitze berührt, und das gab ihr einen charmant-verschmitzten Ausdruck, der jedoch ihre Augen nicht erreichte. Diese wanderten noch einmal kurz zu ihrer Mutter herüber, bevor sie Kian entschlossen fixierte, als wolle sie mit ihm den Anblick der sturzbesoffenen President vertreiben.
»Sie will uns jetzt sagen, dass wir den Sponsor verloren haben.«
»Jau«, erwiderte Kian.
»Was wir alle schon wissen.«
»Sie ist ganz schön low deswegen.«
»Low im Sinne von down?«
»High, aber down, ja. Low halt.«
Wieder irrte ihr Blick zu ihrer Mutter. Familie war etwas Seltsames. Eigentlich konnte man nichts dafür, was ihre Mitglieder taten und wie sie sich gaben. Es gab keinen Grund, sich für Familie zu schämen. Aber man tat es doch. Kians Leute schämten sich sicher auch für ihn. Danai und Marlene waren so gegensätzlich wie Feuer und Wasser, Gang und Corp; nicht nur im Aussehen, sondern auch im Verhalten.
»Ich wusste nicht, dass sie immer noch ein Drogenproblem hat«, murmelte Danai.
»Ach, Drogenproblem ist übertrieben«, murmelte Kian, und sie sah ihn strafend an. Sie war eben immer noch durch und durch Corp-Turf, und dort gab es eine klare Linie zwischen der legitimen und der falschen Art, sich abzuschießen. Marlenes Art war die falsche. Kian fragte sich kurz, wie sie früher gewesen war, bevor sie ihrem … Snack, ihrem Kind und dem Corp-Turf den Rücken gekehrt hatte, um sich in einer Jockey-Gang hochzuarbeiten. Es hieß, dass sie als Frachterpilotin für Konzerne ihre ersten Manöver gelernt hatte.
Und Danais Dad ist vermutlich Controller.
»So, jetzt hört mir alle zu, versmashter Scheiß«, brachte Marlene sie alle zum Schweigen. Yokai beendete noch stumm den Kartentrick, mit dem sie Eyegle gerade abzog, dann sahen alle nach vorn zur Theke. »Wir haben Bulldoxx als Sponsor verloren, ihr wisst das wahrscheinlich schon, aber jetzt mach ich es offiziell. Weil wir den Corp-Transporter nicht abgeknallt haben. Sie haben den Vertrag beendet.«
Kian rutschte ein wenig nervös auf dem Stuhl hin und her, der sein Gewicht knarrend zur Kenntnis nahm. Er wusste nicht, welche Beträge Nevals Leute zahlen würden – aber vielleicht war es Karma, dass dieses Angebot zu dieser Zeit gekommen war!
»Sie haben sich die Firestarters eingekauft. Sponsern jetzt die. Kein Wunder, dass sie die ausgesucht haben, diese Brofucks machen für Geld alles!«
Kian und alle anderen hatten das schon auf ihren Kanälen verfolgt. Die Firestarters hatte er nur abonniert, um ihnen Hate zu geben, und in den vergangenen Tagen hatte er das nicht zu knapp getan. Den Firestarters war das große Bulldoxx-Logo vor ihren neusten Videos und auf ihren Maschinen gut bekommen: Sie hatten ein Viertel mehr Follower als zuvor. Und bei den Daredevils stagnierte die Lage. Da die Prospects für die Verwaltung der Channels zuständig waren, hatte Kian den Überblick. Er träumte nachts nur noch in Emojis, Kudos und Daumen hoch oder runter.
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